Es brennt noch Licht in der Hamburger Traditions-Schlachterei Wagner (seit 1902!), Kerzen funkeln hinter beschlagenen Scheiben, von drinnen bedeutet man uns den Weg zur Hintertür und dann sind wir auch schon mittendrin, im wohl ungewöhnlichsten Weinabend den zumindest ich erlebt habe. Sommelier Carsten Lade, dessen Message in a bottle Abende grundsätzlich an außergewöhnlichen Orten stattfinden, hat seine Gäste diesmal in die Metzgerei eingeladen um uns zusammen mit dem Burgunder–Kenner und Weinhändler Norbert “Nobbi” Müller die Weine des Burgunds exemplarisch nahe zu bringen. (Am nächsten Tag starteten die Fotoaufnahmen zu meinem neuen Kochbuch und Fotografin Daniela Haug aus Berlin war schon angereist und begleitete mich, danke für die Impressionen Daniela!)
Die Wahl des Ortes ist ein Segen, denn zu den großen Weinen serviert Familie Wagner ihre Spezialitäten – und das bedeutet zuallererst mal feinste Räucherware, dafür sind Wagners berühmt. Das Fleisch kommt vom eigenen Hof, die Familie züchtet selbst Charolias- Limousin- Galloway- und Chianina Rinder, die Tiere stehen ganzjährig auf der Weide! Auch Geflügel, Lamm und Zicklein werden selbst geschlachtet und verarbeitet.
Wagners kennen tatsächlich noch jedes Tier selbst und beim Namen: „Nicht einfach manchmal!“, sagt der Seniorchef und bringt hausgemachte Salami, hauchdünn geschnittenen Rohschinken, einen dicken Batzen Tatar mit frischen Zwiebeln für alle, dazu duftendes Weißbrot.
Carsten Lade und Norbert Müller schenken den ersten Wein des Abends aus, ein Weißwein aus Bouzeron einer kleinen Gemeindeappellation im Nordwesten des Weinbaugebietes Côte Chalonnaise, südlich von Beaune. Hier ist die weiße Traube Aligoté zu Hause, frische zitrusartige Noten und leicht würzige Aromen prägen Traube und Wein. Der 2011 Bouzeron Aligoté Domaine A. et P. de Villaine (Domaine-Inhaber Aubert de Villaine ist gleichzeitig auch Mitinhaber und Kopf der weltberühmten Domaine de la Romanée Conti), ist ein Genuss und passt besonders gut zum Tatar.
Die lange Tafel füllt beinahe den gesamten Verkaufsraum aus, dicht gedrängt sitzen knapp 20 fremde Menschen beisammen, die Themen Wein und Essen entwickeln hier aber eine ähnliche Schmierstoff-Funktion, wie es Gespräche über Fußball bei vielen Männern bewirken, schnell rückt man auch gedanklich und im Gespräch zusammen. Selbst aus Berlin sind Leute für den ungewöhnlichen Abend angereist („sowas hamwa bei uns nicht“), erfreulich bunt gemischt der Altersschnitt und jeder weiß was, aber niemand gibt den Besserwisser-Dozenten. Letzteres ist selten, bei Weinveranstaltungen.
Der zweite Weißwein des Abends kommt aus einer der berühmtesten Lagen Burgunds: Puligny – Montrachet. Der 2010 Puligny-Montrachet der Domaine Bachelet-Monnot ist ein klarer und frischer Chardonnay aus 20-40 Jahre alten Reben, mineralisch, straff. Eine Assemblage, lernen wir aus den Lagen „Les Meix“, „Les Corvées des Vignes“, „Noyer Brets“ und „Les Houllieres“.
Auch der zweite Chardonnay des Abends aus der Domaine Sylvian Pataille, Marsanny-La-Côte, ist klar und frisch, ganz anders als die cremigen, fetten Chardonnays aus Kalifornien oder Neuseeland. Der 2011 „Charmes aux Prêtres“ ist ein Chardonnay aus 30 Jahren alten Rebgärten und von salzige Frische, mit dem feinen Duft von weißer Blume und Honig. Knaller!
Die Wagners servieren dazu frischen Salat und eine rustikal Speise: eine großartige, hausgemachte Blutwurst, gebraten auf Rösti und mit Preiselbeeren getoppt – ein perfekt match!
