Ich liebe Sherry, diese unfassbar vielschichtigen Weine aus dem Süden Andalusiens, die beinahe ausschließlich in den offenen Kellern der Bodegas entstehen. Naturschönheiten die dort unter einem Naturhefe-Flor, im Fass und dem Solera- und Criadera-System, zu brillanten, klaren und kühlen Aromenwundern reifen. Seit ich die Region um Jerez de la Frontera, El Puerto de Santa María und Sanlúcar de Barrameda 2008 zum ersten Mal besuchte (hier ein paar Fotos der Reise auf flickr), schätze ich Sherry gerade auch als Begleiter zu Speisen – eine superspannende Angelegenheit. In Jacobs Restaurant hatten gestern Abend 25 Gäste das große Vergnügen zu erschmecken was passiert, wenn sich ein Sternekoch des Themas annimmt – Thomas Martin kochte vier Gänge zu den ausgesuchten Weinen des Sherry Educators Peer F. Holm. Und der hatte ein paar echte Schätzeleins dabei!
Doch zunächst galt es, wie immer beim Sherry, mit ein paar Vorurteilen und Gerüchten aufzuräumen, das blieb auch Herrn Holm nicht erspart, der zum Auftakt im Keller des Hotel Louis C. Jacob die Sache launig anging: das Drama um den Sherry beginnt in Deutschland ja schon im Supermarkt, wo der Wein stets unter den Spirituosen zu finden ist. Überraschung auch: die geöffneten Flaschen der Großeltern schmecken nicht mehr, Sherry wird frisch getrunken, Flasche auf, und gemeinsam genießen. Nach drei Tagen spätestens ist geöffneter Sherry drüber. Sherry wird gkühlt bis knackig kalt serviert. Und zwar am liebsten in Weingläsern, in denen sich die Aromen entfalten können. Sherry Copitas? Können weg. Im Keller zum Auftakt im richtigen Glas: ein knackfrischer Manzanilla La Gitana von den Bodegas Hidalgo.
Zum Menü-Auftakt eine Deutschland-Premiere! Der Tio Pepe Fino En Rama 2017 von Gonzales Byass – ein junger, ungefilterter Sherry, direkt aus dem Fass, vor vier Tagen, am 21. April abgefüllt und per Express verschickt – taufrisch! Den gibts nur einmal im Jahr, historisches Etikett, trinkreife: gerne jetzt und noch ein dreiviertel Jahr. Ein wildes, leicht kräutriges Vergnügen, mit Noten von rohen Nüssen und Weißbrot, Hauch Salz, crisp. Der zweite Wein zum ersten Gang ein Manzanilla Solear Barbadillo, geschmeidige Frische.
Thomas Martin serviert dazu ein Hummer-Salpikon, abgekürzt könnte man zusammenfassen: der wohl beste Hummersalat den ich je aß. Im Detail, vielschichtiger: nussiger Hummer, leichte Sauce, große, knackige Selleriestücke, frischer grüner Apfel in Julienne, ein Fenchelsalat on top, gefriergetrocknete, herrlich salzige Olive, ein ganzes Limettenfilet. Grandios, mit jedem Happen mehr Geschmack, deutlich gewürzt, elegant abgestimmt, selbst in den Schnittarten durchdacht. Das ist er, der neue Thomas Martin, der erst kürzlich seine, immer schon großartige Küche, von jedem modischen Tand befreite, verschlankte, und heute ganz konzentriert einzig der Komposition und dem Geschmack verpflichtet ist! Der Manzanilla dazu schmeichelnd, der wilde Fino spannend.
Zum zweiten Gang ein Fino Tradicion der Bodegas Tradicion, in der Nase Noten von Champignons, grüner Feige. Eine noch junge Kellerei, die sich auf gereifte Weine spezialisiert hat. Der Manzanilla Pasada “Bota Punta” der Equipo Navazos, reich, “traubig” und vielschichtig, hier sind schon schöne Rosinennoten eingebettet, ein Hauch Holz, geröstete Nuss – könnt ich mich reinlegen!
