Chef’s Table 2013 Nordische Küche (1): Ein Abend bei Nils Henkel

9151918753_72eae3854bSchloss Lerbach

Ich treffe Nils Henkel am frühen Abend auf der Terrasse des Althoff Schlosshotel Lerbach in Bergisch Gladbach, freundlich begrüßt der Sternekoch seine Gäste und nimmt sich vor dem Abendservice noch Zeit für die angereisten Journalisten. Es ist ihm nicht anzumerken, dass er für morgen Mittag neun prominente Koch-Kollegen und ebenso viele WinzerInnen eigeladen hat, die sich, gemeinsam mit dem Gastgeber, um das Wohl der insgesamt 250 Gäste des Chef’s Table 2013 kümmern werden – “Die Küche des Nordens” ist morgen Thema, die Vorbereitungen laufen längst, das Restaurant ist natürlich heute Abend ausverkauft und es tobt eine Hochzeitsgesellschaft durchs romantische Schlösschen.

9154170676_cff7b4e983_nZwei Sterne-Koch Nils Henkel mit Chefsommelier Thomas Sommer (Foto: KPRN Network)

In aufmerksamer Entspanntheit beantwortet Nils Henkel meine Fragen, erklärt mir seine Philosophie. Pure Nature nennt er seinen Küchenstil, bei dem Jahreszeit und Produkt die Hauptrollen spielen. Seine Teller erzählen ganz unterschiedliche Geschichten, ausgehend von einem Grundprodukt bester Qualität schöpft Henkel aus den Möglichkeiten der Kräuter, Gewürze und Aromen, bedient sich moderner Kochtechniken (“wo sie Sinn machen.”) und spielt mit Temperaturen und Texturen.

Natürlich gibt es eine Dramaturgie innerhalb des großen Degustations-Menüs, das im Schnitt alle sechs Wochen wechselt, den roten Faden bilden aber immer jene heimischen Natur-Produkte die jeweils zum Zeitpunkt des Menüs in Perfektion zu haben sind. Dabei stellt Henkel ganz besonders gerne Gemüse und Kräuter in die erste Reihe. Und immer ist es der Eigengeschmack der verwendeten Grundprodukte, den Henkel in seiner pure nature-Küche möglichst unverfälscht herausarbeitet und auf dem Teller kunstvoll variiert.

Eine große Rolle spielt dabei der eigene Kräutergarten, den ich am Nachmittag besichtigt habe, hier finden sich neben den üblichen Küchenkräutern auch Gewächse wie Peruanischer Sauerklee, Vietnamesicher Koriander, Ochsenzunge, Ysop, Fette Henne und Blutampfer.

9154190420_319cc311e3Kräutergarten Schloss Lerbach

Auch sonst kommt gerne auf den Teller was der, dankenswert zurückhaltend gezähmte Schlossgarten und der prächtige Mischwald rundherum hergeben: Bucheckern, Wildkräuter, Samen. Diese Art der regional und jahreszeitlich gedachten Kulinarik ist typisch für die „neue nordische Küche“ und nordischer Natur sind auch Henkels Wurzeln.

Im heimatlichen Eutin machte Nils Henkel 1986 seine Kochlehre, arbeitete später in Hamburg u.a. bei Heinz Wehmann im Landhaus Scherrer. 1997 betrat er zum ersten Mal die Küche im Schloss Lerbach, zunächst als Souschef im Restaurant Dieter Müller. 2004 wurde er Küchenchef und Stellvertreter des Ausnahmekochs Dieter Müller, den er 2008 beerbte. Seitdem leitet Nils Henkel das Gourmetrestaurant Lerbach – Nils Henkel, dass der Guide Michelin derzeit mit 2 Sternen bewertet, der Gault Millau vergibt 19 von 20 möglichen Punkten.

