Geschichte wird gemacht: Die neue deutsche Küche der Jeunes Restaurateurs

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Gute Küche ist der Tradition verpflichte und entwickelt gleichzeitig Größe und Relevanz durch beständige Erneuerung – es ist das Privileg der Jugend quer zu denken und weiter zu entwickeln. So jung wie die neue deutsche Küche selbst, so altehrwürdig ist der Wunsch diese Bemühungen festzuhalten.

In diesen Tagen feiert das Münchner „Tantris“ seinen 40.Geburtstag, jenes legendäre Restaurant, mit dem 1971 die große Küche nach Deutschland kam. Drei Küchenchefs stehen bis heute für das „deutsche Küchenwunder“: die Pioniere Eckart Witzigmann, Heinz Winkler und Hans Haas. 1979 fand die Geschichte ihre Fortsetzung in Witzigmanns Aubergine.

Vor zwanzig Jahren gründeten sich 1991 die Jeunes Restaurateurs Deutschland, als Teil der europäischen Vereinigung Jeunes Restaurateurs d’Europe, jene Vereinigung junger Köche zwischen 25-45 Jahren, die sich erstklassigem Handwerk, der ideenreichen Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Küche verschrieben haben. In der Collection Rolf Heyne ist mit „Die neue deutsche Küche – eine kulinarische Reise mit den Jeunes Restaurateurs“, ein imposantes Werk von fast 600 Seiten erschienen, das am Beispiel von 36 Köchen der Jeunes Restaurateurs bildreich festhält, wie und was derzeit in Deutschland auf höchstem Niveau gekocht wird.

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Freundlich lächelnd stehen sie Spalier, 35 Männer und 1 Frau, junge Gegenwart und Zukunft der Zunft, festgehalten in einem Buch. Der geschichtsbewusste Kulinariker erinnert sich – die klingenden Namen von heute, könnten die Legenden von morgen sein, ein Griff ins Bücherregal untermauert die kühne These: in Eckart Witzigmanns Aubergine-Kochbuch „Highlights“, findet sich eine ähnliche Galerie junger Talente und dem genauen Betrachter von heute wird’s ganz feierlich ums Herz, beim Blick in die frischen Gesichter der 38 Meisterschülern von damals:

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Pade, Sackmann, Schmidt, Ederer, Lafer, Wörther, Haas, nur einige Namen die bis heute für höchste Kochkunst stehen – einzig Schuhbeck darf als verloren gelten, der heute sein Geld mit Dosensuppen, Cola und Burgern macht. 1987 und 1988 erschienen dann die zwei Erfolgsbände „Essen wie Gott in Deutschland“ und hielten die Hochküche der 80er Jahre fest, mit u.a. Viehhauser, Rockendorf, Wodarz, Schilling, Wohlfahrt, Koch und nicht zuletzt, meinem Lehrherrn Albert Bouley.

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Aus den papierenen Bestandsaufnahmen von damals ist Kochgeschichte geworden die bis heute die Republik kulinarisch prägt. Wer mit diesem Wissen „Die neue deutsche Küche“ in die Hand nimmt, dürfte gespannt sein- und wird nicht enttäuscht.

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Ausführlich werden die Vertreter der neuen Kochgeneration vorgestellt, dem persönlichen und privaten Portrait folgen Impressionen aus dem jeweiligen Restaurant und dann die teils hochaufwendigen Kreationen der Küchenchefs. Jahreszeitlich geordnet führen bekannte Namen und neue Talente durch die deutsche Hochküche von heute.

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Mit großem Selbstverständnis wird fast ausschließlich mit regionalen Produkten gearbeitet, die babylonischen Türmchenbauten der 80er Jahre sind auf den Tellern in die breite gegangen, hochkonzentriert komponierte, essbare Landschaften prägen die Optik der Gerichte, streng gearbeitete, beinahe schon architektonisch anmutende Kreationen.

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Die strenge Formalität der Gerichte, wird durch die Fotoarbeiten von Rainer Herrmann noch unterstützt, er verzichtet auf jede Art fotografischer Gimmicks, keine Unschärfen, alle Teller perfekt ausgeleuchtet und auf ruhigen Untergründen in Pastellfarben präsentiert- das mag auf den ersten Blick altmodisch wirken, bedient aber auf zeitlose Art bestens den chronistischen Anspruch des Buches, zeigt die Speisen detailliert und im Mittelpunkt.

Beim Blättern im Buch erinnert “Die neue deutsche Küche” an die Musik der legendären Band Kraftwerk: hinter hochkomplexer, technischer Perfektion leuchten Sehnsucht, Romantik und eine stille Emotionalität – deutscher geht’s nicht. Die neue deutsche Küche – eine kulinarische Reise mit den Jeunes Restaurateurs ist schon jetzt ein Stück gesamtdeutscher Küchengeschichte.

INGO SWOBODA (HRSG.)
DIE NEUE DEUTSCHE KÜCHE
EINE KULINARISCHE REISE MIT DEN JEUNES RESTAURATEURS
544 Seiten
25×29 cm

Gebunden, Fadenheftung
Großformat, Schutzumschlag
Hochwertiger Farbkunstdruck
Spezielles Lack-Finish
ca. 270 Abbildungen
ca. 120 illustrierte Rezepte

Erscheinungstermin: 28.10.2011
ISBN-13: 978-389910487-5

€(D) 58,00 / €(A) 59,70 / sFr 77,90

  1. Ja, history repeating, Dorothée!

    Muyserin, absolut und auch das scheint Geschichte zu machen, damals bei “Kochen wie Gott in Deutschland” war im ersten Band Doris Katharina Hessler die eine Frau unter Männern.