Das sind gereifte, aber immer noch knochentrockene Weine, gereifte Finos und Manzanillas, zehn bis zwölf Jahre alt, aus langjährigen Soleras, leichte Oxidation, altersschön. Hier braucht es Salz, eine cremige Fettigkeit wäre schön. Thomas Martin serviert roh marinierten Loup de Mer von herausragender Qualität und Biss, mit Avocado-Tranchen, frischem Koriander und einer tiefsalzig-süßen Soja-“Vinaigrette”.
In den Gläsern zum Hauptgang ein Lustau Oloroso V O R S, very old rare sherry, minimum 30 Jahre “alt” und ein Amontillado “Quatro Palmas” von Gonzales Byass, für mich der Schönste unter den unvergleichlichen Weinen des großen Abends: nussige Tiefe mit Röstaromen, Säure wie Ponzu, Süße von Toffee, Würze von Kakao, Tabac, oxidative Reife, an die 50 Jahre alt.
Thomas Martin serviert dazu ein Schmorgericht, Ochsenschulter in tiefdunkler Sauce mit Sellerie und Zwiebeln, Schalotten und Perlzwiebeln, die Perlzwiebeln ungewöhnlich fruchtig, kirschig. Ich hätte gerne gefragt, wie er es gemacht hat, Thomas Martin schaut leider nicht kurz rein, an diesem Abend. Er ist ein Meister der Saucen und kocht lange schon mit fortified wines, zu denen auch Port und Sherry gehören. Ich empfehle an dieser Stelle vertiefend das Kreuzgespräch, dass ich 2011 für das Mixology Magazin mit Thomas Martin und Jörg Meyer (Le Lion Bar) führte – hochspannend wir Bar und Küche da zusammen kommen!
Im Restaurant das süße Finale, Peer F. Holm schenkt absichtlich keinen Pedro Ximénez aus, DEN Dessert- und Käse-Wein der Region (zu Kuchen mit Trockenfrüchten, über Eis!), der Sherry-Educator hat sich für einen Cream entschieden, aus den Bodegas Tradicion, die wir schon zum Loup kennen lernen durften. “Gegenspieler ist ein Moscatel von Gutiérrez Colosía, einer meiner Lieblingsbodegas. Apfelig blumig kommt der daher, Quitte ist mit dabei, traubig, feine Süße. Der Cream dazu ein Mundvoll, deutlich süß gereift, rosinig, schon in Richtung Pedro Ximénez.
Thomas Martin serviert dazu eine “Lemon Meringue Tarte” von ebenso deutlicher Süßer, fein kontrastiert durch säuerlich-erfrischendes Eis. Ein perfect match – denn der Cream begleitet die Tarte formidable, der Colosia umschmeichelt das Eis. Und dann war da noch die freundliche Dame mir gegenüber, die beinahe entschuldigend anmerkte, sie bestelle grundsätzlich lieber Käse zum Dessert! Ich äusserte allergrößtes Verständnis, das mit der Hälfte des georderten Käsetellers belohnt wurde: “Mir ist es eh zuviel, nehmen Sie!” – und da zeigte sich der Colosia nochmals als großer Begleiter zum Friesisch Blue von Backensholzer Hof.
Nach einem solchen Abend wundert man sich einmal mehr, warum alles in Mode kommt, nur Sherry ist immer noch einem kleine Kreis von KennerInnen vorbehalten. Dabei wartet da eine ganze Welt darauf, entdeckt zu werden. Hier im Blog wird es in diesem Jahr einen kleinen Sherry-Schwerpunkt geben, denn ich werde zusammen mit zehn NutriCulinary-LeserInnen auch selbst am Social Media-Sherry-Tasting 2017 teilnehmen und freue mich darauf, ein mergängiges Menü zu den unterschiedlichsten Sherry-Stilen zu entwickeln – im Herbst geht es dann hoffentlich auch mal wieder ins Sherry-Dreieck und auf Entdeckungsreise – die hier beginnen kann:
Spannende Sherry-Seiten:
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