Ein kulinarisches Wochenende in Valencia (3): Der will nicht nur spielen – ein Abend in 15 Gängen bei Querdenker Miguel Ángel Mayor (Sucede)

Miguel Ángel Mayor bietet in seinem Restaurant SUCEDE eines der außergewöhnlichsten Küchenkonzepte Valencias: eine moderne Reise in die kulinarische Geschichte der Stadt.

Als ich das erste Mal in Valencia war, hatte ich meine Laufschuhe vergessen. Riesenfehler. Direkt vor meinem Hotel, dem zentral gelegenen Valencia SH Palace Hotel liegt Valencias schönste Laufstrecke im grünen Herzen der Stadt.

Das ehemalige Flussbett des Turias ist heute ein blühender Garten von 9 Kilometern Länge der den Capçalera Park und die Stadt der Künste und der Wissenschaften miteinander verbindet.

Die Jardín del Turia-Gärten sind einer von Spaniens größten städtischen Naturparks, hier kann man die Stadt einmal von Westen nach Osten queren, zu Fuß oder mit dem Rad (das Rad ist ohnehin eine gute Idee ist in Valencia, es gibt viele Verleihe!).

Schon morgens ist man nicht alleine, die Laufstrecke ist wunderschön, ein Teil der Strecke ist mit einem besonderen lauffreundlichen Belag angelegt, es schwingt weich und Gelenk schonend. Hier hole ich mir Energie und Appetit für den Tag und den Abend. Heute besuchen wir Miguel Ángel Mayor, der wohl eines der außergewöhnlichsten Küchenkonzepte in Valencia bietet: eine moderne Reise in die alte kulinarische Geschichte der Stadt.

Das Entrée ist beeindruckend, zwischen Mauern ein schmaler Eingang der ohne die Leuchtschrift nicht aufgefallen wäre. Ein paar Treppen hinab, dann öffnet sich das Foyer des Restaurant SUCEDE, in einem der ältesten Gebäude der Stadt. Modernes Design in Stein gemeiselt. Die Steine sind sehr alt, schon die Römer kamen hier durch, die arabische Welt (Balansiya), die Christen. Wir sitzen an den Mauerresten der Stadtgrenze Valencias im 12. Jahrhundert.

Der Ort inspiriert Chef Miguel Ángel Mayor, seine Küche verknüpft die historische kulinarische Kultur der Stadt Valencia mit modernsten Küchentechniken. Und ein Blick auf die kulinarische Laufbahn des Chefs macht nochmal neugieriger: Mayor hat bei den klingenden Namen der spanischen Avantgarde gearbeitet, u.a. im Mugaritz, bei Quique Dacosta und im elBulli, bevor er mit dem SUCEDE den perfekten Platz für seine eigene Küche fand.

Der knochentrockene Blanc de Noir Cava Brut Nature „Particular“ macht uns locker und hellwach, dazu gibt es eine kühle Myrthen-Sphäre, serviert auf einer Glaszunge, gekühlte Wachteleier mit zitrusfrischen „Eigelb“ Raspel und noch ein Drink: kühler Honigwein mit Blaubeeren. Ich erinnere keinen derartig erfrischenden und belebenden Auftakt und man hat auch gleich leicht einen sitzen, herrlich!

Nüchtern betrachtet könnte man die folgenden Amuse als Spielerei betrachten, etwa die Mousse vom grünen Spargel in Knusperhülle, doch es schmeckt eben auch: intensiv das Aroma des Spargels, ein Vergnügen das Spiel mit Konsistenz. Die „Möhren-Cräcker“ sind mit Garum gewürzt, rund und würzig füllen sie den Mund. Und dann kommt das erste Highlight des Abends:

Papierdünn frittierte Hasenohren mit Schinkenschaum. Das sind die besten Chips die ich je hatte und das ist keineswegs abwertend zu verstehen. man wird sofort süchtig. (Am übernächsten Tag, bei der Auftaktveranstaltung zum Valencia Gourmet Festival, geht der Service mit diesem Snack durch die Reihen – wir stellen uns mehrfach strategisch günstig in den Weg).

Erinnert ihr Euch noch an meine Leidenschaft für Boquerones, der ich nicht nur im ersten Teil der Serie frönte? Miguel Ángel Mayors Interpretation dieses Klassikers ist nicht von dieser Welt: butterzartes Sirloin von der Ente, in einer Vinaigrette von haufenweise “Knoblauch“, aus gehackten Oliven, der Kaviar aus Anchovis-Perlen machen die Illusion „Boquerones“ perfekt. So gut. Dazu gibt es eine Art Corissantbrot, mit dem man auch für den Rest des Abends zufrieden wäre. Doch wir fangen gerade erst an.

