Die Philosophie des Kochens – kleiner Rundgang durch das Buch

Als der mairisch Verlag, in dem meine literarischen Bücher zu Hause sind, fragte, ob ich eine Philosophie des Kochens als Kurator und Herausgeber betreuen wollte, war ich sofort begeistert von der mir angetragenen Aufgabe. Gleichwohl war mir klar, wie breit, vielfältig und tief dieses Thema ist, und ich notierte auf einem Blatt Papier die Namen von klugen Menschen, von denen ich wusste, dass sie zu den unterschiedlichen Aspekten Erhellendes würden beitragen können: eine bunte Mischung aus Philosophen, Gastrosophen und Soziologen, aus forschenden Wissenschaftlern, aus praktizierenden Köchen und einem Sommelier, aus Künstlern, Journalisten und Trendforschern. Menschen, denen ich einen Antrag machte. Und alle haben sofort zugesagt. Ihnen allen gilt an dieser Stelle mein größter Dank, sie sind es, die dieses Buch zu einer wahrlich vielschichtigen Philosophie des Kochens machen, mit ihren Geschichten, Konzepten, Ideen und Forschungen, mit ihrer Kunst, ihrem Handwerk.

Weil das Heute nur versteht, wer auch die Vergangenheit kennt, eröffnet der Gastrosoph und Journalist Nikolai Wojtko den Band mit einer spannenden Geschichte zur Menschwerdung durch das Feuer und die Kulturtechnik des Kochens. Denn erst durch die regelmäßige Verwendung des Feuers entwickelte sich menschliche Kultur. Der Soziologe Daniel Kofal ergründet für uns, durchaus vergnüglich, das Feld der Gastroerotik: eine Geschichte zwischen Liebe und Libido, Foodporn, Trieb und Hunger, der Erotik des Kulinarischen und den Zusammenhängen zwischen Orgasmen und Pommes Frites.

Professor Dr. Thomas A. Vilgis forscht u.a. zur statistischen Physik weicher Materie, was mich kurz an meinen Lehrherren und das eingangs erwähnte Wechselspiel von Glück und Physik denken ließ. Thomas Vilgis ist dankenswerter Weise auch leidenschaftlicher Kulinariker und als (Koch-)Buchautor und Herausgeber der Zeitschrift Journal Culinaire – Kultur und Wissenschaft des Essens Mittler und Wanderer zwischen zwei untrennbaren Disziplinen. Er schreibt in diesem Band über die Evolution des Geschmacks, über Fermentation und den Geschmack umami, über die Entkulturisierung des Essens und Unsinnigkeiten wie vegane Paleosmoothies.

Der gelernte Koch und studierte Philosoph Malte Härtig nimmt uns mit nach Japan, jenes Land, in dem die Philosophie des Kochens, das Nachdenken über Kochen, auch den kulinarischen Alltag durchdringt. Es geht um die Wertschätzung der Produkte, und um die gute Idee, dass Kochen auf dem Feld beginnt. Malte Härtig stellt uns Gedanken und Konzepte vor, die dort jahrhundertealte, gelebte Tradition bedeuten und bei uns gerade erst aktuell werden: das Interesse an Herkunft und Qualität von Produkten und die damit verbundene Wertschätzung dieser Produkte, Nachhaltigkeit und Achtsamkeit sowie die Ökonomie des Minimalismus.

Trends sind auch das Thema von Hanni Rützler und Wolfgang Reiter, die in Wien das futurefoodstudio betreiben, einem Thinktank zur Erforschung, Entwicklung und Bewertung von innovativen Konzepten und Strategien für die Lebensmittelwirtschaft. In ihrem Beitrag beleuchten sie, wie jene Generation mit dem Kochen umgeht, die keinen Hunger mehr hat, sondern Appetit und einen guten Geschmack, wie das Versorgungskochen von einst sich wandelte und Kochen zur kulinarischen Selbstdarstellungs-Bühne, zum Mittel zur Selbstoptimierung, zum öffentlich zur Schau getragenen Lebensentwurf, zur Ersatzreligion wurde.

