Am Beispiel Wein und Spargel
Bei Wein und Spargel gehört das Wissen um die Herkunft ganz selbstverständlich zum Bewertungskanon. Wir wissen, dass ein Riesling aus dem Kamptal anders schmeckt, als ein Riesling von der Mosel. Das liegt in erster Linie am „Terroir“, dass sich aus Bodenbeschaffenheit und Feuchte, Geländeform und Mikro-Klima zusammensetzt. Später erst, kommt prägend noch die Arbeit im Weinkeller dazu.
Der Rest ist Geschmacksache, gerade beim Spargel. Die streng regional geprägte Begeisterung der Deutschen zu ihrem Spargel ähnelt der Vereinstreue von Fußballfans. In Nordrhein-Westfalen erfreut der Walbecker Spargel aus den Sandböden des Niederrheinufers, in Hamburg isst man Spargel aus dem Alten Land, Brandenburg schwört auf Beelitzer Spargel, in Bayern ist Schrobenhausener Spargel weltberühmt. Hier sind Boden und Terroir mindestens so entscheidend wie das Heimatgefühl.
Das Koch.Campus-Experiment „Terroir Karotte“
Selten allerdings hat man die Gelegenheit, auch vergleichend zu verkosten – erst dann ist es möglich, die geschmacklichen Unterschiede pointierter zu erkennen, zu erfahren, zu benennen – und zu verstehen, welchen geschmacksprägenden Stellenwert Erdreich und Boden tatsächlich haben.
©Koch.Campus-Helge Kirchberger
Der diesjährige Koch.Campus in Wien bot dazu einen so einzigartigen, wie aufwendigen Feldversuch. Der Koch.Campus ist ein Zusammenschluss führender österreichischer Köche, Winzer, Gastronomen und landwirtschaftliche Produzenten, ein NGO für kulinarische Kompetenz. Insgesamt 30 Köche und 20 Produzent*innen haben sich bislang der Weiterentwicklung der Küche Österreichs verschrieben – Ziele sind Austausch, Forschung und Kommunikation zur Küche von morgen, und „dem Beispiel der nordischen Küche folgend, das Beste aus unserem Klimakreis“, wie es Präsident und Qualitätsbrenner Hans Reisetbauer zur Begrüßung formulierte.
Eine Möhre, aus sechs Regionen, in sechs Zubereitungen
30 KIlometer vor Wien – Josef Flohs Gasthaus „der Floh“ ist jede Anreise wert – ©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Mit geeinten Kräften gelang da ein ganz besonderes Experiment zum Thema Terroir: für eine großangelegte Verkostung von Möhren, in der renommierten Adresse Gastwirtschaft Floh in Langenlebarn, hatten die Mitglieder des Koch.Campus ein einzigartiges Experiment mit Vorlauf auf den Weg gebracht: Saatgut der Möhrensorte Milan wurde an einem Tag im Mai gleichzeitig an sechs verschiedenen Standorten im Land ausgesät – und für unsere Verkostung auch wieder zeitgleich geerntet.
Ihre Möhren wachsen in der Südsteiermark: Anna Ambrosch vom Jaklhof ©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Die Sorte Milan entstammt aus biologisch-dynamischer Züchtung von kultursaat.org, entwickelt aus der Samenfesten Sorte Ilmar. Alle teilnehmenden Betriebe an den sechs Standorten sind Biobetriebe. 90 Tage Wachstum sind nötig, für Bundware, zur lagerfähigen Karotte wird die Möhre Milan nach 110 Tagen.
Das besondere an der Milan-Karotte ist ihre Fähigkeit, sich aus eigener Kraft mit ihrem Umfeld auseinanderzusetzen, sie reagiert symbiotisch und flexibel auf Wachstumsbedingungen, ihr Geschmack ist besonders stark vom Standort geprägt – ideal für den Versuch!
Saatgutretter: Koch.Campus-Mitglied Klaus Brugger vom Samenarchiv Arche Noah ©Koch.Campus – Helge Kirchberger
"Meine Damen und Herren. Die Karotte!" - Die Verkostung
©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Sechs Mal die sortengleiche Karotte in sechs „Zuständen“, als frisch gepresster Saft, als Minuten erhitzte Saft, als Maillard-Sud, gedämpfte und zerdrückte Karotte, gepresste und getrocknete Pressrückstände, sowie Schalen aus der Maillard-Röstung wurden verkostet – insgesamt also sechs Flights mit 36 Samples und ich darf sagen: das ist hochinteressant, aber nicht einfach: die Samples mussten in schneller Abfolge einzeln bewerter (erdig, fruchtig, süß, bitter/ 1-10 Skala), Geruch und Geschmack dazu stichwortartig skizziert werden.
