Ob ich da jemals wieder raus und rauf komme, denke ich noch, als ich das Auto den Weg hinunter zu Marko Seibolds Gästehaus lenke und im weichen Gras zum stehen kommen. Syke in Niedersachen, mitten auf dem Land. Klar regnet es, Frühling in Norddeutschland, aber wir haben das drauf hier oben, Schichtbekleidung, Regenjacke, Gummistiefel – und zur Begrüßung gibt’s in der guten Stuben erstmal drei verschiedene duftende Tees und einen wirklich guten Kaffee (Perl-Kaffee!) von unseren Gastgebern, den Bio-Pionieren von Lebensbaum.
Gleich geht’s raus mit Marko Seibold, durch die Natur, wir wollen heute kochen und alle Zutaten finden wir rund um den Hof der Seibolds. Der Name des gebürtigen Schwaben, taucht seit 15 Jahren nun schon auf den Speisekarten jener Restaurants auf, die stolz auf ihre Produzenten sind, der Gärtner beliefert Köche wie Nils Henkel, Johannes King, Robert Stolz, Marcel Görke und Jens Rittmeyer. Alte Gemüsesorten, spezielle Kräuter und Wildkräuter, Marko Seibold baute es an und liefert. Seine Frau kümmert sich derweil um die Tiere, zottelige Schafe und ein buntes durcheinander an bunten Hühnerrassen und Enten.
Marko Seibold führt uns herum auf Acker und Flur, und wir denken, naja, wir sind ja noch etwas früh dran im Jahr, hier ist ja nix – dabei stehen wir längst im Salat! Er führt uns über seine Wiesen und Felder, Sticht die Forke in den Boden, da schon wieder was, Haferwurzel! Daneben der erste Wildspargel, dahinten steht noch Scherkohl!
Next stop: winterharter Lauch und Winterkarotten – die kleinen Möhren wurden spät gesät, sind jetzt so klein wie Aromen-stark, echte winterfeste Kämpfer, die da aus der Erde kommen und später in der Pfanne in Öl und Butter ganz langsam gebraten werden, Salz dazu, mehr braucht es nicht.
Überall wächst und grünt was essbares, das hat nur teilweise System, manchmal lässt Marko Seibold die Natur auch machen, schaut, lernt dazu: denn die Natur weiß ja wohl am besten, wie es geht, sagt er. Ich steh schon wieder im Salat, diesmal habe ich eine Ansammlung von wildem Feldsalat, Kölner Palme! Hab ich übersehen und überhaupt es gibt so viel zu Knabbern, süße Anis-Aromen der Süßdolde, Rettich-scharfe Noten und Kümmeliges der Zackenschote, Lauchiges, Klee, Schildampfer, Kresse, Agastasche… schnell füllen sich unsere Eimerchen mit einem grünen Durcheinander, wahrlich taufisch und später, nur gewaschen, mit Olivenöl, Salz und einem Hauch Balsamessig zubereitet – ein Salat aus über 25 Wildkräutern und Wildpflanzen!
Unser Gartenausflug endet im Wald und mit der Erkentnis, dass man Moos nicht nur essen kann, die Spitzen schmecken wie Algen, leicht salzig, diese saftige Frische – ich bleib da mal dran! Und der Bärlauch wächst derweil beim Zuschauen, am liebsten unter Buchen.
Christine Seibold hat ein Huhn spendiert, einen Hahn, genau gesagt und den reiben die Lebensbaum-Köche Alberto Turrini und Giorgio Esposito jetzt mit Lebensbaum-Gewürzen ein, Salzmantel drüber und – rein in den Holzofen, der schon ordentlich bollert. Später auf dem Teller, das werde ich nicht vergessen, es ist das beste Huhn dass ich je aß, es ist zart und doch von einem kernigen Biss, die unterschiedlichen Fleischteile haben deutlich unterschiedliche Fleischfarben, es schmeckt wir die Essenz von Huhn. Wir essen dankbar! Gegessen wird immer dann, direkt wenn irgendwas fertig ist, zum Beispiel die Roten Beten von Daniela und Heiko vom Teekesselchen Blog – in Scheiben geschwenkt und geschmort in Öl, Salz, Honig, mehr braucht es nicht und der Eigengeschmack der weißen, roten und gelben Beten von Marko Seibold kommt perfekt zur Geltung.
