Immer wenn wir in den Urlaub fahren werden wir sofort krank, die Liebste und ich. Die ignorierten Infekte, die verschleppten Erreger, die unterdrückten Viren versammeln sich, warten bis wir im gepackten Auto sitzen. Totaler Zusammenbruch in drei, zwo, eins…Urlaub! Diesmal haben wir vorgesorgt. Wir haben den Krankheitsausbruch einkalkuliert und einen Kurzurlaub vor den Urlaub gestellt um die Viren zu verwirren. Wir haben uns selbst eingewiesen. Und zwar nach Bad Gastein.
Als mir die Liebste zum ersten Mal Bad Gastein vorschlug habe ich auch gelacht. Als ich die ersten Bilder von Bad Gastein im Netz sah nicht mehr. Ich bin im Dreiländereck der Bodenseeregion aufgewachsen, einen großen Teil meiner Kindheit und Jugend verbrachte ich fluchend und schwitzend auf den steinigen Gebirgspfaden Österreichs und der Schweiz. Ich kenne die Berge und habe seit zwanzig Jahren konsequent keine mehr betreten. Auf Bad Gastein hatte ich irgendwie Lust, schon auf den Fotos sah der Ort so…anders aus.
Als wir das gebuchte Hotel in 1000 Meter Höhe erreichen, haben wir schon ordentlich glühende Glumsen und stellen fest: es ist kein Reisefieber. Mit letzter Kraft schleppen wir uns und die umfangreiche Garderoben zweier Diven auf Europatournee ins Hotelzimmer. Der Blick vom Balkon wäre atemberaubend, hätte das nicht schon der brennende Hals und der geschwollene Rachen erledigt.
Unser Krankenlager: das Haus Hirt, ein modernisiertes Alpenhaus aus den zwanziger Jahren, gewährt von seinen Zimmern und Terrassen einen weiten Blick ins Tal und die umliegende Bergwelt. Charmant wurde die alte Substanz erhalten, erneuert und umsichtig erweitert, lichte Zimmer, geölte Holzfußböden und gradliniges Design prägen den einladenden Retro-Stil des 4 Sterne Hauses, dass ohne aufdringliche Folklore auskommt, seinen alpinen Standort dasbei aber nicht verleugnet.
Neben der stilvoll-eleganten Empfangshalle findet sich die wunderschöne Bar im Stil der 60er Jahre, die Bibliothek erfreut mit dicken Lesesesseln und Klassikern der Weltliteratur neben neueren Bildbänden zu Mode, Musik, Design und Architektur.
Die Auswahl an Zeitschriften und Zeitungen ist groß und ausgesucht. Die Zimmer sind funktional und angenehm unprätentiös. Schon am frühen Nachmittag wandert die Sonne an den talwärts gerichteten Balkonen entlang, wärmt altes Holz und Erholungssuchende gleichermaßen. Wir müssten hier nicht weg. Haus Hirt ist kein übliches Hotel, es ist ein Hideway, ein Rückziehungsort, ein Wohlfühlort.
Doch im linken Augenwinkel, am Ende des Tals, da wo sich die Berge zusammenschieben und den Horizont bilden, wartet der Mythos Bad Gastein.
Da türmen sich hohe Gründerzeit-Häuser auf steil abfallenden Felswänden, durch die Mitte des Ortes schneidet sich ein 100 Meter tiefer Wasserfall, atmet kühl eine Gruß aus den verschneiten Bergen in die engen Gassen, auch jetzt im Mai tragen die umliegenden Alpengipfel Restschnee.
Über einen gewundenen Hochweg, die Kaiser Wilhelm Promenade, gelangen wir in den legendären Ort. Alle waren sie hier, Fürsten, Könige, Kaiser, Komponisten, Dichter, Denker und Maler, Grillparzer, Freud, Schopenhauer, Klimt, Johann Strauss, Churchill, Kaiserin Sisi, Thomas Mann. Später kamen die Filmschauspieler, dann der Jet Set, die Industriellen. Heute sind nur wir hier.