©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Für mich eine so intensiv-konzentrierte Erfahrung, wie zwei Doppelstunden Mathe damals in der Schule, einhergehend mit der Erkenntnis, dass in dieser Menge und Intensität die Skala der Eindrücke zusammenrückt. Ganz „schlimm“ beim Flight mit dem Maillard Sud: bei jedem einzelnen Sample galt es erstmal den Karamell-Ton einzuordnen und dann zugunsten weiterer, subtilerer Aromen-Aspekten zu überwinden.
Deine Möhre – Geschmack aus dem Boden
Auch das Grün besitzt Charakterisitik. Den Aromen auf der Spur: Felicitas Riederle von Epi-Food) ©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Die Überraschung: bereits beim frischen Saft zeigte sich, was die Versuchsreihe immer mehr festigte: die geschmacklichen und olfaktorischen Unterschiede zwischen allen Möhrensorten waren riesig und es gelang ganz klar, den Aromen-Charakter der einzelnen Möhren durch alles Samples zu verfolgen und zu bestimmen!
Was guter Boden braucht
Bio-Küchen Pionier und Haubenkoch Johann Resinger führte durch den Tag ©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Die Möhre ist nach der Tomate das meistverkaufte Gemüse im deutschsprachigen Raum. Auch in der gehobenen Gastronomie steht die Vielseitige immer Häufiger im Zentrum der kulinarischen Überlegungen zu einem Teller.
©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Gute Böden brauchen eine naturnahe, schonende Bodenbearbeitung und Pflege, den Erhalt natürlicher Biodiversität, in den Böden und bei der nachhaltigen Bepflanzung. Probleme bereiten auch die zunehmende Trockenheit und sogenannte Extremwetterereignissen, wie Hitzewellen, Hochwasser, Starkregen. Ohne die dringliche Agrarwende und die rasche Ökologisierung der Landwirtschaft verlieren wir den guten lebendigen Boden und damit eben auch: Geschmacksvielfalt.
Staubtrocken, dabei hochinteressant: Geologe Gottfried Wieshammer führte durch die Bodenprofile der teilnehmenden Bio-Höfe ©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Gute Böden brauchen eine naturnahe, schonende Bodenbearbeitung und Pflege, den Erhalt natürlicher Biodiversität, in den Böden und bei der nachhaltigen Bepflanzung. Probleme bereiten auch die zunehmende Trockenheit und sogenannte Extremwetterereignissen, wie Hitzewellen, Hochwasser, Starkregen. Ohne die dringliche Agrarwende und die rasche Ökologisierung der Landwirtschaft verlieren wir den guten lebendigen Boden und damit eben auch: Geschmacksvielfalt.
Wilde Möhre und gepflegte Karotte ©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Das Expert*innen-Team
Zu verdanken hatten wir das eindrückliche Experiment und die Erkenntnisse u.a. dem hochdekorierten Haubenkoch Johann Reisinger, Gemüseexperte und Pionier des New Green Cooking, er führte mit Akribie durch die Verkostung. An seiner Seite, Bio-Gemüsebauer Robert Brodnjak von Krautwerk, stellvertretend auch für alle teilnehmenden Bio-Betriebe, sowie Klaus Brugger vom Samenarchiv der Arche Noah, der u.a. erhellendes zum historischen Background der Karotte beisteuerte.
v.l.n.r: Klaus Brugger (Arche Noah), Anna Ambrosch (Jaklhof), Geologe Gottfried Wieshammer, Ulli Lein (Kleine Farm), Chefkoch Josef Floh, Robert Brodnjak (Krautwerk), Haubenkoch Johann Resinger, Gastgeber und Koch.Campus Präsident Hans Reisetbauer ©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Gepflanzt, gehegt und gepflegt wurden die Karotten von den Landwirt*innen:
Franziska Lerch (Lerchenhof, westliches Weinviertel, Niederösterreich)
Anna Ambrosch (Jaklhof, Kainbach bei Graz, Südsteiermark)
Ulli Klein (Kleine Farm, St.Nikolai im Sausal, Südsteiermark)
Robert Brodnjak (Krautwerk, Wien, Augarten)
Wolfgang Palmer (City Farm, Wien und Zinzenhof, Ruprechtshofen, Alpenvorland, Oberösterreich)
Geologe Gottfried Wieshammer besuchte alle sechs Anbaubetriebe, erstellte präzise Feldbodenkundliche Analysen und Beschreibungen der Standorte – sein Wissen spiegelte und bereicherte dann im abschließenden Vortrag die Ergebnisse der Verkostungen. Danke!
