Probiert: Mittagessen im Le Moissonnier, Köln

Ein Mittagessen im Le Moissonier in Köln führt direkt zu ein paar Gedanken über eine moderne Restaurantkritik

Die Menschen in meiner kulinarischen Neigungsgruppe hoben stets streng die Augenbrauen, wenn ich erzählte, dass ich noch nie im Le Moissonnier in Köln gewesen sei, so, als sei ein kulinarisches Leben nicht erfüllt, ohne den Besuch in einem der besten französischen Restaurants des Landes. Dabei bin ich immer besonders vorsichtig, wenn man angeblich irgendwo gewesen sein muss. Auch Bücher geraten gerne von der Empfehlung zur Pflichtlektüre und ja, eben auch Restaurants, die man angeblich probiert haben muss. Ich muss garnichts und es ist eine Freude des Alters, genau jene Restaurants, auf die sich scheinbar alle einigen, nicht zwingend besuchen zu wollen, das gelobte Buch nach wenigen Seiten einfach zuzuklappen und beschwingt in die Flohmarktkiste zu legen. Applaus von allen Seiten ist mir immer verdächtig und auch die Fallhöhe groß.

Beim Treffen mit meinem Freund und Kollegen, dem Journalisten und Gastrosophen Nikolai Wojtko in Köln, geschah in der Vorbereitung dann Erstaunliches: wie ferngesteuert schrub ich in einer Mail, ich wolle so gerne mal ins Le Moissonnier! Chefkoch Eric Menchon ist eben vom  FEINSCHMECKER zum Koch des Jahres 2019 gewählt worden, 2 Sterne leuchten länger schon über dem Restaurant von Patron Vincent Moissonnier, es sollte nun doch sein!

Wir klemmen uns an eines der winzigen Tischchen, die dicht an dicht stehen und bestellen prickelnden Poiré, einen eleganten Birnen-Cider. Wir sind an diesem Mittag die ersten Gäste im Restaurant, das wie ein Jugenstil- Bistro wirkt. Warme Farben dominieren, sandgelb, orange, rot, dunkle Hölzer mit Geschichte, das Büffet aus einer anderen Zeit. Wir wählen das Menü.

Comme une Bouillabaise légère

Traumschön, ein duftendes Schäumchen Bouillabaisse-Emulsion, im Geschmack klassisch süffig, rahmt perfekt gegarten Saint-Pierre, ein Stück Daurade, ein Langoustine. Groß! Jetzt werden dazu noch weitere Satelliten-Teller aufgetragen mit „Zubereitungen“ die die zentrale Bouillabaisse geschmacklich unterstützen, erweitern, kontrastieren sollen – jeder Gang hier besteht im Grunde aus drei Gängen, die auch einzeln für sich stehen (und in vielen Restaurants für sich stehen würden.)

Hier begleitet zarter Pulpo mit Rinder-Jus die Bouillabaisse und ein „Panini“ vom Butterfisch mit Eierschaum und Kapernpaste, der Fisch eher fettgebacken, die Pasten erinnern an eine (ziemlich gute) Sc. Gribiche – dieses Drittel des Ganges fällt dennoch etwas ab.

Turbo rôti à l’arête

Angeblich wurden die kleinen Satelliten-Teller mal eingeführt, weil die großen Teller die winzigen Tische immer so voll machten. Sollte es so gewesen sein, wäre das ein schöner Schildbürgerstreich: die insgesamt sechs Tellerchen (pro Gang für Zwei) erfordern zusammen mit Wasser, Wein, Brot und Butter zumindest einen Meistertitel in Tetris. Das Stückchen vom Steinbutt ist an der Gräte gebraten, in brauner Butter auf Herzmuschel-Sud mit einem raffinierten Hauch Süßholz, ein Teller um sich daran zu erinnern, drei Löffelchen Glück.

