v.ln.r: Thomas Janser (Brasserie Coq au vin, Schlosshotel Lerbach), Hoteldirektor Christian Siegling, Johannes King (Söl’Ring Hof, Rantum, Sylt), Jens Rittmeyer (Kai 3, Budersand Hotel, Hörnum, Sylt), Gastgeber Nils Henkel, Christian Richter (Restaurant Perior, Leer), Robert Stolz (Restaurant Stolz, Plön), Kevin Fehling (Restaurant La Belle Epoque, Columbia Hotel, Travemünde) – nicht im Bild, bei der Arbeit: Hans Välimäki (Chez Dominique, Helsinki, Finnland), Thorsten Schmidt (Malling & Schmidt, Aarhus, Dänemark), Chefpâtissier Frédéric Guillon, Schlosshotel Lerbach)
Am Morgen fällt Regen, der Schlossgarten trägt tropfnasses Graugrün, natürlich, Sommer in Deutschland, seit Wochen so. Hochbetrieb im Haus, das ganze Schloss brummt, schon in der Nacht wurde mit dem Aufbau begonnen. Tische werden eingedeckt, Gläser poliert, aus dem Foyer erklingen erste Klaviertöne, in der Küche knappe Anweisungen zwischen Topfgeklapper, Korken flutschen leise aus raren Weinflaschen, Champagner raschelt im Eis. 250 Gäste werden gegen Mittag erwartet, 60-70 Mitarbeiter des Schlosshotel Lerbach sind jetzt im Einsatz, schätzt Hotelchef Christian Siegling im Vorbeirauschen.
Wenn sich die Küchentür kurz öffnet, kann man bekannte Gesichter entdecken. Insgesamt 10 Michelinsterne haben die 7 Gastköche des Chef’s Tabel auf Schloss Lerbach mitgebracht, klingende Namen der Hochkulinarik, angereist aus Nordeutschland, Finnland und Dänemark. Gemeinsam mit Gastgeber Nils Henkel (2 Sterne) und seiner Mannschaft wird heute Nachmittag an insgesamt 10 Kochstationen das Thema des diesjährigen Chef’s Table interpretiert:
“Die Küche des Nordens”
Und die Winzer erst! Jeder Koch wird von einem Winzer begleitet, auch hier nur klingende Namen, beim Blick ins Begleitheft (“Lageplan Schlechtwetter“), macht sich Vorfreude breit. Das hier ist ein Gipfeltreffen. Chefsommelier Thomas Sommer hat in Absprache mit den Küchenchefs die Weinpartner ausgewählt, wenige Tage später werden wir erfahren, dass diese Veranstaltung auch ein kleines bißchen Abschiedsvorstellung war: Sommer wechselt ins Weinmarketing, neuer erster Mann im Weinkeller von Schloss Lerbach wird Sommers rechte Hand, Peter H. Müller unterstützt von Desirée Steinheuer.
Riesenapplaus aus dem Stand, als gegen Mittag alle Beteiligten des Chef’s Table 2013 im Foyer vorgestellt werden, bei einigen Namen gleicht das Publikum in seiner Verzückung den Besuchern eines Rock-Konzerts (“Woooh-hooo!,Yeah!”). Dann werden die Tische gestürmt. Ich darf bitten:
Kevin Fehling *** (Restaurant La Belle Epoque, Columbia Hotel, Travemünde)
Aal Unagi und Auster / Reisgel /Wasabi / Apfel-Yuzu-Sud
Allerhöchstwahrscheinlich ist Kevin Fehling schwer genervt davon, dass jede Brichterstattung zu ihm und seiner Küche mit dem Hinweis beginnt, dass er der jüngste, deutsche Koch mit drei Michelin Sternen ist – möge er es als Verbeugung vor dieser Leistung wahrnehmen. Hochkonzentriert ist Fehling beim Anrichten der Teller, drei bis vier Monate hat er an diesem Gericht gearbeitet, verrät er im lesenswerten Interview, in der aktuellen Ausgabe des Effilee-Magazins (Heft 25, Sommer 2013, Ein Teller von Kevin Fehling, Seiten 94-101). Das Gericht ist schlicht sensationell und die “Weinbegleitung” eine echte Überraschung: Frau Yoshiko Ueno-Müller, Autorin des Buches Sake – Elixier der japanischen Seele, serviert uns einen duftig kühlen Sake von zarter Süße, der beinahe cremig im Mund zergeht.