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Grau ist alle Theorie, unser Menü startet mit einem grandiosen Auftakt in weiß, beige und braun: Entenleber / Birkensaft / Pilze /Gerstenmalz /Süssdolden – verrät die Karte und der Teller löst Henkels pure nature-Philosophie ein: butterzart schmilzt die Leber im Mund, begleitet vom feinerdigen Aroma der naturbelassenen Champignons, hauchzartbitter die Kräuter und die rohen Mandeln im Zusammenspiel mit dem kräftigen Malzbruch. Voreilig denke ich, dies wäre bereits mein Lieblingsgang des Abends.

Wir trinken dazu einen 2008 Gewürztraminer Königlicher Weinberg vom Weingut Klaus Zimmerling aus Dresden-Pillnitz in Sachsen, serviert von Chefsommelier Thomas Sommer, der eben vom Gault Millau als “Sommelier der Jahres 2013” ausgezeichnet wurde. Thomas Sommer kommt auf den Punkt, nicht nur bei der Weinauswahl. Der Schnellsprecher versteht es ebenso ausgezeichnet, in wenigen Sätzen für seine Weinauswahl zu begeistern und hat jederzeit Ohr und Antwort für die Nachfragen seiner Gäste. Schwellenangst braucht hier wirklich niemand zu haben, informativ und kurzweilig gestaltet sich der Weinservice.

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Die Felsenrorbarbe mit geröstetem Sesam, Paprika-Bulgur und Bourride mit Minze, ist ein schnörkelloser, aromatisch dichter und komplexer Gang. Tief und würzig der Sud, der von Sepiatinte gerahmt ist. Unter der selbstverständlich perfekt gegarten Rotbarbe verbirgt sich der beste Bulgur den ich je aß, kein Hexenwerk eigentlich, einfach kulinarische Intelligenz, die ihre Fortsetzung in der dehydrierten Tomate findet, die das Gericht krönt, wie das sprichwörtliche i-Tüpfelchen. Sommer schenkt dazu einen 2007 Idig Riesling „Grosses Gewächs“ vom Weingut A. Christmann ein. Aus Gimmeldingen in der Pfalz kommt dieser „perfect match“.

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Henkels Leidenschaft sind neben den Kräutern und Gemüsen vor allem Fische und Meerestiere, das Menü wird fortgesetzt mit Bretonischer Makrele, auf den Punkt gegart, kombiniert mit Taschenkrebsfleisch auf kernigem Getreidesalat, gerahmt von frischer Gurke, Gurkenpürée und Gurkengelee/Perlen – raffiniert wird die Makrele dabei durch Gurke und Getreide „eingenordet“, toll!

Der Wein dazu ein 1998 Vina Tondonia Blanco Reserva, Lopez de Heredia aus Haro, Rioja Alta. Meine ganze Aufmerksamkeit schenke ich aber schnell Peter H. Müller, der “Jungsommelier des Jahres 2012” annonciert als alkoholfreie Begleitung einen Tonic aus dem Hause Thomas Henry. Regelmäßige LeserInnen meines Blogs wissen: ich bin seit langem schon, unbezahlt und aus freien Stücken ein großer Freund der Berliner Bitter-Limonaden-Manufaktur und mache vor lauter Begeisterung gleich ein paar Handyfotos von Herrn Müller und der kleinen Tonic-Flasche in seiner Hand. Dann habe ich eine Bitte an Herrn Müller: „Könnten sie mir bitte zu diesem Gang zusätzlich auch die alkoholfreie Variante einschenken?“ Herr Müller nickt freundlich, beugt sich dann herunter zu mir und flüstert mir ins Ohr: „Gerne! Und ich hab auch eine Bitte. Könnten Sie die Bilder von mir auf ihrem Handy löschen? Ich muss sonst schon wieder in ein neues Zeugenschutzprogramm.“ Deal!

