Interview: “Nicht lang gefackelt, reingedackelt!” – das Fotoprojekt Zuckerbrot & Spiele

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Das Personal auf Kirmes, Rummel, Dom, Wiesn und Wasen verrichtet seine Arbeit überwiegend routiniert und unaufdringlich, es wird nicht viel geredet, allerhöchstens die Koberer der Fahrgeschäfte geben sich gespielt geschwätzig “immer wieder, auf und nieder, jetzt nochmal dabei sein, nicht lang gefackelt – reingedackelt!“. Der Hamburger Dom ist über die Stadtgrenzen hinaus zur Institution geworden, dreimal im Jahr lockt das große Volksfest auch viele Touristen aufs Heiligengeistfeld, 11 Millionen Besucher waren es im letzten Jahr. Die Schausteller, die über Generationen hinweg oft seit Jahrzehnten dabei sind, kennt kaum jemand.

Für ihr Projekt Zuckerbrot und Spiele haben sich die Fotografen Maurice Kohl und Bjoern Gantert den Schaustellern genähert, über ein Jahr Vertrauensarbeit geleistet und schließlich die SchaustellerInnen in ihrem Fotostudio, abseits des Rummels, portraitiert. Herausgekommen sind sehr persönliche, stolze und wahrhaftige Portraits, die viel erzählen und die Menschen vom Dom in den Mittelpunkt stellen, durchaus auch humorvoll inszeniert.

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Erste Einblicke bietet das Schausteller-Quartett “Zuckerbrot und Spiele“. Ein Buch ist in Arbeit, Maurice und Björn suchen derzeit noch einen Verlag! Ein spannendes Propjekt, ich habe Maurice Kohl Anfang November zu einem Gespräch getroffen:

Maurice, mit dem „Zuckerbrot und Spiele“-Quartett legen Dein Kollege Bjoern Gantert und Du einen ersten Auszug berührender Portraits der Schausteller vom Hamburger Dom vor, für dass ihr aktuell auch einen Buchverlag sucht. Wie entstand die Idee zu diesem ungewöhnlichen Projekt?

Ich komme aus dem Rheinland. Dort gibt es zwar Kirmes, allerdings hauptsächlich im Herbst und dann nur für einige Tage. So etwas wie den Dom, ein Volksfest, das 3 mal im Jahr für 4 Wochen in der Stadt veranstaltet wird, kannte ich nicht. Als ich dann ins Karolinenviertel direkt gegenüber des Heiligengeistfeldes zog stand für mich schnell fest: dazu will ich ein Fotoprojekt machen. Und da in meinem fotografischen Schaffen immer der Mensch im Mittelpunkt steht, war schnell klar, dass ich die Menschen fotografieren wollte, die auf und für den Dom leben: die Schausteller. Diese bleiben aber für die meisten Besucher beinahe unsichtbar hinter ihrem Tresen. Spektakuläre Fahrgeschäfte, Süßigkeiten, Lichter, Gerüche, laute Musik ziehen die Aufmerksamkeit auf sich.

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Als mein Freund Bjoern (auch Fotograf) und ich dann die ersten Schausteller ansprachen, ob sie Lust hätten sich von uns in einem Studio porträtieren zu lassen, waren die meisten auch erstmal etwas unsicher. “Ohne meinen Stand? Ohne Schmalzkuchen, Stofftiere, Bratwurst etc?” Das war vielen erst mal unheimlich. “Wer interessiert sich denn schon nur für mich?” Die waren erstmal baff, dass es um sie als Person geht. Und an diesem Punkt wurde es interessant. Viele haben es dann schon genossen, das es um sie geht und sie haben sich immer mehr geöffnet und gemerkt, dass wir uns wirklich für sie und ihr Leben interessieren. Ganz wichtig war es für uns, die Schausteller stolz und würdevoll abzubilden. Denn das ist das Verbindende bei fast allen Schaustellern: die kompromisslose Leidenschaft für ihren Beruf. Die meisten gehen nicht in Ruhestand, weil sie sonst keinen Lebensinhalt mehr hätten. “Ich arbeite so lange bis ich umkippe und weg bin!” Das haben wir oft von den Schaustellern gehört.

