Besucht: das Feinheimisch Symposium 2019

Hochkarätige Gastredner, große Köche und ein turbulentes Podium

Feinheimisch-Vorstand Oliver Firla eröffnete das Symposium

„Perspektivwechsel. Kulinarische Ideen abseits des Mainstream.“

das war der Themenschwerpunkt des 2. FEINHEIMISCH – Symposium, am 22. Oktober 2019, in der denkmalgeschützten Thormannhalle in Büdelsdorf bei Rendsburg. Der perfekte Rahmen für die über 250 Gäste und Akteure, die hochkarätigen Gastredner und der Reigen der Köche, Gastronomen und Produzenten, die an 30 Marktständen das kulinarische Feinheimisch-Land Schleswig-Holstein präsentierten. Was für ein Setting!

JEREMIAS RIEZLER (Biohotel Walserstuba, Riezlern im Kleinwalsertal): Berguuf ond Bergaab – as kulinarischs Bergtüürle.

Haubenkoch Jeremias Riezler zeigte uns am Beispiel seines eigenen Betriebes, dem Biohotel Walserstuba im Kleinwalsertal, wie Mikro-Regionalität funktioniert. Der leidenschaftliche Verfechter von regionalen Lebensmitteln nahm die Zuhörer mit auf kulinarische Bergtour. Er kocht konsequent mit dem, was im Kleinwalsertal wächst und gedeiht, sammelt Kräuter und Pilze, konserviert Aromen aus dem Kräutergarten für den Wintervorrat als Teekräuter oder Sirup und kocht stundenlang Molke zu „Schotta-Gsiig“ (Molke-Karamell) ein.

Riezler ist Obmann der Genussregion Österreich – Kleinwalsertal Wild und Rind und züchtet die vom Aussterben bedrohten, kleinen „Schwarzen Alpenschweine“. Riezler kennt und wertschätzt das kulinarische Erbe der Region, erhält Traditionen und führt sie in (s)einer modernen Küche fort, arbeitet mit den regionalen Schätzen, mit Riebelmais und Wildkräutern, er experimentiert mit Heu, aromatisiert mit Harzen und Moosen.

Kein Detail das nicht hinterfragt und optimiert wird: so prägt beispielsweise  die verwendeten Hölzer beim Räuchern entscheidend das Aroma – anschaulich demonstriert mittels einem, auf der Bühne entzündetem frischen Buchenscheit und einem Moderholz-Scheit, das ein reichbar sanfteres, weiches Aroma in der Thormannhalle verbreitete. Und während der scharfrauchige Buchenscheit schnell erlosch, glimmt Moderholz schier ewig und ohne große Hitzeentwicklung – und ist darum zum Kalträuchern geeignet.

Es sind jene Details, die gelebte Regionalität ausmachen, das Wissen um die Schätze vor der eigenen Tür, die Wahrung und Weiterdenken kulinarischer Traditionen.

PROF. DR. THOMAS A. VILGIS - vom Wesen feinheimischer Flavours

Prof. Dr. Thomas A. Vilgis übertrug die Erkenntnisse Riezlers mit einem äußerst vergnüglichen und wissenschaftlich fundiertem Gedankenspiel direkt in einen größeren Kontext: schlummert nicht die ganze Welt in Regionalität?

Wie könnte die Aufnahme von Aromen, Geschmäckern (und Techniken) anderer Regionen, Länder und Kulturkreise zur Bereicherung der eigenen Küche dienlich sein? Wie Aromen entstehen, wahrgenommen werden, und was es mit den sogenannten „iodigen Aromen“ auf sich hat, die unsere Küche an Nord- und Ostsee prägen, das erklärte der „kochende Physiker“ zunächst –  um dann den ganzen Saal mit neuen Ideen zu Produktentwicklung aus Salzwiesen, Küsten und Meeresfrüchten zu überraschen – die Fakten-basierte Gedanken-Reise führte nach Japan!

Wie wäre es (und es ist möglich) aus der schleswig-holsteinischen Perlgraupe einen Sake herzustellen! Und den dann vielleicht noch zusätzlich  mit Queller oder heimischen Algenarten zu aromatisieren! Aus regionalen, fermentierten Zutaten und heimischem Meersalz lassen sich Misopasten herstellen! Auch ein  „Sprotten-Garum“ oder „Ostsee-Dashi“ ist machbar, wie wäre es mit einem Morbierkäse mit Algenasche?

Großartig, was möglich ist, wenn Regionalität konsequent weiter und kreativ größer gedacht wird!

ARND ERBEL - Freibäcker: Ich backe, also bin ich!

Und dann kam er, Arnd Erbel, Freibäcker aus Dachsbach und für mich einer der besten Bäcker Deutschlands. Hochunterhaltsam führte er durch seine Welt, vom Umgang mit Lebensmitteln, von verlorenen kulinarischen Schätzen und der Wertschätzung von Broten und Backwaren, die diesen Namen noch verdienen.

