Oh, wie schön ist Pannonien! Ein Sommerabend im Restaurant Horváth, Berlin

Das Restaurant Horváth und Sebastian Franks Konzept der emanzipierten Gemüseküche

Dass geht ja gut los, an diesem raren Sommerabend im Weinlaub-umrankten Gastgarten des Restaurant Horváth am Paul-Linke-Ufer in Berlin: kühle Stoff-Tücher werden zur Erfrischung gereicht und samtig Gefrorenes von Rhabarber und Staudensellerie serviert.

Lángos und Kartoffelstampf

Dem erfrischenden Willkommensgruß folgen direkt ein herzhafter Hinweis auf die biographischen Wurzeln von Sebastian Frank: Lángos mit Knoblauchöl, Sauerrahm, frisch geschnittenen Frühlingszwiebeln und Bergkäse.

Die im Original in Fett knusprig ausgebackene Hefe-Fladen sind ein traditionell ungarisches Gericht, dass man auch in Österreich schätzt, der Heimat des Küchenchefs, der im Pinzgau aufwuchs.

Brot und gesalzene Butter kommen hier mit einem buttersatten Kartoffelstampf auf den Tisch, der mit den gerösteten Schalen der Kartoffeln zusätzlich Würze erfährt – der Gast kann sich jetzt direkt ein köstliches Sauerteig-Kartoffelbutterbrot streichen!

So schmeckt Kindheit, der Auftakt ist wohlig und erdet.

Zwei Michelin Sterne und fünf Hauben im Gault & Millau

Wir sind angekommen im Horváth – dass mit zwei Sternen im Guide Michelin und fünf Hauben im Gault & Millau, in der Gesamtwertung zu den 12 besten Restaurants in der Republik gehört.

Die herzlichen Gastgeber sind Jeannine Frank und Sebastian Frank – seit 2010 leiten sie die Geschicke des Restaurants .

Die hohen Auszeichnungen träg mah hier jedoch in keiner Weise vor sich her. Der Service ist so jung wie herzlich und aufmerksam, die Atomsphäre locker beschwingt.

Und in ruhigem Strom geht es weiter mit einem weiteren Gruß aus der verglasten Küche: ein filigran vollmundiger Schaum aus Maiskochwasser mit Knoblauch, Butter und Salz – Franks Übersetzung einer Kindheitserinnerung aus frisch im Feld stibitztem Mais.

Sebastian Franks Küche ist erfüllt von solchen Erinnerungen, von Inspirationen und Ideen, die in der Küche zu ganz eigenen Geschmacksbildern von leichter Eleganz werden.

Die falsche Foie Gras – jetzt schon ein Klassiker

Einer der jüngeren Horváth-Klassiker ist die Pilzleber, basierend auf der Idee einer vegetarische Foie Gras und doch ein ganz eigenes Stück Küchenkunst: die glänzende Praline basieren auf Kräuterseitlingen, sie zergehen im Mund cremig, buttrig, herzhaft und würzig – pointiert dazu die stimulierende Säure der Apfel-Balsam-Reduktion von der Manufaktur Gölles aus Riegersburg.

Frank serviert dazu eine dicke, duftende Scheibe fluffigen Butterstriezel, Hefezopf und Marillenkern-Butter, die mit aprikosenartiger Aromatik begeistert.

Japan meets Burgenland

Dem wohlig-cremigen Fest folgt ein fast schon ätherischer Gang von japanischer Anmut und neuerlich tiefer Geschmackskonzentration: eine gekühlte Kohlrabi-Kaltschale, samtig-elegant, feiert den Kohlrabi im Spiel mit einem Tropfen Kirschkernöl das eine Ahnung von Mandelaroma ins Spiel bringt.

Das wäre bei allem Purismus schon ein eigener Teller, Frank stellt noch eine weitere Kohlrabi-Idee dazu: zarte Scheiben von geräuchertem Essigkohlrabi ruhen in einem dichten dunklen Sud aus Schinken-Gewürzauszug und ausgelassenem Fett, getoppt mit eingelegten wilden Kirschblüten von 2020. Das ist Japan, ganz ohne Dashi, minimalistisch, komplex – Säure, Salz, Fett, Würze, Tiefe – hier ist was los!

Emanzipierte Gemüse-Küche – die neue Gleichheit der Produkt

Der vorangegangene und der folgende Gang sind beispielhaft für Sebastian Franks radikalen Entwurf einer „emanzipierten Gemüseküche“, wie er es nennt und es macht großen Sinn: auf den Tellern im Horváth sind Gemüse, Fleisch und Fisch nicht nur ebenbürtig und gleich, sie ergänzen und unterstützen einander. Unterstützen die Idee, unterliegen gleichberechtigt der Kreation.