Menschenleer liegen die Strassen und steilen Wege im gleißenden Sonnenlicht, die Grand Hotels der Belle Époque bröckeln tonlos, die meisten sind geschlossen, blinde Jugendstil-Fenster, verstaubte Schaukästen mit ausgeblichenen Fotos, die für braun gekachelte Heilangebote werben. Auf einem Bild sitzt eine medizinische Fachkraft vor einem Computer, Windows 98 steht auf dem Bildschirm. Ein letztes Foto.
Es muss ja nicht zwingend alles wiederkommen
Nur wenige Souvenirläden haben geöffnet, das Heimatmuseum ist geschlossen, auch das beeindruckende, zehnstöckige Grand Hotel de l’Europe hat zu, hier sang einst Liza Minnelli, heute beherbergt der Bau ein Spielcasino. Frisch gestrichen leuchtet eine Lutter & Wegner-Filiale am Steilhang. Der Chef des Berliner Gastro-Untenehmens ist gebürtiger Gasteiner. Die großzügige Terrasse mit Weitblick, das Restaurant, die Weinbar – geschlossen. Auch im Kaffeehaus Sisi bleiben wir allein. Die Saison beginnt erst im Juni erklärt die Dame in der Tourist-Information.
Der Gang durchs Wolkenkratzerdorf berührt. Geschichte überall und eine Ahnung von längst vergangenen Tagen, mondänen Bällen und großen Festgesellschaften, ein außergewöhnlicher Spaziergang durch morbide bröckelnde Kulisse. Leerstand auch im Hotel Straubinger, dem einst größten Hotel des Ortes, direkt am berühmten Gasteiner Wasserfall.
Der Lack ist ab: Eckart Witzigmanns Lehrbetrieb, das Hotel Straubinger
In diesem Haus absolvierte der 1941 in Bad Gastein geborene Eckart Witzigmann von 1957-1960 seine Kochlehre. Der junge Witzigmann litt daran, keinen Zugang zur „besseren Gesellschaft“ zu haben, die Türen der Grand Hotels blieben in der strengen Wirtschaftswunder-Klassengesellschaft Bad Gasteins nicht nur dem Sohn eines Schneiders verschlossen. Witzigmann beschloss das zu ändern. Ich empfehle an dieser Stelle wärmstens die Lektüre von Eva Gesine Bauers Buch Hamlet am Herd, ein Parforceritt durch ein bewegtes und arbeitsreiches Leben, dass dem Leser den Menschen Witzigmann näher bringt und begreifbarer macht.
Überraschend, erschreckend und bisweilen tragisch liest sich Eva Gesine Bauers Erzählung einer kulinarischen Weltkarriere die im mondänen Bad Gastein von einst seinen Anfang nimmt.
Das Straubinger steht leer, die Fenster sind verrammelt, der Putz bröckelt auch hier von der Fassade und wie viele Gebäude der Stadt ist das einstige Grand Hotel umzäunt, kein Durchgang, Zutritt verboten, vorübergehend geschlossen, überall im Ort finden sich Schilder und Zäune, Bad Gastein welkt inmitten einer unvergleichlichen Berglandschaft.
Unsere Gastgeber, der Wiener Architekt Ike Ikrath und seine Frau die Hotelmanagerin Evelyn Ikrath engagieren sich, nicht nur mit ihren Hotelprojekten Haus Hirt und Miramonte, für einen Neuanfang.
Gemeinsam mit anderen engagierten Gastronomen und Querdenkern möchten sie dazu beitragen, den Tiefschlaf Bad Gasteins zu beenden und den geschichtsträchtigen Ort für eine neue Besucher-Generation öffnen. Die eindrucksvolle Alpen-Landschaft allein, der 18-Loch-Golfplatz, das restaurierte Felsenbad, der winterliche Skibetrieb und das Radon-haltige Thermalheilwasser reichen einfach nicht, um Ort und Region wieder zu beleben. Frischen Ideen sind gefragt, innovative Konzepte und nicht zuletzt: gute Küche!