In seiner Backstube werden seit 1680 in zwölfter Generation Brote gebacken. Das Interesse für Tradition, für kulturhistorische Zusammenhänge und eine liebevolle Hinwendung zur Tradition sind Arnd Erbel ein Anliegen. Auf dieser Basis arbeitet er konsequent ohne Backmischungen oder gar Backmittel.

Der Brotlieferant viele ausgezeichneter Köch*innen geht gerne eigene Wege. Manchmal ist er der reine Perfektionismus der ihn antreibt, etwa bei seinem Rezept für Lebuchen, das im Grunde, sagt Erbel, sehr einfach ist: nur die allerbesten Zutaten, Gewürze und Nüsse. Daraus entsteht ein Lebkuchen von einer unwiderstehlichen Aromatik, die lange im Mund bleibt, die Lebkuchen selbst sind saftig und würzig und warm, es ist ein Vergnügen, dass einen für alle Zeit für jeden andere Lebkuchen verdirbt.

Oder seine Panettone. Die ist aus Sauerteig! Luftig, locker, buttrig…aus Sauerteig. Das kann eigentlich nicht sein und doch gibt es sie. Arnd Erbel bäckt diese Panettone nach dem Hummel-Prinzip: die Hummel kann wissenschatflich gesehen eigentlich nicht fliegen, sie tut es aber dennoch. Weil sie es ja nicht weiß! Einfach machen, das ist Erbels Botschaft, und dann richtig gut.

Arnd Erbels handwerklichen Schätze kann man bestellen. Das ist die schönste Nachricht, gerade in der Vorweihnachtszeit!

ERIK SCHEFFLER (NeoBiota, Köln) - Löffel rein, glücklich sein

Koch und Gastronom Erik Scheffler berichtete charmant lässig und selbstbewusst aus dem NeoBiota, einem jungen Restaurant, dass er gemeinsam mit seiner Geschäfts- und Küchen-Partnerin Sonja Baumann betreibt, die leider nicht dabei sein konnte.

Der Vortrag geriet zum Blick in die Küche einer neuen Generation, die erkannt hat, dass ein Michelin Stern eine feine Sache ist, einfach richtig gut für gute Gäste aufzukochen aber auch. Kochen ist auch im NeoBiota Teamarbeit, die Natur steht im Mitttelpunkt, es wird gesammelt und fermentiert, eingekocht und konserviert, nachhaltig und ganz allgemein von einer ökologischen Wertschätzung geprägt und motiviert.

Kulinarisches Glück beim Feinheimisch Symposium

Chef Gunnar Hesse im Gespräch mit Symposiums-Moderatorin Nina Tschierse, die so launig wie souverän durch die Veranstaltung führte und die richtigen und wichtigen Fragen stellte!

30 Marktstände regionaler Gastronomen und Produzenten boten ein buntes Bild des Feinheimisch-Vereins und der kulinarischen Schätze Schleswig-Holsteins. An vielen Ständen wurde gebrutzelt und gegart, aus der neuen Schauküche heraus servierten Gunnar Hesse vom Hotel und Restaurant Seeblick (Amrum) und Volker M. Fuhrwerk von der Olen Liese (Gut Panker) jeweils zwei verschiedene Gerichte.

Bei Volker M. Fuhrwerk probierte ich butterzart sous vide gegartes Schwein mit einer dichte dunklen Jus, fruchtig-würzigem Kraut, frischem Meerrettich und spätem Kerbel – große Klasse! Bei Gunnar Hesse gabs ein unverschämt saftiges Beef-Pastrami, als Carpaccio, belegt mit allerlei Grünzeug, Fichtensprossen und Holunderkapern. Jede Gabel eine Welt.

Das Podium: neue Wege in der Gastronomie

Am Ende des reichen Tages stand dann ein Podiumsgespräch, zu dem ich als Moderator und Mitdiskutant eingeladen war. Das ursprüngliche Thema, ein Gespräch über Aromen, wurde vom Zeitenlauf eingeholt. Auf der CHEF-SACHE in Düsseldorf gaben die Jeunes Restaurateurs (JRE) Anfang Oktober den Startschuss für die Gründung der „Chefsinitiative für die Zukunft der Gastronomie“. Im Rahmen des Branchentreffs stellte die Vereinigung ein Manifest vor, das mit Chefs, Experten und Branchenkennern diskutiert und ausformuliert wurde. Das Manifest im Wortlaut:

https://chefsinitiative.jimdosite.com/

Beinahe zeitgleich veröffentlichte Jens Rittmeyer einen öffentlichen Brief an die Macher der Chefdays und der Chefsache, an Kolleginnen und Kollegen – seine Wortmeldung ging in eine ganz ähnliche Richtung und erzielte eine ungemein hohe Aufmerksamkeit.