Karottenvielfalt in der (Hoch-) Küche
Gastgeber und Koch Josef Floh servierte Karotten in fünf Gängen ©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Um den guten Geschmack ging es im zweiten Teil des Koch.Campus zur Terroir-Möhre. Josef Floh und sein Team interpretierten die Karotte in fünf Gängen. Der Chef führt das Wirtshaus aus in dritter Generation und hat es zu einer Adresse auch für die gehobene Regionalküche gemacht, alle beliefernden Produzenten sitzen überwiegend im Umkreis von 66 Kilometern um den Betrieb. Zum Menü genossen wir eine treffliche Auswahl von Weinen der Winzergemeinschaft respekt-BIODYN.
Biodynamisch, grandios: eine Auswahl von Spitzenweinen der Gruppe respekt-BIODYN, die ich verkosten durfte. ©Koch.Campus – Helge Kirchberger (1), Paulsen (4)
Die Winzergemeinschaft respekt-BIODYN gibte s seit 15 Jahren, die Gruppe beschäftigt sich mit Richtlinien, bringt Zertifizierungen auf den Weg. Im Mittelpunkt der Bemühungen steht der kollegiale Austausch. Man wolle positiv wirken, erklärte Winzer Fred Loimer: „Wir wollen eine gemeinsame Idee von Qualität schaffen, unter Berücksichtung der unterschiedlichen Zugänge der einzelnen Mitglieder.“
Zum Auftakt des Menüs spendierte Fred Loimer seine Magnum Extra Brut, Hauptjahrgang 2017, aus Blanc de Noir, Chardonnay und Pinot Gris. Zwei Jahre auf der Hefe gelagert und mit 2 g Dossage ein knochentrockenes Vergnügen aus Langenlois, Österreichs Sekthochburg.
Das Möhren-Menü und die Bio-Weine
Bio-Berg-Forelle & Karottensalsa
2013 Rieling Ried Seeber Kamptal DAC 1ÖTW, Weingut Fred Loimer, Langenlois
©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Quinoa mit fermentierten Ethel-Karotten
2016 Kammerner Lamm Grüner Veltliner 1ÖTW, Weingut Hirsch, Kammern
©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Wilder Karfiol mit Pfrisich & Butter-Karotte
2017 Weisze Freyheit, Weingut Gernot Heinrich, Gols
©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Cold Bew Karotte und Molkeschwein
2017 Pinot Noir Rieder Ruster Gertberg, Weingut Feiler-Artinger, Rust
©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Milchreis & Karotten-Karamell
2019 Materia Prima, Weingut Karl Fritsch, Oberstockstall
©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Am Ende eines denkwürdigen Tages, habe ich noch eine Frage an Haubenkoch Paul Ivić, der in seinen Tian Restaurant in Wien und München, sowie dem Tian Bistro in Wien ausschließlich vegetarisch kocht und ebenfalls Gast der Verkostung war: welche der sechs Möhren war denn nun seine Lieblingsmöhre?
Paul Ivić (vorn), Gastgeber Josef Floh ©Koch.Campus – Helge Kirchberger
„Das ist nicht die Frage.“, er schüttelt kurz den Kopf: „die Frage an den Koch ist jetzt vielmehr: was mache ich mich jeder einzelnen Möhre, wie setzte ich sie, ihrem Charakter entsprechend ein.“ Ivić ist einer, der immer schon gerne eine Runde weiter denkt und von seinem “vegetarischen“ Gericht beim Koch.Campus Tag zum Thema Innereien wird auch zu lesen sein, im zweiten Teil der Koch.Campus-Serie, hier auf NutriCulinary!
Die ganze Serie:
Koch.Campus Wien (1): Möhre und Terroir
Koch.Campus Wien (2): Innereien- 8 Stunden im Steirereck, Wien
Koch.Campus Wien: (3): Wanderung durch die Wiener Weinberge (demnächst hier.)
Offenlegung: ich danke dem Team der Agentur Wein&Partners für die Einladung zum Koch.Campus 2020, sowie die gastfreundliche Organisation und Unterstützung vor Ort.
Übernachtet habe ich im tatsächlich einzigartigen Boutique Hotel Altstadt Vienna, ein Haus im dem Kunst, Design und Gastfreundschaft zuhause sind, jedes Zimmer eine eigene Welt.