Als wir Perth verlassen, ist es noch mitten in der Nacht, Dunkelheit säumt die hell erleuchteten Straßenläufe, deren weißes Licht noch eben so die Vorgärten der Eigenheime bescheint, die sich link und rechts der breiten, vierspurigen Straße aneinander reihen. Ich bin damit beschäftigt, konzentriert Links zu fahren, auch wenn sonst kein Auto unterwegs ist. Der Mietwagen gleitet durch stille Nacht – die jäh unterbrochen wird, als hinter mir plötzlich ein Feuerwerk ausbricht, direkt hinter unserem Wagen, aus dem Nichts, ein rotes, blaues weißes Feuerwerk dass den gesamten Rückspiegel ausfüllt, scharfes Sirenengeheul setzt dazu ein, ich fahre erst mal weiter um den Schrecken zu verdauen, denke nach und komme zu dem Schluss, dass es sich um Polizei handeln muss. Und zwar Polizei jener Art wie ich sie bisher nur aus Filmen kenne. Hektisch setze ich den Blinker, statt dessen gehen die Scheibenwischer an, ich lasse den Wagen an den Fahrbandrand rollen und bleibe sitzen. Die Hände gut sichtbar am Lenkrad, denn ich kenne das ja aus Filmen („Don´t move, stay in the car!“). Geräuschlos senkt sich das Beifahrerfenster hinter dem jetzt das Gesicht eines Polizisten erscheint und ich stelle die Fragen, die sich eventuell auf den weiteren Verlauf des Polizeieinsatzes positiv auswirken sollte: „Good morning, Officer! Can I park here?“ Nach einem Alkohol-Test und der Überprüfung aller Papiere, dem Hinweis dass meine gefahrene Geschwindigkeit hier nur „von Highways“ bekannt wäre und die Straßen zwar breit seien, aber dennoch Ortsdurchfahrten und Landstraßen blieben, entlässt man uns.
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Pünktlich um vier Uhr morgens erreichen wir unser Ziel, den Hafen von Fremantle, jenem einst sagenumwobenen Hippie-Dorf unweit von Perth, das heute überwiegend den Reichen und Schönen und Touristen als Sommerfrische und Wochenend-Refugium dient. Einer, der hier geboren wurde, ist Jim Mendolia, Sohn eines sizilianischen Einwanderers, der bereits in den 80ger Jahren mit einem kleinen Holzboot hinausfuhr, um Sardinen zu fangen und feststellte, dass damals niemand hier in Australien etwas mit Sardinen anfangen konnte. Das sollte sich ändern, als die ganze Familie 1990 das erste Sardinen-Festival in Fremantle gab, mit Musik und Kostproben.
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Leinen los und los geht es hinaus in die Nacht und die dunklen Wellen, es sei ungewohnt unruhige See heute, verkündet Jim mit theatralem Blick auf das schwarze Wasser. Zusammen mit Jims Mannschaft, zwei jungen Männern und einer jungen Frau, nehmen wir Platz in der Steuerkajüte des Fischkutters. Der Motor läuft ruhig und gleichmäßig, die Jungs dösen, Jim lenkt das Schiff konzentriert aus dem Hafen, Radar und Sonar immer im Blick. Das Radar zeigt was Meilen vor dem Schiff passiert, das Sonar sendet seine Wellen zum Meeresgrund, das Echo hallt und raunt durch einen kleinen Lautsprecher in die Kabine, zusätzlich zeigen farbige Zacken, Punkte und Wolken dem erfahrenen Fisch, ob und wo sich die Sardinenschwärme befinden. „Meistens sind wir in einer Stunde wieder zuhause, fahren nur kurz hinaus vor den Hafen, 2 Tonnen Fisch fangen wir in 1,5 Stunden, das geht dann gleich in die Fabrik. Aber heute…“ Jim macht eine Kunstpause und sieht auf die Bildschirme:“…müssen wir weiter hinaus. Seelachse haben die Sardellen nach draußen vertrieben.“ Nochmal Kunstpause, besorgter Blick ins Dunkel: „Und das bei dem Wetter.“
