Warum ich gerne alleine essen gehe – ein Abend im bidlabu, Frankfurt

In meinem Roman „Der große Glander“ gibt es einen Absatz, der beschäftigt sich mit dem alleine essen im Restaurant:

Jean-Marie isst gerne alleine, er hat sich überhaupt an das Alleinsein sehr gewöhnt, er liebt seine Freiheit. Man spart sich Diskussionen und Small Talk. Alleine zu essen, das ist für ihn das vollkommene Glück. Er liebt die Konzentration auf die Aromen, den Geschmack der Speisen, das Mundgefühl. Und er liebt es, beim Essen zu schweigen. Entsetzlich, dieser Kritik-Zwang in Begleitung – schmeckt es dir, mein Schatz, ist da vielleicht Ingwer drin, meins ist zu durch. Entsetzlich.

Ich bin nur selten soziopathisch und wenn mich mal die Menschenscheu plagt, gehe ich auch nicht auswärts essen. Ansonsten genieße ich kommunikative Abende im Restaurant mit Freunden, Geschäftsfreunden und immer wieder am liebsten auch mit meiner Frau. Der Absatz aus dem Roman verrät aber schon viel über das Glück alleine zu essen: Konzentration!

Die hatte ich gestern bei meinem einsamen Buchmesseauftakt in Frankfurt, die Einsamkeit vor den trubeligen Tagen ist selbst gewählt, das Restaurant/Bistro bidlabu eine Empfehlung von Freund und Küchenchef Simon Horn, aus dem Restaurant Margarete, den ich diese Woche auch besuchen werde. Das bidlabu ein freundlicher Raum, an der Wand hängen Drucke, hinter Glas die geschäftige Küche. Der Alleinreisende bekommt einen schönen Tisch am Fenster und mit Blick ins Lokal, das ist nicht selbstverständlich danke! Los geht es mit irrsinnig gutem Brot aus Süddeutschland, Sauerteig mit Ruchmehl-Anteil, die knusprige Kruste entsteht beim Fertigbacken der Berotlaibe in der Küche. Das gute Amuse: eine Erbsenschaumsüppchen mit Kürbis.

Und schon gehen sie los, die Freuden des Alleineessers: runterkommen, zu sich selbst kommen. Das gelingt formidable mit einem schlozigen Auftakt aus perfekt gegarten Meeresfrüchten, üppig angerichtet mit süffigem Safran-Paprikaschaum, unter einem hauchzartem Knusperdeckel aus Brot, und Tropfen einer Art Rouille-Mayonnaise. Dazu ein buttriger Sauvignon Blanc 2017 Weingut Wendenborn, Rheinhessen.

Und dazu: Leute beobachten. Das aufgeregte Buchvolk ist schon da, international style! Irre ich, oder klingt es immer ein bisschen drüber, ein bisschen echauffiert, wenn Deutsche Englisch sprechen? Jedenfalls ist alles amazing und oh my gosh. Das trifft natürlich auch auf die Ziegenkäse-Ravioli zu, samtig zarte Täschchen mit cremiger Füllung und umspült von warmem Ziegenkäse-Schaum, der Spinat wird frisch und geschmort dazu serviert, ein abgezogenes Kirschtomätchen setzt süß-säuerliche Akzente, Sonnenblumenkerne für den Knack. It was like: woha, it was like hell yeah baby!

Am Nebentisch wird gearbeitet, das hat Chefkoch André Rickert nicht verdient. Der Alleineesser entscheidet selbst, ober er ins Handy schauen, oder etwas lesen will, alle haben Verständnis. Der professionelle Alleinesser lässt Zeit und Gedanken Revue passieren, neue Ideen tauchen auf! Und der Fisch des Tages: Nordmeer-Saibling auf Bkumenkohlcreme, mit geröstetem Blumenkohl, Petersilien-Pesto und Zitronenfrische, dazu die Erkenntnis, dass dieses Jahr irre war, irre aber gut – und noch nicht zu Ende. Wie irrsinnig gut, perfekt, glasig aber heiß, der Saibling gegart ist! Merken die am Nebentisch nicht, es muss noch viel geändert werden, im Manuskript, leider.

Die Ente kommt! In modische Balken geschnitten, ich frage mich stets, wo denn die Seitenkanten verbleiben, freue mich hier aber an einer perfekt rosa gebratenen Ente von großer Zartheit. Mit würzigen Shiitake-Pilzen, die sich nicht rechtfertigen müssen, jetzt in der herbstlich-heimischen Pilzsaison, sie sind genau die richtige Wahl! Dazu Kürbisschleifen und Pürree – und im Glas ein phänomenaler Rotwein: 2016 Esprit de Basté von Phillipe Mure, aus der Region Madiran.

Das allerbeste am alleine essen gehen ist aber der Fakt, das man das alles nur für sich macht, das Geld ausgibt, das Menü wählt und das Essen ganz für sich genießt. Das ist so herrlich eigennützig, das ist ein Geschenk an sich selbst und nur an sich selbst, wahrer Luxus! Auch das Dessert aus Kirschen, Schokolade(n) und Mandeln, das, formschön zunächst, im Teller langsam ineinander über geht und fließt und schmilzt – göttlich!

Gestärkt und selig verlasse ich das bidlabu und sein freundliches Personal, angenehm günstig der Abend, für nur eine Person, ich muss lachen. Und dann denke ich doch nochmal an Jean-Marie aus meinem Roman, dem am Ende eines ebenso erfreulichen Menüs dann doch die folgende Einsicht einholt:

Der Kellner übergießt einen glänzenden Streifen buttrigen Biskuitteig, der mit Nougat und hauchdünnen Bitterschokolade-Tafeln belegt ist, mit heißer, dickflüssiger Schokolade aus einer Karaffe. Auf einem zweiten, geeisten Teller wird cremiges Schokoladeneis gereicht, und Jean-Marie verwirft den aufkommenden Gedanken, der seine Hochstimmung subtil eindunkelt: Dass es vielleicht doch schön wäre, das alles mit jemandem zu teilen.

Das Restaurant:

bidlabu, Frankfurt am Main

Weitere Beiträge
Essen gehen: otto, Berlin – Perspektiven für eine neue Gast-Kultur?