Ausstellung: Menschen auf dem Großmarkt-Fotograf Carsten Minkwitz im Interview

Großmarkt

Kommendes Wochenende (3.-4.09.2011) laden der Großmarkt Hamburg und die Zeitschrift “Der Feinschmecker” wieder zum beliebten Food Market ein. Über 115 Aussteller und Spitzenköche von 25 Restaurants aus Hamburg und Region bieten in der Großmarkthalle unter dem Motto „Aus der Region – für die Region” ihre Spezialitäten an.

Das Besondere in diesem Jahr: die kulinarische Schau wird erstmals um eine Fotoausstellung bereichert! Der Hamburger Fotograf Carsten Minkwitz hat Menschen auf dem Großmarktporträtiert und dabei die ganz eigene Lebenswelt des Hamburger Großmarkt entdeckt. Neben den Bildern hat er auch viele Einblicke und Geschichten mitgebracht, von denen er mir in unserem Gespräch erzählt hat:

Carsten, wie kamst Du auf die Idee, Menschen auf dem Großmarkt fotografisch zu porträtieren?

Zuallererst interessieren mich Menschen. Ihre Lebensgeschichten, die in der heutigen Zeit scheinbar soviel facettenreicher sind, weil die Welt vielleicht so viel mehr zulässt: warum landet z.B. ein Mann aus Benin, der Medizin studiert hat, auf dem Grossmarkt? Naja, und dann mache ich aus diesem Interesse eigentlich meine eigene “Sendung-mit-der-Maus”, in dem ich die Menschen mit der Kamera untersuche und versuche aus ihnen herauszubekommen wie sie funktionieren. Dass ich dann auch noch hinter die Kulissen sehen und z.B. etwas über die Entstehungs- oder Funktionsweise eines Produktes oder die Arbeiten im Verborgenen erfahren kann, ist ein spannender Nebeneffekt. Gefühlt wird in immer breiterer Form auch kritisch über Essen gesprochen. Vielleicht, weil sich die Probleme mit Massenlebensmitteln häufen. Es ist nicht mehr nur ein Thema für ein paar wenige Feinschmecker, sondern eines das alle betrifft. Von den Menschen hinter den Produkten hört man dabei nur wenig, ausser es gibt einen Skandal aufzudecken. Es lag also nahe, sich diese Menschen anzusehen.
Das es der Grossmarkt Obst & Gemüse wurde, ist schlussendlich dem glücklichen Zufall zu schulden, der mich auf Andreas Schindler treffen liess. Andreas führt in 3.er Generation auf dem Grossmarkt Obst & Gemüse in Hamburg das Unternehmen Pilz-Schindler. Ausserdem hat er Limetten zu seiner Welt gemacht und importiert diese über seine Firma DON LIMON im grossen Stil nach Europa. Ich benötigte Limetten für einen Job in besonders kleiner Ausführung. Ein Freund riet mir Andreas anzurufen: der hätte wohl welche! Und so stand er am Abend vor Produktionsbeginn mit genau einer solchen Kiste voller Limetten vor meiner Studiotür, hat sich alles angesehen und fragte dann, ob ich nicht auch Menschen fotografieren würde. Zwei Sätze später waren wir für das Projekt verabredet und fortan ein Team.

Was waren, neben dem sehr frühen Aufstehen, die Herausforderungen bei der Umsetzung?

Tatsächlich war das sehr frühe Aufstehen die einzige Herausforderung bei diesem Projekt. Ich bin an einem Morgen vor der ersten Shootingnacht auf dem Grossmarkt aufgeschlagen und Andreas hat erklärt und gezeigt und mir Leute vorgestellt. Ich habe ihm erläutert, wie die Bilder aussehen sollen, dass ich einiges an Equipment mitbringen würde und Platz für mein Vorhaben benötige. Ich glaube, ihm wurde erst in dem Moment klar, welchen Aufriss ich vorhatte, als ich ihm beschrieb, dass ich seinen Stand zum Fotostudio umbauen würde. Das hat seiner Begeisterung aber keinen Abbruch getan. Er hat die Idee und die Umsetzung bis ins kleinste Detail mitgetragen und mir so vieles Erleichtert.