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Jim und seine Crew sind die Letzten die beinahe täglich rausfahren (Samstag ist frei!) und Sardellen fischen, ingesamt acht Fischer besitzen die Lizenz zum Sardinenfischen in einem 600 Meilen langen Fanggebiet, entlang der Westküste, doch die Kollegen konzentrieren sich mittlerweile allesamt auf das lukrativere Thunfisch- und Lobster-Geschäft, 90 Dollar bekommt man für das Kilo Lobster, frisch vom Boot. Jim fischt Sardinen, der kleinste Teil geht frisch in Restaurants, überwiegende verarbeitet er den täglichen Fang in der kleinen Fabrik der Familie, wo die Fische geputzt, filiert, mariniert und eingelegt werden, nur so bringen sie wirklich Geld und ein Auskommen. „Mein Vater wollte nicht, dass ich Sardinenfischer werde. Ich habe als junger Mann also eine Kaufmannslehre gemacht und bin jede Nacht trotzdem raus zum Sardinenfischen, hab mir dann morgens den Anzug angezogen und bin ins Büro. Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich in einer Nacht Sardellenfischen mehr verdient als in einer Woche im Büro. Das hat dann auch mein Vater eingesehen.“ Jim lacht.
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Das Sonar röchelt monoton, hinter dem Küstenstreifen erleuchtet ein erster, gelb-rot gühender Streifen Morgensonne, die Silhouette eine Raffinerieanlage, das Schiff schaukelt in den Wellen, auf dem Radar zeigt eine dicke weiße Linien, wo überall wir schon auf der Suche nach den Sardinen kreuzten, seit anderthalb Stunden sind wir unterwegs. Dann geht alles sehr schnell: Das Sonar röchelt hochtöniger und es taucht eine große farbige Wolke auf dem Bildschirm auf, ein riesiger Sardinenschwarm, Jim ruft Alarm und alle rennen an Deck. Einer der Jungs springt ins Beiboot, Leinen los, Motor an, knattert er übers Wasser, bis sich nach kurzer Zeit das dicke Tau zwischen dem Fischkutter und dem Beibot spannt, mit laufendem Motor stabilisiert er das Boot-das ist dem starken Wellengang geschuldet, der die Arbeit heute extrem erschwert.
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Rasselnde Ketten entlassen das feinmaschige Netz ins Meer, Meter um Meter hinaus, auf dem Wasser zeigen tanzenden Schwimmer-Kugeln die Position des Netzes: „Jetzt muss es schnell gehen, bevor die Delphine uns bemerken.“ erklärt Jim, während er bereits wieder das Zeichen zum Einholen des Netzes gibt: „Das funktioniert wie ein Einkaufsbeutel, unten ist das Netz, dass sich oben zusammenzieht und zum Sack wird.“
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Es folgt ein herzhafter Fluch, denn da sind sie bereits, die Delphine, ihr bloßes Auftauchen lässt einen großen Teil des Sardellenschwarms panisch fliehen, noch ehe das Netz sich zuziehen kann – der Fangverlust, sehen wir später, ist dramatisch. Aufgrund des hohen Wellengangs zieht sich das Netz auch nicht gleichmässig zu, heute ist kein guter Tag für Jim und seine Leute: „Wir fahren eigentlich auch bei so hohen Wellen nicht raus.“
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Wir erliegen derweil der Romatik des Augenblicks, die aufgehenden Sonne, das funkelnde Wellenspiel, dass immer wieder von den mächtigen Rücken der Delphine durchschnitten wird, die klare Luft, das wolkenlose Blau in dem Möwen stehen. Nicht diese dicken Wohlstandsmöwen vom Hafen, die sich an den Leftovers der Touristen dick essen, das hier sind schlank Vögel mit langen Schnäbeln, die still im stürmischen Wind verharren, bevor sie sich in rasantem Sturzflug auf das Netz stürzen, aus dem die Crew jetzt mit einer Art Staubsauger die Sardellen aus dem Netz aufs Boot saugen.