Wurzeln werden gebraten und ich entdecke für mich ganz persönlich die Haferwurzel, haarig, unscheinbar und verwand mit der Schwarzwurzel, nur in hell, die Schälerei ist ähnlich schrecklich, Milch tritt aus und ruiniert die Hände – Marko Seibold wäscht die Wurzeln ledigich gründlich und brät sie dann, halbiert, in der Pfanne langsam gar. Dabei passiert es, dass die Härchen der Wurzeln knusprig werden, die Wurzel selbst sind weich, schmeckt erdig-nussig-karamelig, ein bißchen auch nach Artischocke, das ist pur schon ein Genuß. Die will ich jetzt auch mal zuhause machen.
Eine Gruppe eifriger Orecchiette-Former hat sich gefunden, es werden emsig drei Teige geknetet und dann Öhrchen geformt, derweil entsteht viel Verständnis für Tim Mälzer, der sich unlängst bei einer Folge von Kitchen Impossible noch ungeschickter anstellte. Zu den Orecchiette wird Scherkohl (Schnittkohl) gebraten, später das Gericht mit Lebensbaum-Gewürzen (Pfeffer-Limone, in Demeter-Qualität!) noch leicht geschärft.
Ich hab mich sofort freiwillig fürs Lamm gemeldet, das hier ein Hammel ist, und ich löse konzentriert und mit viel Vergnügen meine erste Lammschulter seit Jahren aus, es gelingt formidable, ich bin ein bisschen stolz. Auch der Hammelrücken ist bald ausgelöst und ich vergesse auch nicht die unteren Filets – doch weil Hochmut vor dem Fall kommt, erwischt es mich beim Rollen und Binden des Schulter-Rollbratens – Kollegin Marion Swoboda aus der Brigitte Food Redaktion hält das dankenswerter Weise fest – irgendwie gelangt der gepfefferte Braten (mit getrockneten Holunderbeeren!) dann doch noch in den Guseisentopf. In Rotwein schmort er langsam auf dem Holzofen, draußen grillt Giorgio derweil die Filets, butterzart, null Hammelig – wenn was „nach Hammel“ schmeckt ist es meist ein alter Bock – wir haben hier ein kastriertes Haus-Schaf, dass ein schönes Leben hatte, auf dem Biohof – und in großer Runde, unentwegt blöckt die Mannschaft im Stall nebenan.
Aus Bronzefenchel hat Giorgio ein Gin Tonic Sorbet gezaubert und das muss ich klauen, es ist eine grandiose Kombination, erfrischend, leichte Anis und Fenchelnoten, perfekt eingebettet ins Gin-Tonic-Geschmacksbild. Aus dem Nachmittag wird derweil ein fröhlicher Abend mit guten Weinen und guten Gesprächen – wir stellen fest, die Welt ist nicht mehr zu retten, wir bleiben trotzdem dran! Nützlich sind Neugier, Geschmack und Wissensdurst, hilfreich die Arbeit unserer Gastgeber, die Arbeit der Seibolds und all den anderen Bio-GärtnerInnen und Sortenrettern, die ihr Wissen teilen, die dafür sorgen, dass Geschmack nicht überall genormt ist. Danke!
Der nächste Morgen, beim Kaffee, der sensationelle Geisha diesmal, entdecke ich unter einem Tuch vergessenen Fladenbrotteig, der dort die ganze Nacht lag. Marko Seibold ermuntert mich, es einmal mit dem Holzofen zu versuchen. Ich drehe (nur ganz leicht) runde Brötchen ab, die ich unter einem nassen Tuch nochmal ruhen lasse, hauptsächlich um die angetrocknete Hautschicht des Teiges etwas zu erweichen – es ist genau diese „Haut“ die später für extra Knusper sorgt – und die warmen Brötchen aus dem Holzofen schmecken himmlisch, zu Christine Seibolds Lammschinken. Sonntagmorgen in Syke, Niedersachsen. Es regnet natürlich. Wir holen dann mal den Trecker. Das Auto ist eingesunken.
Weiter gehts:
Eine schöne, gute halbstündige NDR-Reportage über die Seibolds: hier!
Unsere Gastgeber: Lebensbaum
Familie Seibold hat keine Homepage.