Ich habe genau zwei Zeitschriften abonniert, den FEINSCHMECKER und die RIDDIM-Deutschlands Zentralorgan für Roots, Rock, Reggae. Einmal im Jahr geraten diese beiden Säulen meines kulturellen Seins in ein interessantes Spannungsverhältnis, immer dann, wenn ich mit Zelt, Gaskocher und Grill bewaffnet für fünf Tage an den Fühlinger See bei Köln reise, um dort mit 25.000 anderen Menschen Europas größtes Reggae-Festival zu begehen, den SUMMERJAM, es ist meine kleine Auszeit.
Ich bin aber der Meinung, dass fünf Tage im Freien nur bedingt als Entschuldigung für kulinarische Komplettverwahrlosung taugen und gebe mir dementsprechend Mühe. Dieses Jahr gelang mir bereits in der Vorbereitungsphase ein Quantensprung in der Versorgungslogistik! Erstmals kam der Kühlschrank ohne Strom aber mit trinkbarer Kühlung zum Einsatz!
Hier sehen Sie die Erstbefüllung mit Bier. Der Clou: statt mit den handelsüblichen Kühlelementen befüllte ich die dickwandige Styro-Box mit zuvor eingefrorenen 0,5 l Tetrapackungen stillem Wasser. Vorteil: Die „Kühlflüssigkeit“ bleibt kühl und kann bis zu drei Tage eiskalt genossen werden, durch ihr größeres Volumen kühlen die Tetrapacks extrem länger als herkömmliche flache Plastik-Kühlelemente, die Sie später auch wieder heim schleppen müssen. Wir hatten auch nach drei Tagen noch gekühltes Bier und wohltemperierte Weine. Doch der Reihe nach:
1. Tag, Mittwoch 1. Juli
Traditionell beginnt der Summerjam am Mittwochmorgen mit dem Besuch der Fleischerei Jacob in Hamburg. Punkt sieben Uhr in der Früh befülle ich speparate Kühltaschen mit grobem Bratwürsten und Steaks, auch hier kühlte ich dieses Jahr mit der neuen Tetrapack-Methode. Der Tag ist anstrengen, der langen Fahrt nach Köln folgt immer ein kilometerlanger Fußmarsch vom zugewiesen Parkplatz zu unserem Lieblingszeltplatz, ziemlich am Ende des Festivalgeländes. Zweimal laufen mein Begleiter Sir Peter und ich jedesmal die geschätzten 6 Kilometer, dazwischen Zeltaufbau, das erste Seebad, das zweite Bier.
Tropfnass den Grill angezündet und den eiskalten Brut Sekt aufgezogen, dann Merguez, Lammbratwurst und grobe Landbratwürste aufgelegt. Dieses Jahr schmeckte dazu grüner Salat mit Sylter Salatfrische angemacht, grobes Sonnenblumenkernbrot und eine Flasche 2000 Chateau La Roche Mangot, St. Emilion.
Ein sensationell vollmundiger, tiefroter Wein mit wunderbar eingebetteten Kirscharomen, einem Hauch Holz und wenig Tabak, der perfekte Begleiter zum Grillfest und auf dem Weg in die letzte halbwegs ruhige Nacht.
2. Tag, Donnerstag 2. Juli
Am ersten Morgen wird es immer kurz peinlich an unserem Zelt. Die Leute lachen schon ein bisschen, wenn ich möglichst teilnahmslos Milchschaum zum gekochten Espresso aufschlage.
Dann kommen die Leute meist kopfschüttelnd näher, ich mache Milchschaum für alle und wie jedes Jahr kennen wir nach dem Frühstück alle Nachbarn namentlich und sind einander herzlich zugeneigt. Zum Frühstück gibt es Bregenzer Bergkäse, Comté aus Frankreich, Frischkäse, italienische Salami und die neidischen Blicke der Spätsiedler, die erst heute Anreisen: die Seegrundstücke sind Donnerstags alle schon weg.
Der entspannnteste Tag des Festivals, es gibt schlicht nix zu tun, nur schwimmen, Sonnenbaden, rumrennen, Leute kucken und aufs zweite Grillfest in der Abendsonne freuen: heute sind die Steaks dran und dazu habe ich Zuhause im Weinregal einen Rotwein gefunden, der beinahe noch besser ist als der gestrige, ein 1999er Julian Madrid Reserva de la Familia do Rioja, reife Pflaumen liefern sich auf dem Gaumen ein Spaßkämpfchen mit roten Johannisbeeren, dem Sieger (Pflaume) applaudieren lang anhaltend Holznoten und rauchiges Karamel, ein meisterhafter Wein!
3. Tag, Freitag 3. Juli (offizieller Festivalstart)
Jetzt wird es kulinarisch enger! Traditionell eröffnen wir aber das zweite Zeltfrühstück und den ersten regulären Festivaltag mit einem zünftigen Weißwurstessen um 8:00 Uhr mit den unglaublich guten Weißwürsten von Ponnath, für mich die Besten eingeschweißten Weißwürste die man in einem Supermarkt nördlich des Mains kaufen kann.