Jetzt geht es an die Rotweine. Beaujolais! Mit Graus entsinnt sich selbst der Laie des Beaujolais Primeur oder Nouveau, jene überwiegend schwachbrüstigen Novemberweine, die es als PR-Maßnahme für dass in qualitative Schräglage geratene Beaujolais zu beachtlichem Erfolg brachten. Heute, lernen und schmecken wir, hat sich das wieder geändert. Während der Norden mit seinen Cru Weine ( Fleurie, Brouilly, Moulin-á- Vent, Morgon…) vielen Weinfreunde längst ein Begriff ist, fehlen den Beaujolais Villages Weinen im Süden noch eine Lobby -Norbert Müller und Carsten Lade ändern das an diesem Abend.
Beispielsweise mit dem Beaujolais Coer de Vendanges 2012, Domaine du Vissoux, hergestellt aus über 100 Jahre alten Reben in St. Vérand und Vaux, dafür erfrischend und süffig, ein herrlicher Trinkwein der keine ausdauernde Meditation braucht.
Der Pinot Noir von der Domaine Thibault Liger-Belair, der 2012 Hautes Côtes de Nuits „Clos de Prieure“ ist da schon ein anderes Kaliber, aus 30 Jahre alten Reben und auf Kalkstein/Kiesel Böden gewachsen, der Ausbau erfolgte 18 Monaten in 20% neuen Holzfässern, keine Schönung und keine Filterung. Auch der 2011 Vosne Romanée „ Aux Reas“ aus dem gleichen Weingut ist ein großartiger Pinot Noir. Mit berühmten Nachbarn, hier gedeihen u.a. auch die großen Weine der Domaine de la Romanée Conti.
Familie Wagner serviert dazu das einzig mögliche Gericht: Bœuf bourguignon! Eine Köstlichkeit, das Fleisch ist nicht zerfallen, hat noch Biss, ohne einen Anflug von Zähigkeit. Große Kunst! Da verzeiht man auch schon mal die Tütenspätzle (als Schwabe empfehle ich ja in solchen Fällen einfach auf Salzkartoffeln umzuschwenken).
Zum Ausklang dann doch noch der Meditationswein: Volnay 1er Cru „Caillerets“ 2008 von der Domaine Nicolas Rossignol. “Rauchig mineralischer Duft, Feste Struktur und enorme Länge, dazu anregende Frucht. Exzellent.“, steht in den Verkostungsnotizen, und während die Fachleute noch rätseln, wann die perfekte Trinkreife erreicht wäre, schenken wir nochmal nach, jetzt natürlich!
Message in a bottle-Veranstalter Carsten Lade, der sich eh wenig um Konventionen schert und auch Interdisziplinär genießt, hat noch eine Überraschung parat und stellt uns Stephan Garbe vor, Chef, Brennmeister und Kreateur von Gin Sul, dem neuen Gin aus Hamburg. Nach Purverkostung und Tonic-Mische bin ich, gelinde gesagt, euphorisch.
Das ist ein ganz, ganz großer Gin der da kommt, gerade erst ein paar Wochen alt die erste Abfüllung. Hocharomatisch, vielschichtig, frisch mit tiefer Zitrusnote, die kräutriger Würze klar definiert. Große Klasse, gehört ab sofort zu meinen bevorzugten Lieblings-Gins! Ganz schnell waren da die Kollegen der großartigen neuen Hamburg-Kulinaria-Seite Susies local food ich empfehle den aufschlussreichen und reich bebilderten Artikel über Hamburgs neuen Gin, seinen Macher und die Altonaer Spirituosen Manufaktur wärmstens.
Großer Abend mit (v.l.n.r): Michael Wagner, Carsten Lade, Norbert Müller, Seniorchef Hans Wagner
Wir stehen alle länger noch zusammen in der alten Schlachterei, gute Abende erkennt man daran, dass man sich nur zögerlich trennt. Ein Wiedersehen gibt es garantiert beim nächsten Message in a bottle!
PS:Bezaubernd und Weinveranstaltern zur Nachahmung empfohlen: wenige Tage nach dem Abend verschickte Carsten Lade an alle Teilnehmer eine pdf mit Besprechungen und ausführlicher Charakterisierung aller Weine, dazu Preise und die Bezugsquelle. Ein formidabler Service, der schon am Abend selbst angekündigt wurde: „Sie müssen nicht mitschreiben, genießen Sie einfach die Weine.“
Links zum Thema:
Weinbühne Message in a bottle
Burgunder & Süßweine, Norbert “Nobbi” Müller
Schlachterei Wagner
Gin Sul
Daniela Haug