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Wie lange habt Ihr an dem Projekt gearbeitet und wie entstanden die Portraits?

Auf dem Sommerdom 2012 haben wir begonnen die Schausteller auf dem Dom anzusprechen. Wir haben dann Termin gemacht und etwa 20 Schausteller ins Studio geholt und porträtiert. Das Gleiche haben wir dann mit anderen Schaustellern während des Winterdoms 2012 und während des Frühlingsdoms 2013 wiederholt. Insgesamt haben wir ca. 62 Schausteller zwischen 11 und 87 Jahren porträtiert. Vom Bäcker und der Fischbrötchenverkäuferin über die Frau von der Schießbude bis zum Scherenschnittkünstler oder der Wahrsagerin.

Gab es eine Aufwärmphase mit den Schaustellern, das ist ja schon eine verschworene Gemeinschaft, oder?

Ja, die Schausteller sind schon ein eigener Schlag Mensch. Das war ja für uns auch eben das Interessante, diese eigene Welt, von der man eben so wenig sieht und weiß. Das liegt natürlich daran, dass viele Schausteller erst mal ziemlich knurrig und verschlossen sind. Wir haben schon bei einigen eine ganze Weile gebraucht, bis das Eis gebrochen ist, sind dann fast jeden Tag über den Dom gelaufen und haben immer wieder einige freundliche Worte mit den “Zögerlichen” gewechselt, bis wir sie endlichVertrauen zu uns gefasst hatten. Einige Schausteller haben auch schon schlechte Erfahrungen mit Fotografen gemacht. Damit wurden wir eben auch konfrontiert. “Die haben zwar versprochen, Bilder zu schicken. Dann habe ich nie wieder etwas gehört”. Das wollten und mussten wir natürlich besser machen.

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Jeder Schausteller hat von uns Post mit einigen Fotoabzügen bekommen. Außerdem haben wir jedem ein Spielkarten-Quartett geschenkt, als Dankeschön. Wenn wir heute über den Dom laufen ist es immer ein bisschen wie ein Familientreffen. Dann werden wir hier auf eine Cola eingeladen, dort zu einer Pizza oder zu einem Schmalzkuchen und wir quatschen mit den Schaustellern über das Projekt, aber viele vertrauen uns auch ihre Pläne, Wünsche und Sorgen an. Das ist schon toll zu sehen, wie nahe wir einigen Menschen nach der Zeit gekommen sind.

Gab es Menschen oder Begegnungen die Euch ganz besonders beeindruckt haben?

Ganz besonders ins Herz geschlossen haben wir Helmut, den Domältesten, der Großvater dem Hamburger Doms sozusagen. Er war auf dem ersten Dom nach dem 2. Weltkrieg auf dem Heiligengeistfeld 1948 dabei und sitzt bis heute noch an der Wurfbude. Helmut hat echt schon alles erlebt, z.B. noch die Kuriositäten-Schau, wo noch bis weit in die 1950er Jahre Kleinwüchsige, Farbige oder Kraftmenschen zur Schau gestellt wurden. Oder aber “Mama Blume” die Wahrsagerin, geboren 1926 in Schlesien, bezeichnet sie sich selbst mit Stolz als “Zigeunerin”. Während der NS Zeit durfte sie nicht wie andere Kinder in die Schule gehen, lernte statt Lesen und Schreiben von ihrer Mutter aus Karten und Händen zu lesen. Sie überlebte die KZ Gefangenschaft und lernte dort ihren Ehemann kennen. Sie legte für die Nazis die Karten, er sag und spiele Gitarre. So überlebten beide und zogen nach Hamburg, wo “Mama Blume” alias Hilde Rosenberg bis heute zusammen mit ihrer Tochter “Esmeralda” alias Simone Rosenberg lebt und arbeitet. Oder Werner Elvis Arbeiter, 62 und der größte Elvisfan, den ich kenne. Sein bescheidener Wohnwagen von 2×2 Metern ist mit Elvispostern, Platten, CDs, Platten, Teller usw. vollgestopft, selbst sein Körper ist mit dem ein oder andern Elvis Tätu “verziert”. Elvis kommt aus einem schlechten Elternhaus. Er wuchs teilweise im Heim auf, bis er zu Besuch auf dem Dom war und das Schild “Junger Mann zum Mitreisen gesucht” sah. Seit dem ist er dabei. Vor 10 Jahren hatte er einen schweren Schlaganfall, aber sein Chef, Edgar Rasch von Zuckerwaren Rasch hat ihn bei sich aufgenommen. Er arbeitet das, was er kann und sehnt sich danach endlich wieder eine Frau an seiner Seite zu haben.