Später erkläre ich Frau Ueno-Müller meine Begeisterung detailiert, sie nickt lächelnd: “Das ist immer so. Diese Freude, wenn Menschen das erste Mal guten Sake trinken. Das macht mich glücklich.”
Sake: Dassai 50 Sake, Junimai Daiginjo, Yamada Nishki, Japan
Johannes King ** (Söl’Ring Hof, Rantum, Sylt)
Sylter Meeressalat / Muscheln / Wasserkresse / Salzwiesenkräuter
Kein Körnchen Salz findet sich in Johannes Kings Signature Dish “Sylter Strandsalat”, hier würzt alleine die Natur. King kennt es “Das Wissen der Halligen”, die Kräuter der Salz- und Wattwiesen würzen die Komposition aus Brunnenkressepüree, zarten Muscheln und Austern, Muschelgelee und Muschelvinaigrette mit Fenchelkraut, Queller, Strandportulak und Dreizack (jenem einzelnen Halm der oben aus dem Bild läuft, eine salzig-zitronige Offenbarung).
“Jodig, salzig, grün und nass”, sagt King am Tisch, “das ist meine nordischen Küche”! Auf dem Gaumen ist das kalte Gericht eine beinahe schon exotische Erfahrung, unvergleichlich, für mich ein absolut neues Geschmackserlebnis, grandios! Der nicht eben leicht zugängliche Wein mit deutlicher Süße, Zitrusfrüchten und mineralischem Schiefer ist dazu ein Voltreffer und eine der gelungensten Kombination der Veranstaltung.
Wein: 2008 Wehlener Sonnenuhr, Riesling Kabinett, Weingut Joh. Jos. Prüm, Wehlen, Mosel
Hans Välimäki ** (Chez Dominique, Helsinki, Finnland)
Kabeljau / Eiskalte Gurke / geräucherte Heusauce / Dill
Hans Välimäki, der finster dreinblickende Starkoch aus Finnland, lässt seine Gäste lächeln: der schneeweise Kabeljau zerfällt blättrig im hellen Schaum mit dezenter Heunote (eher eine unbestimmte hintergründige Würze), das wirklich eiskalte Gurkenstück ist ein überraschender Schock, der sich im Mund in Wohlgefallen auflöst, dazu die knusprige Kabeljauhaut, die erst speckig schmeckt und dann ganz zart nach Fisch – ein meisterhafter Teller. Kiitos! Der Wein vom Sattlerhof ist von funkelnder Klarheit, vielschichtig und filigran und dabei so “schmeckig”, ich muss mich bremsen, nicht gleich ordentliche Schlucke zu machen.
Wein: 2011 Kranachberg “Große Stk Lage”, Sauvignon Blanc vom Weingut Sattlerhof, Gamlitz, Südsteiermark
Robert Stolz * (Restaurant Stolz, Plön)
Nordseekrabben / Meerrettich / Blumenkohl / Algen
Robert Stolz entdecke ich schon am Vormittag in der Lobby und ich bin ein bißchen besorgt, ob er sich vielleicht noch zu gut an mich erinnert. Letztmals sahen wir uns Ende der Achtziger Jahre in der Küche von Albert Bouley, Robert Stolz war schon damals ein gestandener Koch und ich ein rotzfrecher Lehrling ohne Benimm. Unsere Begegnung ist erfreulich, Robert Stolz umgeht freundlich und zu meinen Gunsten allzutiefe Erinnerungskrämerei.
Ganz im hier und jetzt sein Teller mit üppig taufrischen Krabben auf denen cremig ein Eigelb zergeht, dazu der Blumenkohl, fast roh und als Creme, erfährt eine spannende, “jodige” Würzung durch Meerrettich, Kresse und frische Algen. Klar und raffiniert! Ich freu mich jetzt schon auf einen baldigen Besuch im Restaurant Stolz in Plön. Der Riesling von Franz Künstler, ist natürlich spitze (gerade auch zu diesem Teller), ich bin eh großer Fan der Weine von Gunter Künstler und Rolf Schregel.