Ansonsten kann ich nur empfehlen, einmal eisgekühlten Thomas Henry Tonic aus einem Champagnerglas zu genießen, das ist schon ziemlich klasse! Die zurückhaltende Süße des Tonic und der Bitterton-Nachklang, sind auch wirklich geeignet, Henkels Makrelen-Gang würdig zu begleiten. Der Wein arbeitete natürlich etwas vielschichtiger. (Am nächsten Tag sollte mir Thomas Henry noch einmal in perfekter Kombination begegnen, dazu mehr im zweiten Teil zum Chef’s Table 2013.)

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Bei der Carabinero mit Krustentier-Peperonivinaigrette und Erbsenconfit kommt zusammen, was zusammengehört: Carabinero-Garnelen, Erbsen – und ich. Seit einem Zwischenfall in der Nähe von Barcelona, bin ich süchtig nach Carabineros und die frische Erbse ist mein erklärtes Lieblingsgemüse seit Jahren. In Nils Henkels Händen wird daraus eine kleine, feine Geschmackssensation. Der Carabinero-Schwanz ist komplett glasig und wachsweich, er ruht auf Erbsen, frisch blanchiert, fein püriert und knusprig gedörrt und die Peperoni-Vinaigrette ist von ausgeprägter Schärfe, ohne aufdringlich zu werden. Hier stimmt alles, milimetergenau. Und die müßig wiederkehrende Frage, ob den Kochen nun Handwerk oder Kunst sei, darf an dieser Stelle mit einem herzlichen „Bestenfalls beides!“ beantwortet werden.

Neben dem Wein, einem fabelhaftem 2010 Timotheus vom Gut Oggau im Burgenland, begeistert auch hier wieder das nichtalkoholische Angebot, aus Hamburg kommt der ChariTea Green, ein fairtrade Schwarztee, fein abgestimmt mit Ingwer und Honig und eiskalt serviert. Die Schwangerschaft seiner Frau brachte Nils Henkel auf die Idee: „Wir waren auf Genussreise unterwegs und selbst die berühmtesten Restaurants bewegten sich bei dem Thema null.“ Henkels Tochter ist jetzt eineinhalb Jahre alt und das Restaurant hat aktuell 22 alkoholfreie Begleitungen im Repertoire, die in die Menü-Überlegungen von Koch und Sommelier einfließen. Neben den reichen Fruchtsäften der Privatkelterei Van Nahmen, gibt es auch Köstlichkeiten der Wiener Essigbrauerei Erwin Gegenbauer, kleine Limonaden-Manufakturen finden sich im Programm und viele hauseigene Saftkreationen. Da werden beispielsweise Preiselbeeren entsaftet und mit Apfelsaft, Verjus, Karamel und Fichtennadeln aromatisiert – die Getränkebegleitung wird zum verlängerten Gericht.

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So auch beim nächsten Gang: ein Rote Bete-Saft mit Zweigelt-Verjus und Langpfeffer zu: Wachtelsolei auf Gelber Bete aus dem Salzteig mit gerösteten Bucheckern, Scharfgarbe und Preiselbeeren. Die Kombination aus Süße, Säure, herber Würze, erdiger Bete, Knusper und wachsweichem Ei ist zum Verbeugen gut. Der Wein dazu, ein 2008 Clos Floridene von Denis & Florence Dubourdieu, Graves, Bordeaux, funkelt nur kurz im Glas.

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Der Rehbock aus der Eiffel ist perfekt gegart, das Fleisch wie Butter, in einer runden Jus. Begleitet von knackigen Pfifferlingen, Lauch und einer grünen Lauchcreme, in der die Taubnessel namentlich ihre Wirkung tut, auf erfreulich hintergründige Weise. Ein weitere Offenbarung auf dem Teller ist der falsche Trüffel: ein Beuschel aus Herz und Lunge vom Rehbock, in Pilzen gewälzt. Der 2005 Manyetes Clos Mogador, Gratallops aus dem katalanischen Priorat muss mehrfach nachgeschenkt werden, während wir kurz auf die Desserts warten.