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Auf dem Rückweg ist Zeit für einen Schwatz, die Morgensonne hat Kraft, es ist muckelig warm in der Kapitänskajüte, das Sonar röchelt vertraut und im Gleichtakt klatschen die Wellen auf das Kajütenfenster, perlen funklend und in langen Bahnen nach unten ab, und nochmal, und wieder, und wieder.
In den ruhigen Wassern des Hafens erwarten uns neuerlich Räuber, die uns in geübten Sinkflug den bescheidenen Fang klauen wollen, während wir die Kisten mit blausilber-glänzenden Sardinen auf Jims kleinen Laster verladen.
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In Jims Fabrik stehen heute nur zwei Angestellte um den Fisch fangfrisch zu verarbeiten, von Bord aus wurde bereits über Funk von der bescheidenen Ausbeute berichtet. Die Damen schuppen die Sardinen heute auch ausnahmsweise von Hand, wir haben zu wenig gefangen um die Schuppungsmaschine befüllen zu können. Und auch die Baader ist unterfordert, deutsche Wertarbeit wie Jim mehrfach und stolz erklärt: die Masschine macht aus ganzen Sardinen, formvollendet saubere Filets und wäre in der Lage 300 Fische pro Minute zu portionieren. Für unseren heutigen Fang läuft sie ein paar gnädig-freundliche Sekunden.
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In Jims Fabrik erfahren die Filets eine deutliche Veredelung, sie werden eingelegt in natives Olivenöl mit Oregano, Chili, weißem Malzessig und nur zärtlich gesalzen. Dick, saftig und feinwürzig sind die „Marinated Sardine Fillets“ von Jims „Mendolia – Fremantle Sardine Companie“ und wenn ich auch manchmal der Übertreibung als Stilmittel nahe stehen mag, darf ich doch reinen Herzens schwärmen: das sind die besten Sardinenfilets die ich je probierte. In kleineren Döschen gibt es sie auch in Variation: in hausgemachter, italienischer Tomatensauce, in Trüffelöl, mit Zitronenmelisse-Öl und mit Pfefferbeeren, in Mineralwasser und Extra Virgin Olive Oil. Es sei an dieser Stelle verraten: ich habe aus Australien nichts mitgenommen, außer knapp zwei Kilo dieser Sardellen.
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Mit einem Teil des Fanges fahren wir an den hübschen Fremantle’s Fishing Boat Harbour und dort zu Cicerello’s Landing, einem sehr amerikanisch anmutendem Fischrestraurant, dass deutlich auf Maßenanstürme vorbereitet ist und dessen Spezialität nach eigenen Aussagen die besten Fish & Chips in SüdWest-Australia sind. Wir haben Sardellen mitgebracht und der griechische Besitzer von Cicerello’s ist ein Freund von Jim, er lässt uns in die Küche und brät uns die Sardinen in Knoblauchöl mit Oregano und Chili, Frühstück frisch von der Plancha. Who needs Lobster!
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Alle Fotos: Daniela Haug
Die ganze Reise, alle Links:
Australien (1): a big night out in Perth
Australien (2): “Good fun – that’s what Craftbeer-Brewing is all about.” – Besuch der Feral Brewery
Australien (3): Mr. Wong rides the Bamboo
Australien (4): Streetfood in Perth
Australien (5): Who needs Lobster! – Sardinenfischen vor der Westküste Australiens
Australien (6): Begegnung mit Poh Ling Yeow, Australiens bekanntester TV-Köchin
Offenlegung: Wir danken Tourism Australia und Tourism Western Australia für die Organisation und Unterstützung unserer Produktion. Während der Erstellung dieses Blogeintrages verschlang der Autor insgesamt 14 marinierte Sardinendoppelfilets aus Jims Produktion