Die Algen, erklärt Robert, haben ihm Taucher frisch aus der Kieler Förde getaucht: “Wir sind auf facebook befreundet und ich hab denen dann mal ein bißchen Geld in die Taucherkasse gesteckt und die haben mir die Algen gestern frisch hochgeholt.” Regionaler Anbau mal ganz anders.
Wein: 2009 Hochheimer Hölle “Erstes Gewächs”, Rielsing trocken, Weingut Franz Künstler, Hochheim, Rheingau
Thorsten Schmidt (Malling & Schmidt, Aarhus, Dänemark)
Jus vom Ost-Jütländer Waldrind / Sauerampfer /Samen und Grüne Stängel / Geröstetes Knochenmark
Nicht mal Gastgeber Nils Henkel wusste ganz genau, was die Gäste erwartet, die Spannung war groß. Schmidts Fleischgang war dann so radikal gedacht wie grandios: stundenlang niedrigtemperaturgegartes Fleisch wurde in der Entenpresse ausgepresst. Dieser reiche, duftende, fleischige Sud bildete (ansonsten unbehandelt) die hocharomatische Basis für das geröstete Knochenmark im Teller mit Petersilienwurzelhobeln und Sauerampfer.Ich fand das sensationell, ebenso wie den Wein dazu. Wein-interessierten LeserInnen empfehle ich in diesem Zusammenhang die ausführlichen Verkostungsnotizen und Informationen von Autor Christoph Raffelt in seinem Originalverkorkt-Blog.
Wein: 2006 Granato, Elisabetta Foradori, Mezzolombardo, Trentino
Jens Rittmeyer * (Kai 3, Budersand Hotel, Hörnum, Sylt)
Keitumer Galloway / Heujus /Wildkräuter / gebackene Heukartoffeln
30 Stunden garte das Keitumer Galloway Rind bei 65 Grad, jetzt, auf dem Teller, eine würzige Angelegenheit, schneidet sich wie Butter, dazu ein Stück umsichtig geschmortes Fleisch in tiefdunkler Heu-Jus, ein Teller der glücklich macht. Die knusprige “Heukartoffel” verdient ebenfalls Superlative, drei Stunden wurde dafür Heu bei 80 Grad in Rapsöl gebadet und in diesem Rapsöl werden die Kartoffeln dann… Sie verstehen? Der Klecks Heumayonnaise ist zum Reinlegen leider zu klein, aber groß vom Aromenspiel: “Die klau ich!” rufe ich Jens Rittmeyer zu, der lacht: “schon patentiert!”
Kleiner Tipp für Sylturlauber: Rittmeyers Kai 3 Restaurant, wie auch das Budersand Hotel selbst, sind natürlich immer einen Besuch wert – wenn wir auf Sylt sind, besuchen die Liebste und ich aber traditionell auch sehr gerne das zum Hotel gehörende Restaurant Strönholt, ca. 3 Gehminuten vom Hotel entfernt auf einer Anhöhe gelegen.Der Blick über Düne und Meer ist gigantisch, die regionalen Speisen mit Sorgfalt zubereitet, die Preise Insel-moderat und das Personal ausgesprochen freundlich. Nachmittags gibts auch Kaffee und Kuchen (und wer mal einen Herbstnachmittag mit Rotwein und Kaffee vor dem Kamin verbracht hat, kommt sowieso immer wieder).
Vor den Kamin führt der gereichte 2000 Château Tour Figeac gedanklich auch einen älteren Herren, am Ende des Rittmeyer-Tisches im Schloss Lerbach: der Wein sei ausgezeichnet auch auf einem Bärenfell zu genießen, erklärt der Mann. “Na, wenn er da mal wieder hochkommt, von seinem Bärenfell”, kichert die Dame mir gegenüber. Ich würde den Wein ehrlich gesagt überall und zu allem trinken. Auch in diesem Fall hat Christoph Raffelt Fakten und Bilder zu den Bordeaux-Gewächsen des Winzers Otto M. Rettenmaier.
