Über dem Eingang zum Hotel, ein großes Plastik-Banner: „Herzlich Willkommen.“ Das ist neu. Unter dem Banner steht ein schnauzbärtiger älterer Herr, sein gigantischer Cowboyhut ist ganz und gar mit funkelnden Steinchen besetzt ist. Die Frau neben ihm hält seine faltige Hand, sie ist absurd geschminkt, ein Barbie-Puppen-Gesicht, mit breitem Pinsel auf das Konterfei einer älteren Dame skizziert. Ein ungewohntes Gewusel vor der Rezeption, Japaner in Trainingsanzügen, elegante Herrschaften auf dem Weg nach Draußen drehen Zigarettenspitzen auf banale Filter, die Damen werfen Haar und duften lautstark.
„Pscht…pscht…“mache ich, „…wasnhierlos? Sind noch Festspiele?“ „Aber ja“, ruft die Empfangdame, „sie sind mitten drin!“ Mehrmals im Jahr sehe ich den Hügel, bin auf Montage hier, noch nie hatte ich ein Engagement während der Festspiele. Neugierig dusche ich flott den Tag ab und mache mich auf den Weg zum Abendessen.
Ich verstehe jetzt den Groll der Bayreuther Gastronomen. Es ist, nur scheinbar überraschender Weise, in allen Restaurants problemlos ein Tisch zu bekommen. An diesem lauen Abend weht einsam ein einladend warmes Lüftchen durch die spärlich belegten Außenbestuhlungen der Innenstadt. Die Festivaltouristen reisen an, fallen in die Betten, sehen die zugeteilte Vorstellung, tunken ein Würstchen ins Sektglas auf dem Hügel, fallen letztmals in die Betten und reisen am nächsten Morgen ab. Extrablöd für die Wirte: das heimische Stammpublikum ist im Urlaub oder bleibt weg: „wegen der Festspiele“.
Lieber als der Festspielhügel ist mir sowieso der grüne Hügel neben der Maisel-Brauerei, er beherbergt den Herzogkeller in dem einst Bier gelagert und zur Reife gebracht wurde, auf dem Hügel steht der gleichnamige Biergarten mit einer wunderschönen Fest- und Bierhalle. Bedient wir über den Tresen, ich lasse mir ein dunkles Aktien-Landbier zapfen, einen halben Liter zu 2,50 €, und wähle aus dem umfangreichen Speisenangebot zwei Klassiker: die Blauen Zipfel zu 3,20 € und eine Portion Obazda zu 4,30 €.
Ein bisschen aufgeregt bin ich wegen der Blauen Zipfel, die ich gerade in Hamburg für ein Foodmagazin zubereitet habe, jetzt dem Original gegenüber zu sitzen macht mich ein bisschen nervös. Die Sorge ist unbegründet, in einem Zwiebelsud der stark nach gekörnter Fleischbrühe schmeckt liegen zwei weiß gebrühte Wurstleichen mit unangenehm feinem Brät, der Klassiker wird hier im Heimatland als schlechte Fälschung serviert.
Der Obazda macht Freude, eine mit dem großen Eisportionierer angerichtete Riesenportion von drei Kugeln der würzigen Weichkäse-Butter-Frischkäsecreme, herzhaft abgeschmeckt mit Kümmel, Paprika und Pfeffer. Dazu wird warmes Landbrot ausgegeben, dass herrlich malzig riecht und eine knusprige Kruste hat. Ich erschleiche mir nachträglich einen Kanten.
Die Riesenportion verlangt dringend noch nach einem abendlichen Heimgang durchs Städtchen, eine gute Gelegenheit auch, noch irgendwo ein schönes Glas Wein zu trinken. Vor einer Café-Bar unweit des Marktplatzes nehme ich Platz und wähle die heimisch Weinempfehlung, ein Wein dessen Namen ich sofort wieder verdrängt habe, auch der Kellnerin schwant nix Gutes, schon beim Servieren: „Also, ich hab grad eine neue Flasche aufgemacht, probieren sie doch mal bitte ob der korkt, also ich find ja der schmeckt so harzig, wie Retzína, oder korkt der?“ Ich muss lachen über soviel ehrlich geteilte Aufrichtigkeit, tatsächlich eine bernsteinfarbene Grausamkeit, ob der Wein sehr leicht korkt oder so sein soll vermag ich nicht mit letzter Sicherheit zu sagen.
Wie ich tapfer am Bernstein lutsche, wird ein Zwergenklavier auf den Gehsteig gerollt, ein buttermilchbäckiger Jungpianist gibt zum Einstieg „All of me“ in eine indiskutablen Version. „Boah, nö, das muss jetzt aber echt nicht sein!“, fluche ich vor mich hin, das japanische Ehepaar am Nebentisch rückt ein bisschen näher zusammen und betrachtet mich misstrauisch. Ich hasse grundloses Klavierspiel, erkläre ich auf Deutsch. Dann noch mal auf Englisch. Mir fehlt aber die Vokabel für „grundlos“ und die Message kommt nicht so richtig on. Ein schnauzbärtiger Herr winkt dem Klavierspieler vor Begeisterung mit seinem funkelnden Cowboyhut. Ich muss dann mal los.