Ein Stück Fleisch, ein Fischfilet – das gibt es länger schon nicht mehr im Horváth, wohl aber die Kombination aus fleischlich basierter Aromatik in Kombination mit Gemüsen, die den eigenen Geschmack, aber eben auch Konsistenz und Textur mitbringen. Wie ziemlich einzigartig die Frankschen Fusionen seiner emanzipierten Gemüseküche funktionieren, zeigt seine „Kreation Populaire“:

Die Zucchini träumt vom Zwiebelfleisch

Eine vollmundige Emulsion von Schmalzzwiebeln rahmt  die zunächst gedörrten, dann gegrillten und mit Chardonnay-Essig lackierten Zucchini, die stückig geschnitten von betörendem Biss sind und im Zusammenspiel mit den Schmalzzwiebeln die grundlegende Idee hinter der Komposition einlösen: die Aromatik des bürgerlich-österreichischen Zwiebel-Fleisch-Ragouts einzufangen und zu übersetzen – und zwar ganz zu Beginn des Kochprozessen, wenn das eben angebratene Fleisch noch Biss und Struktur hat, sich im molligen Aroma der eben angeschmelzten Zwiebeln wälzt. Dieser Duft! Und natürlich gib es Gurkensalat dazu, kühl geeist aus knackige Brunoise mit Gurken-Einlegekräutern. So geht Sommer.

Frank Küche ist geprägt von solchen Beobachtungen und Erinnerungen – oft nur Details eines Kochprozesses, einer Geschmacknuance, die hier einen großen Auftritt als eigene Komposition bekommen. Anderntags im Interview erklärt es Sebastian Frank mir bildhaft: es ist nicht der fette Schweinebraten selbst, der ihn interessiert, es ist der Duft der Kruste, der Kümmel, die Paprika, es sind die Konsistenzen und Aromen, die ihn interessieren, die im Horváth zum eigenen Gang werden. Erleben werden wir die Schweinebraten-Assoziation später im Hauptgang mit Pilz.

Vom Vergnügend des ersten Anstichs

Der „Erste Stich“ ist ein großer Spaß und ein kulinarisch sinnvolles Vergnügen, dass den Moment feiert, wenn der Löffel erstmals in einen frisch geöffneten Becher Schmand fährt.

Eine Schale mit von Joghurt-Kulturen gestockter kühler Sahne wir mit drei Löffeln serviert und moderiert: zuerst gilt es die Freude des ersten Stichs und dem puren Geschmack der kühlen Sahne zu genießen. Jetzt darf selbst aromatisiert werden, mit einem Löffel Paprikareduktion mit Minz-Infusion, mit dem süß-sauren Sirup vom Knoblauch-Kümmel-Essig. Ich sag mal: Bäm!

Oh, wie schön ist Pannonien! (und wie gut das schmeckt!)

Kennen Sie Pannonien? Die historische Bezeichnung für die einstige Provinz des römischen Reiches eint die Gebiete von Burgenland, Oststeiermark und Ungarn, der Slowakei, Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Die fruchtbaren Ebenen, Hügel und Berge, die Meer-nahen Landschaften, können heute abseits menschgemachter Grenzen auch als kulinarisch verflechte Genusslandschaft gesehen werden- ähnlich wie die Länder der neuen skandinavischen Küche oder der Cuisine Alpine.

Pannonien ist auch die kulinarische Heimat der Küche von Sebastian Frank, der im Pinzgau aufwuchs. Der folgende Gang feiert die Landschaften Pannoniens mit einigen ihrer aromatischen Reichtümer: auf der Gabel zergehen kühl Scheiben einer reifen gebeizten Tomate, subtil gewürzt mit Knoblauch und Holunder.

Und im Sinne der emanzipierten Gemüseküche findet diese Tomatenattraktion ihre grandiose Geschmackserweiterung im Zusammenspiel mit einer Emulsion von Gulaschgewürzen, dazu eine Marmelade vom klassischen Puszta-Salat.

Sebastian Frank zeigt auch hier wieder eine Umami-Tiefe, die ganz ohne Asien und Dashi einfach in der Heimatküche verankert ist.

Wie die Sellerieknolle zum Trüffel wurde

Und nun, meine Damen und Herren: der Horvárth-Überklassiker: „Sellerie reif und jung“. Drei Jahre hat Sebastian Frank an diesem Teller gearbeitet, an seinem Herzstück, der zwölf Monate im Salzteig reifen durfte. In den ersten Monaten werden die gebackenen Knollen täglich gewendet, der Salzteig absorbiert das austretende Wasser an den Auflagestellen.

Durch den Wasserentzug reift im Inneren der Sellerie, schrumpelt auf Trüffelgröße zusammen und wird dann auch so verwendet: fein gerieben würzt die Umami-starke Knolle jetzt: sich selbst!

Gedämpfte Selleriescheiben, werden am Tisch behobelt – und zwar so, dass man sich von der puren Scheibe bis zur dichtbeflockten Scheibe durchprobieren kann, dabei den Anstieg der Würze wahrnimmt. Samtige Sellerie-Bechamel und ein süß-säuerliches Gel von grünem Selleriesaft schaffen Cremigkeit, setzen aromatische Akzente und Ausrufezeichen.

Das ist genial und zu Recht ein Klassiker. (der übrigens immer auf der Horvath Klassiker-Karte zu finden ist und zum jeweils aktuellen Menü zubestellt werden kann.)

Suppengrün „Seleskowitz“ – soup it like its 1879!