Wein: 2000 Château Tour Figeac, Saint-Émilion, Bordeaux
Nils Henkel ** (Gourmetrestaurant Lerbach, Schlosshotel Lerbach, Bergisch Gladbach)
Mild Geräucherter Seesaibling / Holunderkapern-Vinaigrette / Kresse / Eismeershrimps
Hausherr und Gastgeber Nils Henkel schließt nahtlos an den gestrigen Abend an (siehe Chef’s Table, Teil 1), der auf den Punkt gegarte Seesaibling wir von wachsweichen Eismeershrimps begleitet und zerfällt buttrig erst im Mund. Hauchfein die Raucharomen des Saiblings – und dass die mit den fruchtigen Holunderperlen zusammengehen, gerahmt von einen perfekten Zusammenspiel von Süße und Säure, salzigem Queller und scharfer Kresse, das ist großes Kino. Kinoreif auch der Auftritt einer blondgelockten jungen Dame, die den Meisterkoch erblickt, lächelnd auf ihn zu rennt und dann jauchzend die Arme um seine Beine schlingt. Nils Henkels 17 Monate kleine Tochter ist sein größter Fan und Nils Henkel steht da, in seinem Restaurant und ist plötzlich einfach Vater, die Gäste rundum: ein Lächeln.
Wein: 2011 Chardonnay “S”, Keuper Trocken (mmmhh!), Weingut Dr. Wehrheim, Birkweiler, Pfalz
Frédéric Guillon (Gourmethotel Lerbach, Schlosshotel Lerbach, Bergisch Gladbach)
Sandornsorbet / Johannisbeeren /Tapioka
Oiallaschokolade / Multbeeren /Röstroggeneis / Preiselbeeren
Den süßen Abschluss macht der Chef-Pâtissier des Hause, der es erneut vermag mich zu begeistern, obwohl ich ansonsten so gar kein “Süßmaul” bin. Sein Teller ist süße Präzision, geschmacklich wie gestalterisch – da ist diese unglaubliche Schokoladenmousse aus einer anderen Welt, dass ich schon am Vorabend mit staunen löffelte. Auch das Sandornsorbet ist große Klasse und das Röstroggeneis begeistert mich, eine ganz neue nussige Geschmackserfahrung mit cremigem Schmelz, wau.
“Wau!” ist auch die Getränkebegleitung, Grahams Port mit Thomas Henry Tonic, einem Minzeblättchen und etwas Limette. Der Portonic ist keine ganz neue Erfindung, aber in dieser Mischung besonders gut und ein ausgezeichneter Begleiter zum vielschichtigen Dessert.
Wein: Graham’s Fine White Port meets Thomas Henry Tonic & Grahams 40 Years Old Tawny Port, W.&J. Graham’s, Symington, Douro, Portugal (Graham’s Port unterhält auch ein eigenes Blog!)
Christian Richter * (Restaurant Perior, Leer)
Friesischer Eintopf mit Stulle / Schweinebäckchen / Räucheraal / Wurzelfrüchte
Christian Richter habe ich leider verpasst und nur im Vorbeigehen zwei Fotos vom Anrichten gemacht. Dabei war ich sehr neugierig auf seine Kreation, die von jenen Gästen, die schon probiert hatten, hochgelobt wurde. Ebenso entging mir leider der Besuch der Station von Thomas Janser, Küchenchef der Brasserie Coq au vin auf Schloss Lerbach. Viermal versuchte ich bei Janser einen Platz zu bekommen (Sud von Schmorzwiebeln / Ölrauke / gegrillter Lauch, dazu ein 2008 Villa de Corullon von Descendientes de J. Palacios, Villafranca, Bieroz), wurde aber an der Tür der Lerbach-Kochschule immer wieder vertröstet. Immer wieder versuchte ich mein Glück auch bei Christian Richter – und plötzlich reichte meine Zeit einfach nicht mehr, der Tag war verflogen und ich musste noch zurück nach Hamburg.
Mein Tipp fürs nächste Jahr: am besten nimmt man sich den Montag frei und übernachtet, um wirklich alles am Sonntag in Ruhe genießen zu können. Das Programm ist so einmalig wie intensiv, es ergeben sich viele Gespräche mit den Köchen und Winzern und es ist schade, dabei dann “auf der Flucht” zu sein. Ich war Gast, pro Person kostete der Chef’s Table 2013 mit seinen zehn Gängen und allen Weinen 215 Euro.
Gute Nachricht: Die Initiatoren und Gastgeber Christian Siegling und Nils Henkel planen für die nächste Ausgabe des Chef’s Table am 29. Juni 2014 das Thema „Kulinarik der Alpenländer“.