Gebeizte Venusmuscheln mit Salzzitronenschaum und perfekt gekochte Miesmuscheln werden serviert, auf herzhaftem Bohnenmousse und einer Art salzigem Zitronenpudding. Tupfen einer grünen Salsa und eine Petersilien-Ingwer-Salat schaffen zusätzlich Frische.

Der „Bocadillo“, Spaniens belegtes Brötchen, kommt hier als zunächst überraschend süßes Baiser-Crépe-Gebäck mit Zedernnüssen belegt, die Boquerones darin sind würzig pikant bis scharf. Jeder Gang eine Aromenidee, die überrascht und dann auch aufgeht. Das gilt ebenfalls für die Austern mit Litschi und Mandeln, auf einer cremigen Koriander-Petersilien-Sauce.

Ein entscheidendes Detail des Trüffelcarpaccio „Carbonara“ mit Toffee-Likör, ist der gewärmte und gepfefferte weiße Schinkenspeck, den man beinahe übersieht, dafür umso merklicher im Aromenspiel wahrnimmt. Ein schlotziger Crowd-Pleaser, ich mag sowas.

Ganz klar ist der Gang mit geröstetem Knusperbein auf etwas alberner Trüffelspülbürste angerichte (ja, die kann man auch kaufen) Kopf und getrüffelter Schwanz natürlich perfekt gegart, an einem winzigen Tupfen Krustentiersauce, in dem man aber geschmacklich Metertief tauchen kann.

Zartsplitternde Granatapfel-Knusperblätter mit Tahin-Sesamperlen begleiten Mayors „Albondigas“, Geflügel-Farce-Bällchen, serviert mit Hühnermagen frischen Pistazienkernen und rohem Wachtelei, in einer dichten Krustentier-Nage. Erst beim Schreiben fällt mir auf, wie kunstvoll das Menü gesponnen ist, wenn, wie bei den Trüffeln oder hier den Garnelen, ein Stück der Aromenwelt des einen, auch im folgenden Teller zu finden ist. Alles hängt zusammen.

Seehechtbacke wird serviert, unter einer reichen Hollandaise mit Bohnenkernen und Algenstücken. Und dann: Auftritt des Maestro, lässiger Typ, der auch selber bügelt, die Damen sind direkt begeistert!

Gebügelt Lorbeerblätter, die  Stücke von der Gänseleber mit Honig ihr Aroma schenken, angerichtet und gereicht mit Artischocken, Artischockencreme, gepickeltem Blumenkohl und weißem Spargel. Fast hätte ich geklatscht.

Weiter geht es mit einer fast schon cremigen Aal-Brühe kombinniert mit zartem Hummus. Die separat gereichten, süßen Baiser mit Ziegenfrischkäse und Räucheraal sind mir an dieser Stelle des Abends schon beinahe zuviel. Das Ganze bildet den geschmackliche Auftakt für einen spektakulären Gang:

Eine Aalwurst, gefüllt mit Hasenhack, pointiert abgeschmeckt mit Estragon in rauchiger Creme, Senfschärfe – das europäische Mittelalter grüßt, doch es geht gleich weiter in den arabsichen Raum, mit einem Fleischgang, mit Lamm-Variation, orientalischen Aromen, mit rohen Feigen, Lamm-Innereien mit Auberginencreme und frischem Fenchel, Mangoldwickeln mit Datteln und Pinienkernen und einer dichten Umami-Lamm-Nage.

Zum Käsegang kommt Ziegenfrischkäse der kurz in Koji fermentiert wurde, dazu Honigwaben und papierdünnes Röstbrot.

Es folgen Süßigkeiten, wie aus Tausend und einer Nacht. Eine Nocke samtiges Bananeneis mit einer Creme die mich, durchaus passend, an Frankfurter Kranz erinnert, ein „Cupcake“ aus Erdnusscreme und Himbeere, Kürbis-Marshmellows und Himbeer-Grüntee-Schnitten.

Ein spannender Abend, ein Abenteuer abseits der gängigen Aromenbilder, oft überraschend, hier und da auch durchaus fordernd, einfach toll. Die gute Beratung des Sommeliers muss erwähnt werden, wir hatten großartige spanische Weine am Tisch – haben aber auch viel stilles Wasser getrunken, um den Gaumen und den Geist immer wieder frisch zu machen, für dieses Aromen-Langlauf. In der Küche arbeiten sieben Köch*innen, im Service sind es 5 Mitarbeiter*innen, die das Sucede Menü pro Abend für höchstens 25 Personen bereiten. Reservierung empfohlen!

Offenlegung:

Ich danke dem Tourismboard Visit Valencia (VLC) für die Produktionshilfe und Organisation der Reise zum Valencia Culinary Festival 2020.

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