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Musstest Du Überzeugungsarbeit leisten, um die Menschen vor die Kamera zu locken?

Während mein Assistent und ich das Set in der ersten Shootingnacht aufbauten, ist Andreas durch die Gänge gerast, hat den Menschen, die er nicht schon angemailt hatte, von unserem Projekt erzählt und sie vor die Kamera geholt. Seine direkte freundliche Art und seine Bekanntheit auf dem Grossmarkt waren ganz sicher der Schlüssel dafür, dass bei nur wenigen Personen Überzeugungsarbeit notwendig war. Natürlich hat sich der ein oder andere geziert. In einem Fall musste auf nachdrückliche Aufforderung ihres Mannes sogar erst die Ehefrau als Testperson herhalten, bevor er, ein gestandener, erfolgreicher Händler, ebenfalls bereit dazu war. Ich habe die ersten Portraits sofort ausgedruckt und am Stand aufgehängt, damit jeder sehen konnte, worauf er sich einlässt. Mein Tun hatte sich irgendwann herumgesprochen und die Leute kamen von allein. Ich habe aber zu keinem Zeitpunkt im Vorfeld der ersten Shootingnacht damit gerechnet, dass ich im Morgengrauen 105 beeindruckende SW- Portraits fotografiert haben würde. Viele Portraitierte wollten gar nicht wissen, was mit den Bildern geschieht. Den Meisten reichte die Zusage, einen Print zu bekommen.

Was hat Dich besonders fasziniert an der ganz eigenen (Arbeits-)Welt des Großmarkts?

Ich war nur vier Nächte auf dem Grossmarkt. Deshalb ist mein Eindruck nur ein Teil der Wahrheit. Dennoch habe ich die Menschen dort als sehr geerdet, erfrischend geradlinig, freundlich und vor allem leidenschaftlich empfunden. Bange darf man nicht sein, weder als Besucher wie ich es war, noch als Teilnehmer des nächtlichen Handelns. Auf dem Grossmarkt trifft man Menschen, die bei aller Konzentration und Hektik im nächtlichen Treiben immer Zeit für ein kurzes Gespräch, eine Schnack, eine Blödelei haben. Man erkundigt sich, wie es dem Anderen geht. Alles sehr menschlich. Manchmal spielen sie das Bazaar-Spiel: bieten, laufen weg, rennen hinterher, werden handgreiflich und ziehen den potenziellen Käufer in den Stand zurück, schreien sich an, sind beleidigt und kaufen bzw. verkaufen dann doch. Die Nacht in dieser riesigen Halle, wo in den wenigen Stunden zwischen 10:00 und ca. 2:00 Uhr das Hauptgeschäft abläuft, mit dem Ziel ein gutes Produkt zu kaufen / verkaufen scheint sie irgendwie zusammenzuschweissen, die Gross- und Einzelhändler, die Packer und Gabelstaplerfahrer. Und trotz der maulwurfsgleichen Arbeitszeiten, arbeiten die Menschen, die ich kennengelernt habe, mehrheitlich schon seit sehr langer Zeit dort, Familie Schindler mit zwei Söhnen z.B. in dritter Generation. Die älteste Händlerin mit einem Alter von 72 Jahren ist bereits seit über 50 Jahren auf dem Grossmarkt.

Hast Du während der Fotoarbeit auch Einblicke in einzelne Biographien erhalten, Geschichten und Anekdoten erzählt bekommen?