Im Haus Hirt lässt es sich sehr gut essen. Der Morgen beginnt hier mit einem beglückendem Frühstücksbüffet, dass bis zum frühen Mittag bereit gehalten wir. Neben frischem Obst und knackigem Gemüse, italienischer Salami, diverser Käsesorten einem beglückendem Angebot aus verschiedenen Broten und Säften, gibt es feine Überraschungen wie das cremige Quinoa-Müsli mit Safran und Rosinen, das warm serviert wird. Beinahe nahtlos fügt sich das Light Lunch an, ein üppiges Salatbüffet plus warmem Mittagsgericht, zum Beispiel ein krosses Backhendl mit etwas zu sorglos geputztem Feldsalat und steirischem Kürbiskernöl, ebenfalls Mittags aß ich die besten Kässpätzle seit ich vor über zwanzig Jahren meine schwäbische Heimat verließ. Die Kasnocken überzeugten mit Biss durch Zugabe von Dinkelmehl und kräftiger Würze durch den herausfordernden Einsatz von Käsesorten mit Charakter.
Abends lockt ein täglich wechselndes Menü mit Salatauswahl, einer Suppe, Hauptgang wahlweise mit Fleisch, Fisch oder Vegetarisch, Dessert und Käseauswahl. Die Küche ist handwerklich tadellos und, angenehm unaufgeregt, überwiegend regional ausgerichtet: Selleriecremesuppe mit Oliven-Gremolata, Tafelspitz auf Creme-Spinat mit Apfelkren und Röstkartoffeln, rosa gebratenes Nüsschen vom Pongauer Milchlamm mit Thymianjus, Fisolengemüse (grüne Bohnen) und perfektem Kartoffelgratin, gegrillte Bio-Kalbsleber, pochiertes Wallerfilet mit Krengemüse und Erdäpfeln, Steinpilzravioli mit Parmesansauce oder ein Melanzanicurry. Zum Abschluss Rahmdalken (eine Art süßer Pfannkuchen) mit süß-saurem Marillenragout, eine Caramellcreme, eine Limetten-Joghurt-Terrine.
Wir gesunden schnell. Auch weil ein hervorragendes Angebot an österreichischen Weinen die Menüs begleitet. Schon seit Jahren propagiere ich die heilende Wirkung von Wein, insbesondere Rotwein, umfangreiche Feldversuche bestätigen meine Theorie stets aufs Neue! Diesmal fallen mir aus rein therapeutischer Sicht insbesondere die stark gesundheitsfördernden Weine vom Weingut Glatzer auf, der 2007er Zweigelt Rubin Carnuntum beispielsweise harmoniert sehr schön mit einer abklingenden Erkältung, ebenso der Red Pitt 2007 von Pittnauer am Neusiedler See.
Jetzt wo ich diese Zeilen schreibe, regnet es. Auch egal. Interessierte locken zahlreiche „Anwendungen“ im hauseigenen Spa mit Pool. Und eben hat Gastgeberin Evelyn Ikrath ein Papier mit Regenwetter-Alternativprogramm hereingereicht. Ausflugs- Erlebnis und Sportangebot, Tagestouren und (Rad-)Wanderungen werden hier täglich frisch angeboten. Mir wäre das ja zu anstrengen.
Ich bleib jetzt einfach hier sitzen. Schreib ein wenig ins Internet. Freu mich auf die nächste Mahlzeit. In der gemütlichen Bibliothek. Mit Bergblick. Da muss ich gottlob auch nicht mehr rauf. Schön ist das hier. Die Nase ist jetzt auch frei, der Hals kratz gar nicht mehr. Die Liebste taucht seit Stunden in einem Buch. Das muss diese Erholung sein von der immer alle schwärmen. Und gleich fahren wir schon wieder in den Urlaub.
Links:
Hotel Spa Haus Hirt
www.haus-hirt.com
Hotel Miramonte
www.miramonte.com
Bad Gastein, Region Gastein Tourismus:
www.gastein.com
Lesenswerte Artikel mit vielen Hintergrundinformationen und Einblicken:
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derstandart.at
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zeit.de