Stehen vier Langnasen mit Koffern an eine Straßenecke in Tsukiji, Tokio, starren mit leeren Augen auf aufgefaltetes Kartenwerk und in ihre Handys und machen dabei einen so derart verlorenen Eindruck, dass etwas in vieler Hinsicht ungewöhnliches geschieht: (a.) eine junge Japanerin (b.) erbarmt sich, (c.) spricht die Fremden an und bietet (d.) Geleit an. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Japaner sind unfassbar hilfsbereit und beraten bei der Wegfindung nach Kräften (auch wenn sie den Weg garnicht kennen), allerdings nur wenn sie gefragte werden, niemals initiativ. In Japan kümmert man sich nämlich erstmal um seinen eigenen Kram, alles andere wäre eigentlich unhöflich.
Insofern schickte ein gute Gott die aufgeschlossene junge Dame, die uns ganz ohne Gegenleistung zu unserer Unterkunft führte, an diesem ersten Tag in Japan. Der Jetlag wirkt schon, die Mittagssonne steht hoch am Himmel und auf dem Weg haben wir einen hübschen kleinen Ramen-Nudel-Laden um die Ecke entdeckt, wir da hin.
Nudelsuppen, mit Udon– Soba– oder Ramen-Nudeln und unterschiedlichsten Einlagen sind das beliebteste Alltagsessen in Japan und neben Sushi und Sashimi, sowie der Tempuraküche die wohl wichtigste Säule der japanischen Küche. Mit Nudeln beginnt der Tag und er kann auch mit Nudelsuppe beendet werden. In den kommenden Tagen habe ich keine Gelegenheit ausgelassen, ein Schälchen davon auszulöffeln, sehr gerne schon zum Frühstück.
Wie wirklich überall in Japan helfen Plastiknachbildungen im Schaufenster unserer Nachbarschafts-Nudel-Bar bei der Orientierung (Christian Ditlev Jensen hat mal in der Effilee einen sehr schönen Artikel über die Sampuru-Nachbildungen geschrieben). Es gibt den Klassiker mit Nudeln, halbem Ei, drei dünnen Scheiben Schweinefleisch, Deko-Spinat und Algenblatt in kräftigem Sud, ich wähle Weizennudeln in klarem, duftendem Fond, getoppt mit knusprig gebackenem Hähnchenfleisch und verstehe sofort: das ist besser als Kaffee, das ist löffelweise Energie und ein kulinarischer Glücksfall. Bezahlt wird am Automat, welche Taste zu drücken ist, weiß das freundliche Personal und Minuten später darf gelöffelt und geschlürft werden. Zwischen 2,50-6 Euro kosten die köstlichen Nudelsuppen.Das Schlürfen kommt automatisch beim Einsaugen der Nudeln, gehört aber in Japan mittlerweile, entgegen anderslautender Gerüchte, weder zur guten Kinderstube noch zum guten Ton. Ganz lautlos geht’s nicht, aber man müht sich redlich. Das dankt einem auch das eigene Oberhemd, dass bei allzu geräuschvoller Mahlzeitnahme, mit feinsten Brühespritzerchen bedeckt wird.
Noch am gleichen Abend aßen wir nochmals eine Nudelsuppe, diesmal ganz anderer Art, die Brühe beinahe schon von cremiger Fettigkeit und Tiefe, und überraschender Weise das Äquivalent zu einer doppelten Portion Schweinebraten mit Klößen – die unschuldig wirkenden Suppe können ungemein sättigen – gerade wenn sie in diesem Fall auf Basis von Schweineknochen gekocht wurden, was eine wunderbare Brühe liefert!
Wie eine Nudelsuppe genau gegessen wird, weiß auch der Nudelsuppengroßmeister in einem meiner liebsten kulinarischen Filme: in Tampopo macht sich ein japanischer Lastwagenfahrer auf die Suche nach dem Rezept für die allerbesten Nudelsuppe und findet dabei auch die Liebe.
Dabei verknüpft die japanische Episoden-Komödie Versatzstücke aus Western, Ganster- und Erotikfilmen und es geht an allen Fronten sehr schön zu Sache. „Brilliant“ lobte seinerzeit die New York Times und die Denver Post merkte an: „Gott ist das geil!“. 30 Jahre mussten wir in Deutschland auf die Video/DVD Veröffentlichung warten, seit 2012 ist der Film bei uns zu haben (Link führt zu Amazon)und kann bei Clipfish in einer gekürzten Version umsonst angesehn werden.
Ich besaß Ende der 80er Jahre einen Fernseh-Mitschitt auf Videokassette und feierte mit Freunden „Tampopo“-Partys, gemeinsam sahen wir den Film während, in der kleinen Küche die Brühe duftend ihrem Finale entgegen simmerte – denn nach dem Film sollte man wirklich dringlichst alle Zutaten für eine japanische Nudelsuppe im Haus haben!
Weiterführende Links:
Das Nudelsuppenrezept aus Tampopo!
Tampopo bei Clipfish sehen
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Alle Texte meiner kulinarischen Tokio-Reise mit Direktlinks in der Übersicht:
Tokio (1): Der Tag, an dem ich aufhörte, außerhalb Japans Sushi zu bestellen
Tokio (2): im Ramen-ya. Life doesn’t work without Nudelsuppe
Tokio (3): Hingabe.Leidenschaft.Lebenslanges Lernen – Besuch bei zwei japanischen Meistern Ihrer Klasse
Tokio (4): Der will nicht nur spielen – Besuch beim “jungen wilden” Zaiyu Hasegawa
Tokio (5): noma in Japan – Besuch bei René Redzepi im wohl berühmtesten Pop-up Restaurant der Welt