Ja. Zum Beispiel kommt ein Einzelhändler seit 11 Jahren an sechs Tagen die Woche von Usedom nach Hamburg auf den Markt. Wann er den schlafen würde, war meine Frage. “Zwischendurch”,seine Antwort. Zwei bis vier Stunden würden ihm reichen. Ein anderer arbeitet nächtens auf dem Grossmarkt, beliefert dann seinen eigenen Laden, packt und sortiert dort die Ware, bis seine Frau morgens den Laden öffnet. Dann geht er ins Bett, schläft bis Mittag und wenn die Kinder aus der Schule kommen, geht seine Frau heim und er übernimmt bis Ladenschluss, um anschliessend wieder auf den Grossmarkt zu fahren. Fleiss ist auf dem Grossmarkt jedenfalls kein Wort aus einer anderen Zeit.

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Was nimmst Du für Dich aus dem Projekt mit, was hast Du für Dich entdeckt, dazu gelernt, erfahren?

Das Projekt hat unglaublich viel Spass gemacht, etwas fürs Herz. Das Leben dort ist in jeder hinsicht bunt, nicht nur tagsüber, wenn zu normalen Bürozeiten Obst & Gemüse mit Computer und Telefon weltweit gehandelt werden. Besonders nachts, wenn der Markt einem Ameisenhaufen gleicht und einem Aussenstehenden wie ein grosses Durcheinander vorkommt, ist dort niemand schlechter oder besser gelaunt, blasser oder kranker, als tagsüber Arbeitende. Es ist der gleiche Rhythmus, nur eben in der Nacht gelebt. Wenn wir frühstücken, gibt es dort Currywurst und Bier, denn unser Morgen ist Ihr Abend.

Ich war beeindruckt, wie komplex das Handeln mit Obst & Gemüse ist, dass es nicht reicht zu wissen: eine Limette ist grün, kinderfaustgross und kommt z.B. aus Kolumbien oder Venezuela. Hinter den Waren auf dem Grossmarkt stehen Produzenten, deren vielfältige Mentalitäten man verstehen und auf die man sich einstellen muss. Den Ananasbauern aus Mexico genauso wie den Apfelbauern aus dem Alten Land, für den jeder seiner Äpfel der leckerste und hübscheste ist und der überhaupt gar nicht versteht, warum Käufer sich für einen anderen Apfel von einem Konkurrenten entscheiden. Das Organisieren der Vertriebswege, damit die Ware so frisch wie möglich bei uns ankommt, ist sicherlich eine der kleineren Herausforderungen in diesem Beruf.
Ich habe eine grosse Herzlichkeit erfahren und wenn mir über die Gänge hinterhergerufen wird, dass ich doch gleich nochmal auf einen Kaffee vorbeischauen soll, dann habe ich nicht das Gefühl, erst viermal dort gewesen zu sein.

Wie kam es zur Ausstellung im Rahmen des diesjährigen Foodmarket? Werden die Fotos auch noch in anderer Form zu sehen sein?

Nachdem ich die ersten Bilder vor dem Set aufgehängt hatte und wir absehen konnten, dass ich eine Menge interessanter Bilder bekommen würde, haben wir uns gefragt, was aus ihnen werden soll. Wir wollten sie plötzlich nicht mehr nur auf unseren Internetseiten präsentieren. Sie auszustellen lag also nah und der Foodmarket stand vor der Tür… Ein Teil der Bilder wird auch nach dem 03./04. September für eine Weile am Stand vom Pilz-Schindler zu sehen sein, eine Auswahl landet auf meiner Internetseite(www.carstenminkwitz.de/) . Ausserdem werden wir das Projekt weiterdrehen. Mich interessiert auch die Seite vor und nach dem Grossmarkt. Ich habe bereits ein paar Einzelhändler fotografiert. Nun fehlen mir noch die Produzenten. Vielleicht wird ja doch noch ein Buch draus, die Portraits mit ner Menge drumrum…., wie z.B. ein paar verrückt gestylten Obst & Gemüse-Bilderwelten?

Hamburger Frischehändler – eine Ausstellung von Carsten Minkwitz

Foodmarket Hamburg auf dem Hamburger Großmarkt

Samstag, 03.09.2011 von 11 – 19 Uhr
Sonntag, 04.09.2011 von 10 – 17 Uhr

Weitere Infos:
www.hamburger-foodmarket.de/
www.carstenminkwitz.de/