Als diesjähriger Deutschlandbotschafter für HostMilano der führenden Fachmesse in der Horeca- und Gastgewerbewelt, teile ich Einblicke und Entwicklungen auch in einer Beitragsreihe auf NutriCulinary.
In meiner Lehrzeit galten Vegetarier – Veganer waren Ende der 1980er-Jahre noch weitestgehend unbekannt – als Störfall im Küchenablauf. Hektisch wurde eine Hollandaise aufgeschlagen, das wertvolle Mise en place aus geschnitzten Gemüsen auf einen Teller drapiert. Heute sind wir dankenswerterweise ein paar Schritte weiter.

Angst vor Vegetariern? Lehrling Paul (rechts) ist ums Gemüse-Mis en place besorgt.
Gedrucktes Fleisch und neue Produktwelten
Die Industrie übertrifft sich mittlerweile mit Imitaten, die echtem Fleisch immer ähnlicher werden. Unlängst verkostete ich eine Reihe von Produkten, die beim Unternehmen Redefine Meat aus dem Drucker kommen: In Schichten kombiniert der Printer – in geschützten Rezepturen – pflanzliche Komponenten mit Namen wie Meat™, Alt-Muskel™, Alt-Fett™ und Alt-Blut™ zu kompakten Stücken.

»Schatz, haben wir noch Fettpatronen?«
Aus dem Drucker: 1. vietnamesisches Hack 2. Cheeseburger 3. Köfte 4. Flanksteak
Die Textur der Druckerzeugnisse ist der von Fleisch erstaunlich ähnlich. Das „Flanksteak“ lässt sich sogar in Fasern zerteilen; insbesondere die dickeren Scheiben überzeugten mit fleischigem Biss.
Vegetarische Metzger – zwischen Nostalgie und Tierwohl
In Deutschland finden sich mittlerweile auch vegetarische Metzger wie Die Vegane Fleischerei, mit gut frequentierten Filialen in Hamburg, Berlin, Dresden, Augsburg und München. Verortet zwischen Nostalgie und Tierwohl, positioniert sich das Unternehmen auf der Website:
„Die Idee der Veganen Fleischerei entstand genau durch diesen Wunsch: Gewohnte Geschmäcker und Gerichte wie damals von Oma zubereitet – nur eben etwas moderner, nämlich ohne tierische Bestandteile. Mit der Philosophie ‘Friends Not Food’ sind wir angetreten, und sie dient uns jeden Tag aufs Neue als Motivation, die Welt ein klein wenig gerechter zu machen – für alle Tiere und Menschen.“

Kein Leberkäse in der Filiale in Hamburg.
Im Angebot sind auch to go-Varianten wie das „Kein-Leberkäse-Brötchen“ oder das „Kein-Pastrami-Sandwich“. Die kommen, zumindest in Biss und Würzung, schon recht nah ans Original heran.
Fleischersatz: Konsistenz, Würzung – und Gefühl
Und darum geht es ja bei Fleischersatzprodukten wie „Hähnchenfleisch“ oder „Burgerpatties“ aus Erbsenprotein: Vor allem um Konsistenz und eine geschickte Würzung. Ich bin immer wieder überrascht, wie zunehmend gleichgültig es beispielsweise bei einem Chili-Topf ist, ob dieser mit Hack oder Sojaschnetzeln angesetzt wird. Auch der vegetarische Döner mit „einmal alles“ oder die feurige Currywurst sind am Ende eher ein reines Mundgefühl unter kräftigen Aromen.
Kritik an Hochverarbeitetem – Sarah Wiener mahnt
Natürlich sind diese hochverarbeiteten Lebensmittel auch kritisch zu sehen. Sarah Wiener, bekannte Köchin und EU-Abgeordnete für die österreichischen Grünen, äußert sich skeptisch gegenüber hochverarbeiteten Fleischersatzprodukten.