Schon um 11:00 Uhr meldet sich wieder ein kleines Hüngerchen, jetzt haben die Stände mit afrikanischem und jamaikanischem Essen endlich geöffnet, bei Mama Afrika bestellt Sir Peter für uns köstlich knusprig frittierte Bohnen-Kroketten und zart splitternde Samosas, Teigtaschen mit mörderscharfer Hackfüllung.
Dazu wird sauerscharfe Sauce gereicht, es ist alles lecker, der Mundraum glüht aba-haaa etwas länger. Bis zum Mittag besprechen wir das Leben, erfrischen uns im kristallklaren Wasser, die Sonne brennt seit drei Tagen.
Gegen Mittag zieht es plötzlich zu, es entfesselt sich ein kurzer, heftiger Gewitterorkan, der Regen prasselt aufs Zelt, die Blitze donnern ohrenbetäubend, Sirenen springen an. Genau das richtige Wetter für den türkischen Linseneintopf mit Lamm, den ich vorgekocht eingefroren und als Riesen-Kühlelement ganz unten im „Kühlschrank“ deponiert hatte.
Die große Tupper ist jetzt aufgetaut, der würzige Eintopf feuert schön hinein in den Weltuntergang, eine große Gemütlichkeit macht sich breit und ein Bedürfnis nach Mittagsschlaf, dem wir zwingend nachgehen.
Zur offiziellen Festivaleröffnung um 15:00 Uhr begrüßt die Sonne schon wieder, und ungezählte Fressstände räkeln sich am Wegesrand. Das schöne am Summerjam ist, dass es auch ein kulinarisch weltoffenes Festival ist. Sie können dort erstaunlich gut Essen, afrikanische Küche, jamaikanische Küche, es gibt große Salatbars, viele vegetarische Angebote, passable Cheeseburger, chinesische Garküchen, Cocktail- und Crépes-Stände, den Hamburger Fischbrötchenhändler (reichlich toller, top-frischer Fisch, Brötchen wie jedes Jahr zäher Mist, hoffentlich liest der das hier mal!) und hier und da auch einen guten Döner. Unser neuer italienischer Freund ist allerdings nicht für seine Lasagne zu loben, sondern eher für die früh angekaufte Konzession, als einziger Wirt vor Ort Wein und Schaumwein anbieten zu dürfen.
Jedes Jahr esse ich zuerst am Stand einer Familie aus Ghana und es ist nicht wegen der schönen Tochter, wie jeder Augenzeuge vermuten muss, es ist wegen der guten Küche, wie ich berichten kann und schwöre.
Chicken Yassa zum Beispiel, Hähnchenteile in ölig-rahmiger Zitronen-Senfsauce mit viel Zwiebeln. Fast hätte ich der schönen Tochter dieses Jahr das Rezept entlockt, wurde aber vom schaulustigen, männlichen Mob beiseite gedrängt. Ihre letzten Worte waren: „Du kannst das Rezept auch googeln!“
4. Tag
Vor den Zelten wird es ab jetzt kulinarisch knallhart, zum Frühstück schmeißen wir ein letztes Mal den Grill an und ich hole die letzten Überlebenden aus den Tiefen unseres Kühlschranks: wir grillen Nürnberger Rostbratwürste, die tatsächlich noch kühl auf den Grill kommen und knusprig-würzig heiß auf die Pappteller, mit zweierlei Senf und Vollkornbrot, das war es jetzt aber auch. So weit sind wir in noch keinem Jahr zuvor gekommen (und es waren neun Jahre, bislang), der Kühlschrank war der Knaller, von der Verzweiflung anderer Festivalgäste mag dieses Bild künden, Achtung festhalten:
Ja, richtig, wir waren auch erschüttert: das sind tatsächlich Eintopf-Dosen die untenrum mit Brennpaste bestrichen und angezündet auf einem leeren Grill erhitzt werden. Einzig die muskulösen Herrschaften am Ende der Zeltstrasse wurden spät noch mal frisch beliefert und gewannen auch verdient die goldenen Grillnadel 2009 am rot-gold-grünen Band:
Ein ganzes, mit Kräutern und Chilies gefülltes Lamm, sechs Stunden am Spieß gegrillt. Maximum Respekt den Herren!
5. Tag
Ja, wir essen viel Fleisch auf dem Summerjam. Wir trinken aber auch unanständig viel, schlafen schlecht und kurz, statt Duschen gehen wir Schwimmen. Da sind wir Traditionalisten. Auch, was das letzte Gericht auf dem Festival angeht: wir genießen ein Jerk Chicken am Stand unseres Vertrauens. Die karibische Spezialität wird in schmucken Ölfässern über Kohle zubereitet.
Die mit einer scharf-würzigen Marinade eingeriebenen Hähnchenkeulen, werden in den selbstgebauten Grilltonnen gleichzeitig gegrillt und geräuchert. Dazu gibt es Red Beans and Rice und ein eiskaltes Bier.
Ich warte immer bis zum letzten Tag, mit diesem Gericht, es ist der alljährliche kulinarische Höhepunkt meines Festivals. Und jetzt freue ich mich wieder ein Jahr darauf.
Natürlich wurde auch Musik gespielt! Wer so da war und wie die Konzerte waren, habe ich drüben im Kiosk notiert: