Grauen Erbsen sind eine aus der Zeit gefallene hyper-regionale Spezialität, die es tatsächlich nur in der Region um Elmshorn und nur an zwei bis drei Tagen im Jahr gibt. Was wie ein Aprilscherz klingt, ist Tradition, gehört zur kulinarischen Kultur unseres Landes.
Graue Erbsen
In einer zunehmend globalisierten Küche, in der selbst die exotischsten Produkte nur einem Mausklick entfernt und Zutaten zunehmend genormt sind, entdecken Köche immer häufiger die Exotik und das Unbekannte vor der eigenen Haustür – identitätsstiftende Regionalität in einer kleiner werdenden Welt. Da wird dann schon mal an Baumrinden geknabbert und Moosgeflecht fermentiert, so hat man wenigstens was Eigenes! In Elmshorn kennt und pflegt man die kulinarische Mikro-Regionalität schon seit 1629, nicht ganz freiwillig zunächst, aber nun doch schon ein paar hundert Jahre lang. In der kleinen Stadt vor den Toren Hamburgs isst man: Kapuzinererbsen. Immer zur Faschingszeit und nur dann.
Der Reihe nach: Kapuzinererbsen sind eigentlich gutes Futter für’s liebe Vieh und das waren sie auch schon damals an einem kalten Februartag des Jahres 1629 während des Dreißigjährigen Krieges. Damals kloppten sich Wallensteins Heer und die Mannen um König Christian IV. von Dänemark vor Elmshorn die Köpfe ein. Monatelang. Neben den kriegsüblichen Kollateralschäden hungerten die, die sich nicht kloppten und irgendwie überlebten. In der eingekesselten und weitestgehend zerstörten Stadt an der Krückau ging die Nahrung aus. Und da lagen sie rum: Berge von Kapuzinererbsen, Mastfutter für das unlängst verstorbene und meist verspeiste Vieh. In der Not frisst nicht nur der Elmshorner Kapuzinererbsen. Sie wurden in Wasser geweicht und Stunden gekocht, während um die Stadt herum weiter gemordet wurde. Und dann, die Enttäuschung, ein brauner Schleim in grauem Wasser – der aber Leben rettete.
Die Elmshorner haben das nicht vergessen. Ein jeder Wirt, der dort etwas auf sich hält, kocht also im Februar die grauen Erbsen. Die kulinarische Gedenkfeier findet jedes Jahr am Faschingsdienstag statt, aus rein geschichtlichen Gründen. Wie die meisten Norddeutschen verachtet der Elmshorner jegliches närrisches Treiben, Karneval und Fastnacht sind ihm herzlich egal. Freilich liefern die geliebten Erbsen dennoch einen guten Vorwand für ein paar Runden Bier und Schnaps, denn beides passt vorzüglich zu diesem Gericht. Der dicke schwere Eintopf wurde bis in die neunziger Jahre hinein in allen Gaststätten Elmshorns und der Umgebung gratis ausgegeben, die Gäste dankten es mit zahlreichen Getränkerunden. Umsonst gibt es die einfache Mahlzeit heute nicht mehr, dafür erfuhr das karge Mahl im Laufe der Zeit ein schönes Update: Zum dunklen Eintopf wird heute allerlei würzendes Kochfleisch gereicht, herrlich salziges Kasseler, rauchige Schweinebacke in Scheiben sowie dicke Kochwürste und Mettenden. Und als sei das alles noch nicht genug, wird auch noch Speckstippe aufgetragen, knusprige Speckwürfeln und Zwiebeln in guter Butter gebräunt.
Dazu fließt kaltes Bier in Strömen und später wird klarer Schnaps ausgeschenkt. Es ist ein Fest, eine Völlerei, die man erlebt haben sollte! Und die Chancen stehen nicht so schlecht, denn einst wurde nur am Faschingsdienstag aufgekocht, die Elmshorner Wirte sind aber flexibel und bieten aufgrund der riesigen Nachfrage das Traditionsgericht von Rosenmontag bis Aschermittwoch an. Frühe Reservierung dringlichst angeraten!
Original (Niels Pöhlmann) und Fälschung (Andrea Thode (Foto) und Stevan Paul für Effilee)
Ein Rezept für den Hausgebrauch habe ich Onkle Niels abgeschwatzt, für die Effilee entwickelt und hier notiert – dennoch, gestern wurde wieder mal klar, das Original rockt einfach mehr. Das liegt ein bisschen an den rauen Mengen, die hier zubereitet werden und auch ein bißchen an: „…den Dingen die wir nicht ins Rezept schreiben, um das Original zu wahren!“, erklärte der Onkel einmal.
Doch auch in der Heimwerker-Version gelingen die Erbsen vorzüglich. 24 Stunden müssen die kleinen braunen Kugeln weichen, dann wird gekocht, stundenlang. Anfangs riecht es leicht kohlig, aber das verschwindet nach einer Weile zugunsten eines appetitlicheren Duftes, der an Linsengerichte erinnert. Und spätestens wenn das rauchige Fleisch zugegeben wird, lohnen sich Wartezeit und Magenknurren für das mikro-regionale Festessen aus Elmshorn.
Graue Erbsen
Zutaten (für 6-8 Personen):
500 g getrocknete Kapuzinererbsen
3 große Gemüsezwiebeln
1 EL Butterschmalz
1 Bund Suppengrün
1 kg Kasseler Nacken
600 g geräucherte Schweinebacke
6-8 Kochwürste
1 kg festkochende Kartoffeln
Salz
150 g gewürfelter Speck
50 g Butter
einige Zweige Petersilie
Zubereitungszeit: ca. 4,5 Stunden (plus 24 Stunden Einweichzeit)
Zubereitung:
Die Kapuzinererbsen 24 Stunden in reichlich Wasser einweichen. Anderntags zwei Gemüsezwiebeln pellen und fein würfeln, in einem Bräter mit Deckel im Butterschmalz glasig dünsten. Die abgetropften Erbsen unterrühren. Das Einweichwasser abmessen und dann mit soviel frischem Wasser auffüllen, das insgesamt zwei Liter Wasser zu den Erbsen gegossen werden können. Zugedeckt 2 Stunden leise köchelnd garen.
Suppengemüse putzen, waschen, schälen und fein würfeln. Das Gemüse unterrühren. Jetzt den Nacken und die Backe zugeben und weitere 1,5 Stunden offen garen. Das Fleisch herausnehmen und auf einer Platte oder in einer Auflaufform zugedeckt im 80 Grad heißen Ofen ruhen lassen. Die Kochwürste zu den Erbsen geben und das Gericht jetzt weitere 30-45 Minuten offen auf die perfekte Konsistenz einkochen, dabei ab und zu rühren: Die Erbsen sollten weich und das Gericht irgendwo zwischen Eintopf und Püree eingedickt sein.
Inzwischen Kartoffeln schälen und in Salzwasser weichkochen. Für die Speckstippe 1 Gemüsezwiebel pellen, fein würfeln und mit dem Speck in einer Pfanne 8-10 Minuten goldbraun braten, dann die Butter zugeben. Gesalzen werden die grauen Erbsen, wenn überhaupt, nur am Ende (Kasseler, Backe und Kochwürste bringen schon viel Salz mit).
Nacken und Backe aufschneiden, Kartoffeln abgießen, mit frisch gehackter Petersilie bestreuen und mit den grauen Erbsen und den Kochwürsten servieren. Die Speckstippe wird vor dem Essen über das Gericht gelöffelt.
Zuerst erschienen in Effilee Magazin #39 Herr Paulsens Deutschstunde