So zukünftig wie zeitgeistig denkt man im positivsten Sinne auch im jungen Restaurant Sosein in Heroldsberg bei Nürnberg. Das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Restaurant gehört zu den spannendsten Adressen in Deutschland. Hier denkt das junge Team um Küchenchef Felix Schneider weiter und tiefergehend über das Kochen nach als andere. Dabei entwickelte die Küchenmannschaft eine ganz eigene Philosophie einer regionalen Küche: Sie erproben neue Kochtechniken, verändern die klassischen Küchenabläufe und erneuern die Traditionen des Gastgebens. Angesehen und aufgeschrieben hat sich das Nikolai Wojtko, in Zusammenarbeit mit Felix Schneider.

Tanja Grandits gehört zu den besten Köchinnen der Welt, Gäste und Kritiker sind gleichermaßen begeistert von ihrer farbenfrohen Aromenküche, ihrer Philosophie der monochromen Gerichte in einem Menü. Gemeinsam mit Tanja Grandits habe ich mich auf die Spuren der kulinarischen Farbenlehre begeben – und die führt direkt zum Oxford-University-Professor und Neurogastronomie-Pionier Charles Spence und der Frage, wie äußere Reize und Einflüsse unser Erleben von Geschmack und Genuss steuern können.

Der kulinarische Polit-Aktivist Hendrik Haase erklärt uns, warum der politisch denkende Esser keineswegs genussfeindlich eingestellt ist und warum der Kampf für eine gerechtere und genussvollere Tafel eine neue politische Ernsthaftigkeit des Themas erfordert. Haase macht eine Rechnung auf für eine Welt, in der im Jahre 2050 über 10 Milliarden Menschen satt und glücklich sein wollen, nicht ohne zu erwähnen, dass es bis dahin nur noch genau 32 Ernten sind, in der wir, die Politik, die Landwirtschaft und die Lebensmittelwirtschaft entscheiden können, was in welcher Form angebaut wird. Haase hat Fragen. Und Antworten.

Um die Essthetik des Widerstandes geht auch dem Philosophen Harald Lemke, der über das Kochen selbst nachgedacht hat, über das Essenmachen als Weltrettungsaktion, über Kochen als Handwerk, als demokratisierte Alltagspraxis, als Kunstform. Lemke liefert mit seinem Beitrag ein Herzstück dieses Bandes, denn: „Wer über die kulinarische Praxis nachdenkt und Weisheit und die Wahrheit der Kunst auch in Küchen sucht, der philosophiert zugleich über das Selbstverständnis der Philosophie, einschließlich einer Philosophie der Kunst und des allgemeinen Kunst-Verständnisses. Denn was soll man von einem philosophischen Denken halten, dessen Relevanz sich nicht darin beweist, uns aufschlussreiche und intelligente Erkenntnisse über die alltäglichsten Dinge und Werke des menschlichen Lebens zu bieten?“

Eine Liebeserklärung an das Brot kommt von einem der besten Bäcker der Republik. Arnd Erbel erzählt von der Philosophie des Backens, vom Brot in der Küche und vom Wert handwerklich gebackenen Brotes in unserer Zeit. Ein Beitrag zwischen Philosophie, Politik, Begeisterung und Zuversicht, auf- und mitgeschrieben vom Publizisten, Theologen und Künstler Martin Wurzer-Berger.

Brot und Wein sind eine biblische Kombination – und nur den reinsten Wein schenkt uns anschließend der studierte Germanist, Journalist und Sommelier Sebastian Bordthäuser ein, der es meisterlich versteht, Weinwissen und -liebe unprätentiös und leidenschaftlich zu vermitteln. Seine ganz eigene Philosophie des Trinkens führt mit klugem Humor vom Recht auf Rausch zur Frage, was denn nun einen guten Wein und dessen Wert ausmacht. Holen Sie sich unbedingt vor dem Lesen des Beitrages ein Glas von ihrem Lieblingswein, sonst müssen Sie zwischendurch aufstehen.

