Wilde Minze – finden Kinder so mittelspannend
Am Wochenende hatten wir Kinder. Eines der beiden, meinen fünfjährigen Patensohn, hatten wir seinen Eltern entliehen, bei Abholung seufzte seine große Schwester (9) selig: „Wir sind alle froh, wenn er weg ist.“ Kind Nummer Zwei brachten Schwägerin und Schwager mit zum Haus am See, ein zweijähriges Mädchen mit den sprachlichen und motorischen Fähigkeiten einer Fünfjährigen.
Meine Hoffnung auf ein wenig Erholung, verlor sich gleich nach der Ankunft. Der Bootssteg wurde gestürmt, Fallnetze ausgeworfen, tote Köderfische rumgereicht, das alte Ruderboot aus dem Gebüsch gezerrt und flott gemacht („für nach dem Abendbrot!“), ein Fußballturnier ausgetragen, Tischtennis gespielt, und Federball, und Softball und das alles in der ersten Stunde.
Mein Beitrag zum bunten Treiben kam hingegen nicht so gut an: „Oh-ho! Kiiinder! Kommt mal schnell! Hier, ich habe wilde Minze gefunden! Nehmt mal jeder ein Blatt in die Hand und jetzt zwischen zwei Fingern zerreiben, und jetzt riecht da mal dran!“ Die Kinder sahen mich mit jenem Blick an, der Mütter sagen lässt: „Kuckt da nicht so hin Kinder, der Mann ist gaaanz doll krank!“
Überhaupt habe ich viel gelernt über Kinder an diesem Wochenende. Wusste Sie dass Kinder im Alter von fünf Jahren nicht zwingend Freude am Mittagsschlaf haben, diesen sogar vehement verweigern, obwohl der Patenonkel flehend darum bittet und einen Mittagsschlaf dringend nötig hätte? Keine Chance! Stattdessen: ein mehrere Stunden andauerndes Kartenspiel namens Halli Galli Junior, drei Runden Memory, Fußballturnier-Rückrunde, Spaziergang zum geheimen Haus über den Rumpelstielzchen-Weg und die Pferdekoppel bis zur Badestelle und zurück mit dem Duracell-Patensoh. „Jetzt angeln, du hast es versprochen“, ruft das Kind in die einbrechende Dämmerung.
Auch habe ich an diesem Wochenende versagt. Und zwar so richtig. Unglücklicherweise auf meinem Spezialgebiet: der Ernährung. Kinder ernähren sich nämlich völlig anders als ich mir das bislang so vorgestellt und/oder gewünscht hatte. Treue Blog-LeserInnen wissen es: nicht gerade Pathos-arm weise ich immer wieder darauf hin wie wichtig es ist Kindern den Zugang zur Kulinarik zu ermöglichen, gute Ernährung bedingt Gesundheit und Lebensglück wiederhole ich, nicht nur auf Nachfrage, nimmermüde. Ich muss nun aber leider annehmen, dass ich das mir anvertraute Kind am Wochenende in die Fettsucht getrieben habe, bald schon wird es allerlei Mangelerscheinungen haben und ein trauriges Leben als williges Opfer der Fastfood-Industrie fristen.
Nehmen wir nur mal den Samstag. Beide Kinder „frühstücken“ auf Anfrage ein dick mit Butter bestrichenes („ich kann das schon selber!“) Nutella-Brötchen („ohne Körner, ohne Körner, ohne Körner!“), dazu ein Ei („kann ich noch eins?“). Die liebevoll geschnittenen Gurkenrädchen und Tomatenecken, welche die Schwägerin dazu stellt, essen die Erwachsenen.
Der Tagesausflug führt uns in einen Tierpark mit Hüpfburg und Autoscooter, wir Erwachsenen sehen uns Rehe an. Die Zeit schleicht durch den Waldlehrpfad. Zum Mittagessen Einkehr im Tierparkrestaurant. Dumpfer Kirmes-Techno wummert durch den braungelben Gastraum mit Resopal-Tischen und Kuchenbuffet („Himbeertraum“ und „Donauwelle“). Der eingeschweißten Speisekarte entnehmen wir dass es hauptsächlich Pommes Frites gibt, mit irgendwas dazu. Oder Gulaschsuppe. Todesmutig bestellen die Frauen Gulaschsuppe, wir Männer nehmen Currywurst mit Pommes, die Kinder bekommen nur Pommes („die sollen nicht immer Fleisch“). Zum Nachtisch gibt es ein Cola-Eis für das Patenkind, die Kleine leckt an einem rosafarbenem Miss Kitty-Eis.
Abends koche ich auf vielfachen Wunsch Spaghetti Bolognese. Salat lasse ich weg, der ging schon gestern Abend überhaupt nicht gut. Die Bolognese soll eine Kinder-Bolognese sein, da sind sich alle außer mir einig. Meine „Bolognese“ ist eher ein Ragù, mit irrsinnig vielen Zutaten und kompliziert, ich koche es immer mit Olivenöl, Knoblauch, Zwiebeln, Rotwein, kleinen Würfeln von Möhren, Sellerie, getrocknetem Speck, Rinderhack, Tomatenmark, kräftiger Brühe, einer Dreifaltigkeit aus frisch gehackten Tomaten, Dosentomaten, getrockneten Tomaten, dazu Thymian und Lorbeer, Salz und schwarzer Pfeffer, stundenlang eingekocht, bis das Sugo glänzt und dunkelrotbraun ist. An verwegenen Tagen schmore ich auch noch eine gewolfte Hühnerleber mit.
Kinderbolognese geht anders: Das werden Dosenstomaten mit gemischtem Hack und einem ordentlichen Schuss Ketchup verkocht, salzen und fertig. Ich kann das nicht. Auch, finde ich, sind wir Erwachsenen doch in der Überzahl. Ich würfle also trotzdem heimlich eine Zwiebel und eine zwei Knoblauchzehen dazu, und weil mir einfällt, dass die Kinder in den vergangenen Tagen nicht ein Fitzelchen Gemüse gesehen haben, schneide ich eine riesige Möhre in winzige Brunoise .
Später am Tisch lerne ich: leider essen die Kinder gar keine Bolognese. Wenigsten probieren? Och nö. Die Kinder bestellen Nudeln mit Butter und Tomatenketchup, drohen mit Heulkrampf, wenn nicht sofort…ich bin entsetzt. Ich bin auch ein bisschen beleidigt, lächle aber tapfer, nur die Liebste bemerkt die Mikro-Mimik dazwischen. Schweigend essen wir Erwachsenen die Kinder-Bolognese, esslöffelweise geriebener Parmesan und ordentlich schwarzer Pfeffer helfen.
Vor dem Schlafengehen ließ ich den Tag kulinarisch Revue passieren: ein Butter-Nutella-Weißmehlbrötchen, ein Ei, Pommes rot-weiß, Wassereis, Spaghetti mit Ketchup. Die armen Kinder. Ich musste handeln! Am nächsten Tag habe ich dann zum Grillfest mit Würstchen und Ketchup hausgemachten Kartoffelsalat mit Frühlingszwiebeln serviert, Tomatensalat und extra für Kinder: Nudelsalat mit Mais, bunten Paprika und Erbsen! Nudelsalat ist sowieso der Renner bei den Kindern, gerade mit Mais und Erbsen! Mais und Erbsen, das essen alle Kinder gerne!
Dachte ich.