Von den vielen namhaften Köchen auf der Bühne wollte ich wissen: kommt da ein System- und Wertewechsel? Wie sähe sie denn aus, die neue Esskultur in Deutschland, wie steht es um das Engagement für eine bessere Wertschätzung der deutschen Gastronomie? Was muss sich ändern, was kann sich ändern? Wie funktioniert eine Chefs-Initiative, welche Unterstützung braucht sie und von welchen Seite?

Schnell wurde klar: einfache Antworten darauf gibt es nicht, die Probleme und Ansätze sind so vielfältig, wie emotional aufgeladen. Die einzige Frau im (viel zu großen) Männerrund, Frau Dr. Dorith Kunth (Staatssekretärin im Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein) sah sich schnell in der Offensive, die Gesprächsrunde geriet, gelinde gesagt, turbulent und wenig Ergebnis-orientiert.

Dennoch war das nicht vergebens, die Runde veranschaulichte deutlich die Zeit des Umbruchs in der wir auch als Geselllschaft leben. Ich glaube, wir haben das auch der intensiver werdenden Debatte um den Klimawandel zu verdanken, dass in vielen anderen Bereichen jetzt wacher drauf geschaut wird, welche Problem wir haben. Wir haben lang geschlafen, oder wie es Sascha Lobo (u.a. Autor des Buches „Realitätsschock“) unlängst formulierte, viel zu lange versucht, die Probleme des 21. Jarhunderts mit Lösungen aus dem 20. Jarhundert anzugehen, Und so sind die Aufrufe der Jeunes Restaurateurs, die Initiative Rittemyers und auch unser lebhaftes Podium vielleicht einfach auch als Weckrufe zu verstehen, als durchaus auch emotionale Dringlichkeit.

Die Aufgabe wäre jetzt, diese Diskussion sach – und fachverständig fortzuführen, gemeinsam und gewinnbringend an Lösungen zu arbeiten. Dazu gehört auch und unbedingt der Dialog mit der Politik. Ehrlich gesagt reden und verhandeln wir ja alle schon eine Ewigkeit über ökologische und gesunde Zukunftszenarien in der Landwirtschaft, in der Gastronomie, der Kantinenverpflegung, den Schulen. Wir, dass sind Köch*innen und Kulinariker*innen, Journalist*innen und manchmal auch die Politik. Wir das sind Vereine und Verbände wie Feinheimisch, Slow Food, Die Gemeinschaft, Green Chefs, die wir haben es satt-Bewegung, um nur einige zu nennen. Warum nur geht alles so langsam voran, warum bewegt sich wenig und meist nur auf Initativen Einzelner? Wie können wir wirkungsvoll auch im Großen unsere kulinarische und ökologische Zukunft (mit)gestalten?

Was ich mittlerweile (glaube) verstanden zu habe:

– ein großer Sack Probleme ist nicht geeignet, auch nur ein einziges Problem zu lösen.

– es gilt künftig die 1-3 größten und dringlichsten Probleme zu bennen und sie intensive zu durchdenken zu recherieren.

– nur so sind wir vorbreitet für Gespräche mit der Politik, wir müssen selbst im Nebenberuf Politiker*innen werden, sattelfest die Fakten und Argumentationsketten kennen.

– tut Gutes und sprecht darüber. Featured und unterstütz gute Produzenten, Kollegen und Initativen. Erzählt davon auf Euren Kanälen.

– begeistert andere, belehrt nicht.

-werdet Mitglied in einem der oben genannten Verbände und Vereine (oder anderen!), stalkt alle in den sozialen Medien, teil und abonniert deren Newsletter.

– wir sollten unserer Kräfte bündeln. Eine Idee dazu war es auf dem Symposium, einen Rat zuschaffen, in dem Stellvertreter*inne der oben genannten Verbände und Initiativen sich austauschen und hier und da auch zu einer, dann wirklich mächtigen Stimme zusammen tun.

Erste Ideen für das tätige Schaffen von Fakten und echter Veränderung.

Und ganz zum Schluss gabs dann endlich auch Applaus für jene Menschen, die diesen Tag kuartiert, geplant und organisiert hatten: Elisabeth Jacobs-Götze und Wolfgang Götze aus Kiel (links im Bild, neben der Rückenansicht von Vorstand Oliver Firla). Die bedankten sich widerum bei allen Teilnehmer*innen, die den Tag so spannend, erhellend, inspirierend und interessant gemacht hatten, wie auch allen Sponsoren und Unterstützer und ganz besonders der Familie Johanna und Hans Julius Ahlmann, bei der wir zu Gast sein durften.

Offenlegung: der Texte enthält Passagen aus der Feinheimisch-Pressemitteilung zum Symposium. Bis auf das Foto von Volker M. Fuhrwerk an der Küchenausgabe, sind alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von schmolze und kuehn

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