Zurück in die Küche geht es mit dem Essayisten und ZEIT-Journalisten Maximilian Probst, der uns die Küche und das Kochen als Ort und Praxis der Vermittlung nahebringen will. Es geht um die Entfremdung des Menschen von der Natur und darum, wie wir vom Kochen lernen können, dass es eigentlich keine Grenzen gibt, keine Grenzen geben sollte. Genauso, wie sich in einer einfachen Tomatensauce auf unserem Herd mindestens die halbe Welt befindet. Rühren lautet das Programm!

Dass es sich ohne Zeitdruck besser rührt und sowieso nur kochen sollte, wer sich auch Zeit dafür nimmt, erklärt uns Kochbuchautor Claudio Del Principe in einem leidenschaftlichen Plädoyer für die (Wieder-) Entdeckung der Langsamkeit in der Küche. Geschmack braucht Zeit, Zeit zum Reifen und Ruhen, zum Fermentieren, zum gehen, gären und garen. Principe lebt selbst das Prinzip des slow cooking und erläutert beispielhaft, wie das auch in hektischen Zeiten gelingen kann.

Der Journalist Tobias Müller bringt ein Tabu aufs Papier, denn er geht der Frage nach, wie Menschenfleisch schmeckt, und sprach dazu mit Kulturwissenschaftlern und Ethnologen über dieses heikle Thema. Führt uns doch der Kanibalismus unmittelbar zur Frage nach dem Wert moralischer Maßstäbe, in der eigenen und in anderen Kulturen, und zeigt beispielhaft auf, wie ethische und sittliche Haltungen entstehen.

Vom Wert und der Philosophie der Resteküche erzählt der Journalist Jörn Kabisch, kulinarischer Korrespondent der taz und Koch-Kolumnist der Wochenzeitung Der Freitag. Er hat sich mit dem philippinischen Koch und Tänzer Pepe Daywa getroffen, der ein Küchenmeister der Improvisation ist und das Kochen mit Resten für sich entdeckt hat.

Der Band schließt sinnigerweise mit dem Aufruf des Künstlers Dieter Froehlich, der sich immer schon für eine kulinarische Abrüstung stark machte und sich treu bleibt mit der Forderung: „Hört auf zu Kochen!“ – einer so erhellenden wie vergnüglichen Krittelei eines Passatisten an der avantgardistischen Kreativküche. Darin legt er nahe, dass das kulinarische Rad nur einmal wirklich neu erfunden wurde – und seitdem gerne auch mal durchdreht. Dass aber dieses Rad sehr viele Speichen hat und noch mehr hochinteressante Zwischenräume, davon erzählen dieses Buch und seine Beiträger aus den unterschiedlichsten Betrachtungswinkeln.

Ich wünsche viel Vergnügen bei dieser philosophisch-kulinarischen Reise zwischen Bauch und Weisheit.

Das Buch kann, auf Wunsch mit individueller Widmung, handsigiert auch über meinen Autoren-Shop bestellt werden!

Stevan Paul (Hg.) – „Die Philosophie des Kochens

Hardcover, Zweifarbiger Innenteil, Titelprägung, 240 Seiten, Lesebändchen – Gestaltung Carolin Rauen
ISBN 978-3-938539-49-1

20,00 €
inkl. MwSt., versandkostenfrei

Mit Beiträgen von

Stevan Paul (Autor, Foodjournalist)

Nikolai Wojtko (Gastrosoph, Journalist)

Malte Härtig (Koch, Philosoph)

Tanja Grandits (Sterne­köchin)

Daniel Kofahl (Ernährungssoziologe)

Sebastian Bordthäuser (Sommelier, Journalist)

Felix Schneider (Sternekoch)

Dieter Froelich (Künstler, Kochbuchau­tor)

Thomas A. Vilgis (Physiker am Max-Planck-Institut)

Jörn Kabisch (Gastro-und Food-Journalist)

Tobias Müller (Gastro-und Food-Journalist)

Hendrik Haase (Aktivist, Künstler)

Claudio Del Principe (Foodblogger, Kochbuchautor)

Arnd Erbel (Freibäcker)

Hanni Rützler (Trendforscherin, Autorin)

Wolfgang Reiter (Kulturwissenschaftler)

Maximilian Probst (Journalist, Clemens-Brentano-Preisträger)

Harald Lemke (Philosoph)

Martin Wurzer-Berger (Publizist und Künstler)

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