Weil wir Neugierig sind und nicht so oft in Berlin, addieren und genießen wir noch einen weiteren Klassiker der emanzipierten Gemüseküche.

Das Suppengrün „Seleskowitz“ ist langsam gegartes Wurzelgemüse – kombiniert mit einem kraftvollen Fleisch-Aspik nach dem Rezept der Wiener Kochbuchatorin Louise Seleskowitz (1830-1899). Der Kochprozess für diese Kraftsuppe zieht sich über drei Tage. Aus Ochsenfleisch, Suppenhuhn, Schinken und Kalbsfuss, Madeira und Sherry entsteht eine reiche Brühe, die später mit Hasenfleisch geklärt zur tiefaromatischen Consommé double wird.

Frank spendiert dazu eine Reminiszenz an die klassische Brühen-Ansatz-Röstzwiebel („gibt Farbe und Geschmack“, pflegte mein Lehrherr zu sagen) eine krokantig knusprig, dann butterweiche Zwiebelscheibe, die mit Röstgemüse-Reduktion beschöpft ist, abgeschmeckt mit Liebstöckelessig.

Schwammerln zu Schweinsbraten!

Das wäre schon ein schöner Menü-Höhepunkt, der ist im aktuellen Menü aber recht der Gang „Schwammerl im Wirtshaus“. Ich habe so etwas noch nicht gegessen, der gereichte Kräuterseitling hat eine Konsistenz, die weich ist und doch von schönem „fleischigen“ Biss, der halbe Pilz ist zudem ungemein saftig.

Der Seitling wurde dafür in Mandelöl getränkt und dann gedämpft – dabei entscheiden Sekunden über den Geling zwischen noch roh und zäh. Eine aromatische Reduktion von geröstetem Knoblauch, Kümmel und Champignons weckt Schweinebraten-Assoziationen.

Das Dessert des Jahres: Falscher Flusskrebs

Das erfrischende Vordessert Albedo ist eigen. Albedo (vom lateinischen albus=weiß) benennt bei Zitrusfrüchten die weiße Schicht zwischen Schale und Frucht, das Mesokarp. Sebastian Frank serviert in Zitronensaft eingelegte Streifen unter einer Creme von gekochtem Zitronenalbedo und Butter, mit Pfeffer-Minzsorbet und am Tisch frisch gemahlenem Kubeben-Pfeffer.

Für mich schlicht das Dessert des Jahres ist der Falsche Flusskrebs. Nach dem Rösten von Weingartenpfirsichen bei 300 Grad, bemerkte Sebastian Frank beim Ablösen der Fruchtfleisch-Segmente vom Stein, dass diese ähnlich aussahen wie ausgelöste Flusskrebsschwänze.

Jetzt thront der saftige Pfirsich auf Röstgemüsecreme, badet in einer überraschend klassischen Flusskrebs-Bisque mit Karamell (Süße und Bitterstoffe). Dazu wird a part ein Löffel salziges Sauerrahmeis gereicht und der Service ermutigt uns, das Eis auf den „Flusskrebs“ zu geben. So entsteht eine herrlich salzig-süßes, bittercremig-fruchtiges Vergnügen, heiß und kalt dazu und von einzigartiger Aromatik. Ist das eigentlich noch ein Dessert? Um solcherlei Schubladen kümmert sich die emanzipierte Gemüseküche dankenswerter Weise nicht!

Eigen, handgemacht und preisgekrönt: ein paar Sätze zur Getränkebegleitung

Emanzipiert ist auch die Getränkebegleitung, die den Gästen des Horváth jede Wahl lässt. Die alkoholfreie Weinbegleitung ist elegant und raffiniert, hausgemacht und weitergedacht. Die Essenzen, Espumas, Säfte und Liquids funktionieren allesamt auch als Aromen-Satelliten, die die Gerichte belebend fortsetzen oder kontrastieren.

Weine aus Frankreich, Italien oder Übersee findet man hier nicht – Sommelier Michi Stiel bringt den Reichtum der pannonischen Weinwelt zu Tisch, mit Weinen aus Österreich, Deutschland, Ungarn, Slowenien und der Slowakei. Das macht Sinn, ist in der Weinbegleitung sinnig auf das Konzept und die Aromenwelten von Sebastian Frank ausgerichtet sein – und dürfte für die meisten von uns echte Entdeckungen bereithalten, eine Erweiterung des eigenen Wein-Horizonts.

Die Weinkarte ist einzigartig und wurde eben vom Gault&Millau als eine der Besten in Deutschland mit dem mit dem „Grand Selection Award – Wine 2023“ ausgezeichnet.

Weinkarte und Getränkebegleitung unterstreichen das Gesamtkonzept der emanzipierten Gemüseküche Sebastian Franks, mit einer durchgehenden Stilistik die im deutschen Fine Dining ohne Vergleich und so überraschend eigen wie einzigartig ist.

Das Horváth selbst entdecken

Alle Fotos: Oliver Wagner, Stevan Paul/Kaiserhappen

Offenlegung: im Rahmen einer Fotoproduktion mit Interview-Termin waren wir zum Menü eingeladen.

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