  2. Fördern die Speisen, so angerichtet, den Appetit? Geht man solche Kunstwerke essen als Erlebnisgastronomie?

    Tragen die Köche Handschuhe, wenn sie diese filigranen Kunstwerke zubereiten? Bis so was entsteht, werden die Lebensmittel doch hundertmal angefasst und gehen durch X Hände.

    Finden Sie, dass bei so angerichteten Speisen noch ein harmonisches Verhältnis zwischen Nahrungsmittel und Kunstwerk besteht?

    Wären Sie als junger Mann von vielleicht 18 Jahren auch schon so begeistert von diesen Creationen gewesen?

    Hat sich im Laufe Ihrer Jahre Ihr ästhetischer Sinn mit dem Appetitzentrum enger verkoppelt?

    Ich persönlich finde die beiden Beispielbilder am Ende sehr kunstvoll, essen würde ich derartige angerichtete Speisen auch, aber nur aus Neugier, nicht aus Gefallen. Mein ästhetischer Sinn ist durchaus positiv angesprochen, mein Appetit distanziert sich allerdings meilenweit.

    Nachdenkliche und neugierige Grüße
    Carmen

  3. Das ist wahr Muyserin!

    Eine Menge Fragen, Carmen, die ich Ihnen gerne beantworte:

    1. Ja, ich bekomme Appetit, gleichzeitig bewundere ich das vollkommene Handwerk und die Leitung der Küchenmannschaft, einfach toll! Mit Erlebnisgastronomie hat das nichts zu tun, eher mit einem nicht alltäglichen Genuß, mit Kulinarik auf höchstem Niveau.

    2. Handschuhe sind mittlerweile usus in Küchen dieser Klasse. Mehr Sorgen mache ich mir da beim Bäcker, wo zwar gerne Alibi-Handschuhe getragen werden, mit diesen jedoch auch das Wechselgeld gezählt wird.

    3. Absolut. Wenngleich ich die Ästhetik des (vermeintlich) Einfachen immer mehr zu schätzen weiß, jene Gradlinigkeit in Geschmack und Kombosition, die gerade in der britischen Küche auf höchstem Niveau zelebriert wird.

    4. Als junger Mann von 18 Jahren habe ich genau solche Kreationen hergestellt, damals arbeitete ich in der Sterneküche Albert Bouleys.

    5. Ich begeistere mich für Ästhetik, der Geschmack hat aber immer erste Prioriät. Privat bevorzuge ich mittlerweile eine gradlinige, ausdruckstarke Geschmacksküche, bewundere aber nach wie vor was an der Spitze gekocht und wie Präsentiert wird.

    6. Neugier ist der erste Schritt zum “Gefallen”!

  4. @Muyserin: danke für den Hinweis, hab ich vorher gar nicht gemerkt. Frauen gehören zwar (laut vielfältiger Aussage) “hinter den Herd”, aber anscheinend nicht bei den Spitzenköchen. Das ist echt komisch. Gerade in dem Bereich hätte ich mehr erwartet.

  5. Vielen Dank, Herr Paulsen! Im Fernsehen (bei Lanz kocht) schlecken sich manche Köche dann und wann die Finger beim Anrichten ab. Ich finde das ekelig und befürchte, die machen das auch in ihren Restaurantküchen. Das ist ja ein Automatismus und schwer zu kontrollieren. Daher denke ich mir, gummibehandschuhte Finger steckt der Koch weniger schnell in den Mund.

    Wobei ich ja tendenziell denke, ein Koch mit Bestrebungen auf das “höchste” Niveau hat keine Zeit für`s Fernsehen, kenne mich da aber nicht so aus.

    Schöne Grüße
    Carmen

  6. Als gelernter Koch wird mir bei manchen Fernsehköchen schlecht, wenn sie 3 mal mit dem gleichen Löffel sich etwas in den Mund schieben und das dann noch ins Publikum tragen. Das haben sie sicher als Lehrling, so wie ich auch, anders gelernt. Hygiene ist wichtig in der Küche, und da muss sich der gut zahlende Gast drauf verlassen können. Mag sein, daß der ein oder andere Fernsehkoch mal in den 80igern ein guter Koch war. Heute verkaufen sie Brühwürfel und Burger und outen sich, daß sie Soßen mittels Fett aus der PlastikFlasche kreieren. Zu denen würde ich als Koch nicht gerade ins Restaurant gehen. Man merkt, daß sie nur noch aufs Geld aus sind und nicht mehr aus Leidenschaft kochen. Vielleicht sehen wir so manchen bald im Dschungelcamp: A bissl Maden, a bissl Würmer, a bissl Bissl. Bissl rühren, bissl anbraten. Aber nur a klanes Bissl. Da konnst nix falsch mocha. Des schmeckt imma.

    1. So ist es Thomso und, ja, schöne Idee, sehr schlüssig auch: die fortschreitende Selbstdemontage möge im Dschungelcamp enden, Mahlzeit!

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