Plädoyer für Bauch und Hirn – Sarah Wiener beim Nachhaltigkeitsfestival des Genussguide Hamburg, 07. März 2025
Sarah Wiener betrachtet diese als stark manipulierte hochverarbeitet „Nahrungsmittel“, die in Fabriken und Labors hergestellt werden: „Ich weigere mich, meinen Körper als Endlager für Produkte der Lebensmittelindustrie zur Verfügung zu stellen.“ Aus ihrer Sicht entfernen wir uns mit solchen Produkten von einer natürlichen Ernährung und der „gesunden Körperintelligenz“.
Mehr als Ersatz: Profilbildung durch pflanzliche Küche
Als Alternative funktionieren Fleischersatzprodukte längst auf vielen Speisekarten und Buffets. Zur Schärfung des Profils der eigenen Gastronomie bedarf es allerdings etwas mehr.
Da der Fleischkonsum allgemein zurückgeht und gleichzeitig Allergien zunehmen, bieten gerade in der gehobenen Gastronomie immer mehr Betriebe ein vegetarisches Menü an. Es unterscheidet sich nur unwesentlich vom „normalen“ Menü und ist oft zudem gluten- und laktosefrei. Es braucht eventuell einen Tick länger in der Konzeption, spart dafür bei Tisch Diskussionen und Erklärungen – ganz automatisch werden alle Gäste mitgenommen.
Neue Vorbilder: Emanzipierte Gemüseküche

Jeannine und Sebastian Frank im Gastgarten ihres Berliner Restaurants Horváth: emanzipierte Gemüseküche als Fine Dining Erlebnis
Andere Betriebe stellen direkt komplett auf vegetarische oder vegane Küche um und suchen im plant-based-Bereich neue Herausforderungen: Im Berliner Sternerestaurant Horváth pflegt Vorreiter Sebastian Frank seit Jahren seine kraftvolle und ausdrucksstarke „emanzipierte Gemüseküche“, die
„… ebenbürtig auch in Kombination mit fleischlich basierten Aromen und Würzungen gleichberechtigt Geschmack, Konsistenz und Textur mitbringt.“

In Salz gereifter Sellerie, so kostbar wie Trüffel – eine Signature-Zutat im Horváth
So erklärt der Wahlberliner mit österreichischen Wurzeln seine Philosophie auf der Homepage des Restaurants.
Fleisch und Fisch als Beilage – eine gute Idee von Rebecca und Matthias Gfrörer.
Und vor den Toren Hamburgs schöpfen Rebecca und Matthias Gfrörer von der Gutsküche auf Gut Wulksfelde aus dem Vollen. Seine Speisekarte bietet eine raffinierte Gemüseküche – gereiftes Biofleisch und heimischer Fisch können auf Wunsch aus der „Beilagenkarte“ dazubestellt werden.
Beispiele, die zeigen, dass die Beschäftigung mit vegan-vegetarischer Küche durchaus zur Schärfung des eigenen Profils beitragen und sogar die Philosophie eines Restaurants prägen kann. Dabei helfen Techniken wie Fermentation, Produkte wie Pilze, Koji, Garum, Shoyu oder Dashi, die eine herrliche Fleischigkeit in die grüne Küche bringen.
Neue Vorbilder: Emanzipierte Gemüseküche
Vor allem aber ist Wissen der Schlüssel zu einer Küche jenseits des Fleischersatzes. Eine Ausbildung zum vegan-vegetarischen Koch gibt es bislang noch nicht – zumindest aber Kursangebote für Zusatzqualifikationen. Angesichts einer wachsenden Gruppe junger Gäste, die gerne plant-based genießen, wäre es richtungsweisend, die Ausbildungsordnung für Koch/Köchin zu überdenken und neu zu formulieren.

Döner aus Austernpilzen, Pilz-Workshop mit Stevan Paul in Frankfurt am Main, 2024
Das forderte früh auch eine Petition rund um den Koch und Kochbuchautor Matthias Biehler (Vitamin V – Lehrbuch der vegetarischen und veganen Küche).
Im Nachbarland Östererreich ist man schon ein bißchen weiter, dort gibt es die vegan-vegetarische Kochausbildung seit Anfang 2025. Die wäre eventuell auch ein wichtiger Schritt, um dem Nachwuchs- und Fachkräftemangel zu begegnen.
Zu Hause durchstarten: Green Street - Streetfood vegetarisch

Eigene Rezepte, Erkentnisse und Entwicklungen in der vegetarisch-veganen Küche habe ich in meinem neuen Kochbuch Green Street (Brandstätter Verlag 2024) zusammengetragen!
