Jetzt (noch) am Kiosk: Dummy *37 – Essen & Trinken

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Seit die Beschäftigung mit Kulinarik groß in Mode gekommen ist, gönnen sich immer öfter Magazine eine (Sonder-)Ausgabe zum Thema. Auch in der aktuellen Ausgabe von DUMMY, dem unabhängige Gesellschaftsmagazin, geht es um Essen und Trinken. Verspricht zumindest der Titel, die Beschäftigung mit dem Thema fällt allerdings vollkommen anders aus, als sonst üblich. Es ist als habe die Redaktion beschlossen, die “dunkle Seite der Kulinarik” herauf zu beschwören – und das ist ausserordentlich gelungen.

Los geht es mit einem ziemlich langweiligen Jürgen Dollase-Interview, der Großkritiker ergreift die Gelegenheit, sein wohlbekanntes kulinarische Weltbild über vier Seiten darzulegen. Dann aber nimmt das Heft Fahrt auf und es folgt ein Reigen äusserst interessanter Beiträge, die allerdings geeignet sind, zartbesaiteten Genießern den Appetit gründlich zu verderben. Als da wären: Eine Fotostrecke mit komatös betrunkenen Japanern, ein Beitrag über Kanibalismus, die wirklich sensationelle Geschichte des Weinfälschers Rudy Kurniawan und ein Beitrag über den ersten Völkermord der Deutschen (1904/05), die Auslöschung der Herero in der Halbwüste Omaheke, Zehntausende verdursteten in der von den Deutschen umstellten Wüste.

Zur Erholung gibt es eine außergewöhnlich schöne Fotostrecke über Hochseefischer, dann wirds wieder heftig: beim Besuch eines nordkoreanischen Restaurants werden verwesende Rindfleischklößchen und Hundesuppe serviert. Es folgt ein Beitrag über die Zwangsmast junger Mädchen in Mauretanien, die Männer dort lieben dicke Frauen. Weiter geht es mit Bildern vom Alltags-Alkoholismus in der DDR, Vielfrass-Wettkämpfe in den USA. Dem Bericht über die Magersucht des ehemaligen Journalisten und Telekom-Sprechers Christian Frommert, folgt ein Beitrag zur “Kultur des Hungerstreiks” und wer dann noch den Artikel über Schlachthäuser in Indien schafft, dem wird spätestens bei den großformatig Fotografien von Chris Jordan schlecht: Bilder verweste Vogelkadaver und ihrer Mageninhalte (Plastik, Abfall, Plastik).

Sie könnenn noch? Nach einer Alkoholiker-Beichte die so garnichts mit der von Jenny Elvers-Elbertzhagen auf RTL zu tun hat, informiert auf der letzten Seite des Heftes Thomas Mann persönlich von “Überstarken Darmwinden” und beunruhigend schwere Entleerungen.

Schlimm. Das Heft ist eine Zumutung. Der interessanteren Art. Die Weingeschichte, die Hochsee-Fotos und die Indien-Reportage lohnen leider alleine schon den Kauf.
Für Hartgesottenen noch bis zum 18. März zum Preis von 6 € (D) am wohlsortierten Kiosk.

  1. Ich muss sagen, dass ich mit diesem Heft die Dummy für mich entdeckt haben. Die etwas andere Berichterstattung: nicht alles schön und gerade, wie es sich das gesellschaftliche Ideal wünscht. Dafür für mich umso interessanter. Besonders spannend finde ich in dieser Ausgaben den Artikel über den magersüchtigen Journalisten und die jungen Mädchen in Mauretanien – sie sind gut geschrieben und thematisch kritisch zu hinterfragen.
    Der Mut zum anders sein geht in den aktuellen Printmedien leider viel zu häufig verloren – nicht so hier.

  2. Hallo Stevan,

    habe die Dummy in den Laden geliefert bekommen, wie immer. Wie immer muss ich gestehen habe ich sie nicht sonderlich beachtet. Erst 1-2 durchgeblättert, weg gelegt. Dann mehr damit beschäftigt, aus Zeitgründen nur bei den Hochseefischerei hängen geblieben.

    Dank deines Artikels habe ich mich nochmal gesondert damit beschäftigt, hatte jedoch auch nur deine Überschrift im Kopf das du darüber geschrieben hattest. Und jetzt, nachdem ich das Heft durchhabe und deinen Artikel gelesen habe,
    sind wir erstaunlicherweise ziemlich identisch in unserer Meinung.

    Das Interview mit Jürgen D. war gruselig und langweilig zugleich, in meinen Augen. Wer nach wie vor Ferran Adria und Rene Redzepi (beide in allen ehren) für die besten Köche dieser Welt hält, der hat für mich die Augen vor der Realität verschlossen und blickt, im wahrsten Sinne, über seinen Tellerrand nicht hinaus.

    Der Bericht über Rudy den Weinfälscher habe ich verschlungen. Sehr gut im Text und Darstellung, habe mir ein schönes Bild dieser Situationen gemacht und war hingezogen und erschreckt zugleich von soviel Genie und Wahnsinn des Herrn Rudy.

    Schöne Geschichte die die spiessige Weinwelt vielleicht etwas aufweckt bzw. aufgeweckt hat. Ich als normalerer, kleiner Gastronom habe z.B. davon nichts mitbekommen – klar denken die einen, was will der Herr H. denn auch mit 1.000.000 Eur Teuren Weinen, aber es geht schließlich um unsere Branche.

    Hochachtungsvoll,

    Fabio

  3. […] Hef­ti­ges Heft: Die Zeit­schrift sei eine Zumu­tung, urteilt Ste­van von Nut­ri­cu­li­nary über das neue Dummy-Heft „Essen & Trin­ken“. Aber: eine Zumu­tung „der inter­es­san­te­ren Art“. Denn in der Februar-Ausgabe des mono­the­ma­ti­schen Maga­zins geht es um „die dunkle Seite der Kuli­na­rik“. Heißt kon­kret: Kan­ni­ba­lis­mus, japa­ni­sche Komas­äu­fer, Mager­sucht und Vielfraß-Wettkämpfe in den USA. Nut­ri­cu­li­nary, Dummy-Magazin […]

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