Nicht nur Koch und Sommeliers sind auf Schloss Lerbach in jeder Hinsicht ausgezeichnet, auch Chef-Pâtissier Frédéric Guillon gehört zu den ganz großen seiner Zunft, der gebürtige Franzose wurde schon 2004 als “Pâtissier des Jahres” ausgezeichnet. Ich bin dementsprechend gespannt, zumal ich überwiegend immun gegenüber süßen Verführungen bin – stets interessiere ich mich am Ende eines Menüabends mehr für den Käsewagen oder das Käsedessert.

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Frédéric Guillon überzeugt mich bereits mit dem Vordessert vom Gegenteil: dicke Blaubeeren und süße Erdbeeren schwabbeln in einem kühlen Waldmeistergelee getoppt mit Dickmilchcreme, samtig schmelzendem Waldbeerensorbet und filigraner Beeren-Knusperei. Das ist ein erfrischender Knaller, der im Geschmack deutlich an ein deutsches Traditions-Dessert erinnert: das „Errötende Mädchen“. Sollte das beabsichtigt gewesen sein, gibt es Zusatz-Punkte für Zitat und Humor!

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Die Krönung ist die Variation von Kalingo-Schokolade mit Süßkirschen und Praliné-Eis. Basis ist die Grand Cru Cuverture Kalingo aus dem Hause Valrhona, für die ausschließlich Kakao aus Grenada verwendet wird. Naja, denkt ich noch. Schokolade eben, denk ich noch. Dann tauche ich das Löffelchen in Mousse und Eis und nehme sofort alles zurück. Und: ich weiß es in diesem Moment noch nicht, aber Frédéric Guillon wird mich auch am nächsten Tag nochmals nachhaltig überraschen.

Überhaupt, der große Tag. Morgen kommen die Gäste! Neun Kollegen hat sich Nils Henkel zu seinem Chef’s Table 2013 eingeladen, 250 Gäste werden die Gelegenheit haben, an neun Kochstationen die „Küche des Nordens“ zu genießen. Sommelier Sommer hat jedem Koch eine(n) Winzer(in) zur Seite gestellt, die ihre Wein mitgebracht haben, für die Teller von: Kevin Fehling (Restaurant La Belle Epoque, Columbia Hotel, Travemünde), Johannes King (Söl’Ring Hof, Rantum, Sylt) sowie Robert Stolz (Restaurant Stolz, Plön), Thorsten Schmidt (Malling & Schmidt, Aarhus, Dänemark), Hans Välimäki (Chez Dominique, Helsinki, Finnland), Jens Rittmeyer (Kai 3, Budersand Hotel, Hörnum, Sylt) und Christian Richter (Restaurant Perior, Leer).

Der Gastgeber ist immer noch die Ruhe selbst. Er nimmt sich Zeit für Gespräche mit seinen Gästen, beim späten Gang durchs Restaurant, reagiert mit bescheidener Gelassenheit und einem Lächeln auf unsere Lobeshymnen und Danksagungen. Auf Nachfrage erfahren wir, man habe eben „nochmal eine Schlag reingehauen“ in der Küche, alles sei vorbereitet, die bereits angereisten Kollegen seien versorgt und allgemein freue man sich sehr auf morgen. Sorgen bereite nur der deutsche Sommer, der unermüdlich in feinen Tröpfchen aufs Glasdach des restauranteigenen Wintergartens klopft. Aber auch darüber habe man sich bereits im Vorfeld Gedanken gemacht. Auf der letzten Seite des Begleitheftes zum Chef’s Table 2013 findet sich ein “Lageplan Schlechtwetter”. Mit der Natur kennt man sich eben aus, auf Schloss Lerbach.

(tbc.)

Althoff Schlosshotel Lerbach
Gourmetrestaurant Lerbach – Nils Henkel

Lerbacher Weg

51465 Bergisch Gladbach

+49 (2202) 2040

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