Essen und Genuss spielen ja auch eine wichtige Rolle beim Dom, hast Du ein paar kulinarische Tipps für uns?

Ja klar. Für mich ist die Pizza von Egon Greger (der Gentleman vom Hamburger Dom) von seiner “Pizzeria Mama Mia” am besten. Besonders die mit Camembert und Preiselbeeren. Als Toping gibt es eine sehr leckere Knoblauchsoße und dazu immer ein kleines Glas Rotwein, ziemlich lieblich, aber zu der Pizza einfach perfekt. Die leckersten Schmalzkuchen, jetzt muss ich aufpassen, aber für mich sind es doch die von Café Heidmann, gerne mit Marzipanfüllung oder ganz klassisch mit Apfel. Man sitzt in einem richtig gemütlichen Café mit Blick auf ein riesiges, altes Ölgemälde, ein Hamburgpanorama von der Lombardsbrücke auf den Jungfernstieg um 1800, und genießt den noch warmen Schmalzkuchen mit einem Kaffee oder einem Kakao.

Was nimmst Du mit aus Deiner intensiven Zeit hinter den Kulissen des Hamburger Doms? Welche Erkenntnisse und Eindrücke?

Das Schaustellerleben ist hart. Bei jedem Wetter den Dom auf- und abbauen, kein richtiges Zuhause. Immer unterwegs. Aber die, die so leben, lieben ihren Beruf. Und sie leben dafür, den Besuchern eine gute Zeit zu bescheren, sie ihre Alltagssorgen für einen Moment vergessen zu lassen. Das was alle gesagt haben, was Ihnen am Wichtigsten ist, ist die Freiheit. Auch wenn viele heutzutage ein recht bürgerliches Leben führen, schlummert in vielen doch auch immer noch ein Vagabund. Ich sehe darin auch ein wenig mich selber. Als freier Fotograf bin ich auch sehr viel unterwegs, lerne viele Leute kennen, habe meine Freiheit, trage aber auch das volle Risiko. Vielleicht fühle ich mich auch deshalb den Schaustellern so verbunden.

Zuckerbrot & Spiele – Die Schausteller vom Hamburger DOM from BjoernG photographer on Vimeo.

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Das Spielkarten Quartett mit 32 Schausteller-Porträts ist bereits erschienen und kann in den Läden von Mutterland (Mutterland.de), im Kaufhaus Hamburg (kaufhaus-hamburg.de), bei Sautter&Lackmann (sautter-lackmann.de), der Buchhandlung im Haus der Photographie (deichtorhallen.de) oder direkt über uns auf zuckerbrotundspiele.info für 9,90 bezogen werden. Im nächsten Jahr erscheint das Buch mit ca. 40 Porträts und Geschichten und Biographien einzelner Schausteller auf ca. 200 Seiten.

Links:

www.zuckerbrotundspiele.tumblr.com
www.facebook.com/ZUCKERBROTundSPIELE
Maurice Kohl
Bjoern Gantert

Die kommenden DOM-Veranstaltung 2014:

Frühlingsdom: 21.03.2014 bis 21.04.2014

Sommerdom: 25.07.2014 bis 24.08.2014

Winterdom: 07.11.2014 bis 07.12.2014