Mir würde das reichen, die Küche serviert dazu noch einen Salat von grünen Bohnen mit Himbeerpaste und Imperial-Kaviar, das Spiel mit Frucht und Salzigkeit lässt die Bohnen letztmals vor Vergnügen quitschen. Das Melonen-Wasser mit Taschenkrebsfleisch und gehobelten Mandeln ist auch so ein Ding für sich, exzellent – als Trio kriege zumindest ich das alles nicht auf eine schlüssige Aromen-Kette, macht aber nichts, ich freue mich still an drei Gängen in einem.

Ris de veau de lait grillé et caramélisé au soja

Vom immer wieder zitierten herzlichen Service im Moissonnier spüren wir an diesem Mittag wenig, vielmehr gibt sich das Team professionell distanziert und macht einfach seine Arbeit. Schön ist das, eine französische Tugend, die Anwanzerei an den Gast überlässt man anderen. Nur beim Annoncieren der Speisen sollte der Gast aufmerksam sein, auf meine Frage: „Ah! Und in welcher Reihenfolge empfehlen Sie das jetzt?“ blafft mich der Servicemitarbeite an: „Ich habs doch gerade erklärt.“

Mittlerweile ist das kleine Restaurant voll besetzt und man sitzt sich arg auf der Pelle, das ist nichts für Sozialphobiker, intime Gespräche entfallen – Wissenschaftler der Experimentalen Psychologie haben allerdings herausgefunden, dass Menschen in eng gestellten Restaurants glücklicher sind. Das hat wohl etwas mit dem Gemeinschaftssinn zu tun, der dann doch tief in uns verwurzelt scheint, wir sitzen gerne dicht gedrängt um die Feuerstelle – 30 cm von Tisch zu Tisch ist ideal, erklärt die Wissenschaft – holten Sie sich doch jetzt mal einen Zollstock und staunen Sie.

Das Bries ist Weltklasse, mit Sojasauce karamelisiert und dazu gibt es ein Shisoblatt mit Basmati-Reis-Puffer, gefüllt mit Buchweizen und Geflügel-Salmis (in Sauce gewärmte Fleischstücke), dazu erfrischend die geräucherte Chiogga Bete mit Orange auf cremigem Ziegenfischkäse mit Pak-Choi und kleinem Reis-Reibekuchen – das ist viel und hier kommt alles formidabel zusammen, großes Kino!

Le Moka d’Orient

Zum Dessert danke ich schon mal all jenen Menschen, die hartnäckig die Augenbrauen hoben und in meinem Beisein nimmermüde das Moissonnier lobten. Das Dessert ist derweil auch wieder der perfekte Dreiklang, hier geht alles gut zusammen und kunstvoll bewährte Verbindungen ein: fluffiger Kaffee-Bisquit mit einem göttlichen Mousse von Piemonteser Haselnüssen, Pistaziencreme und Mandel-Honig-Sulz, alles für sich schon kleine Sensationen und Süß darf hier auch süß sein, schön ist das.

Und? Müssen wir jetzt alle unbedingt ins Moissonnier?

Eventuell! Und das bringt uns, zum Kaffee, an einen zentralen Punkt heutiger Restaurantkritik überhaupt: Geschmack ist individuell, ein „muss“ kann da nur ebenso individuell angeraten werden – in der modernen Restaurant-Kritik geht es aber bestenfalls längst nicht mehr um den wohlfeilen Geschmack des Kritikers! Die Aufgabe des Kritikers ist eher die Vermittlung (auch des Gesamterlebnisses): was erwartet mich als Besucher*inn, was kann ich erwarten und könnte das was für mich sein, oder nicht? Fragen die die Leser*innen bestenfalls am Ende des Textes selbst beantworten können!

RESTAURANT LE MOISSONNIER
Vincent, Liliane & Pauline Moissonnier
Krefelder Strasse 25
50670 Köln

Webseite: www.lemoissonnier.de

Weitere Beiträge
Der Deutsche Kochbuchpreis 2023: die Gala, die Preisverleihung – und zwei spannende Restaurantbesuche drumherum