Nachdenken über Nudeln – Besuch beim Pasta-König

6225266951_90f0046cbb_bGiuseppe Di Martino & me

Dieser mein Artikel über Giuseppe Di Martino und die wahrscheinlich beste Pasta der Welt erschien erstmals im Effilee Magazin 22, im Herbst 2012.

Tradition braucht auch Fortschritt, dachte sich Giuseppe Di Martino aus der alten Pasta-Metropole Gragnano in der Provinz Neapel und trat an, die beste Nudel der Welt zu machen. In einem ersten Schritt revolutionierte er den Weizenweltmarkt. Und das war erst der Anfang.

Giuseppe Di Martino ist sich sicher: der liebe Gott selbst hatte die Hände im Spiel als er, im Zuge der Erschaffung der Welt, das kleine Städtchen Gragnano in Süditalien mit den besten Voraussetzungen für die Nudelherstellung beschenkte. Reiche Weizenfelder wogen unter der trockenen Sonne Kampaniens, die Quellen im Valle dei Mulini, dem Tal der Mühlen, führen reichlich Wasser und die Fallwinde aus den nahen Lattari-Bergen trockneten auf ihrem Weg zum nahen Meer schon vor über 500 Jahren die handgemachte Pasta, die damals noch wie frische Wäsche an zwischen den Häusern gespannten Leinen über den steilen Gassen des Örtchens hing. Giuseppe Di Martino ist in Gragnano aufgewachsen, Bestimmung Pasta-Macher, entschieden per Geburt. In Gragnano ist oder war jede Familien irgendwie im Pasta-Business, Maccaronari nennen sie sich, die Bauern, Müller, Kneter, Trockner und Schachtelmacher der Stadt. Im 19. Jahrhundert zählte die kleine Stadt rund 30 Mühlen und 300 Betriebe die sich auf die Pasta-Herstellung spezialisiert hatten. Heute kommen 7 % der weltweit exportierten, italienischen Nudelspezialitäten aus den verbliebenen 14 Manufakturen des Ortes. „Wir sind hier in Gragnano seit ungefähr 2000 Jahren im pasta secca-Geschäft,“ sagt Giuseppe Di Martino, die letzten 500 Jahre davon sind urkundlich belegt. „und wenn sie etwas 500 Jahre lang tun, haben sie wirklich was gelernt.”, erklärt er mit sichtlichem Stolz den Besuchern seiner Pasta Manufaktur Pastificio dei Campi. Ein halbes Jahrtausend Erfahrung in der weißen Kunst bedeuteten dem jungen Giuseppe Di Martino aber schon während seiner Lehrjahre im elterlichen Betrieb auch 500 Jahre traditionell verordneter Verbindlichkeit ohne Fortschritt. Er beginnt über Pasta nachzudenken, wirklich nachzudenken und wer denkt, hat schnell Fragen: sollte es nicht möglich sein, das Gelernte, die „nötigen Tricks der Maccaronari“ noch zu verbessern, handwerkliche Traditionen respektvoll zu optimieren und so die beste Pasta der Welt zu produzieren? „Sie können eine Fiat 500 mit Vergnügen fahren,“ erklärt der Pasta-Meister, nickt dann lächelnd den Besuchern aus Deutschland zu, „oder eben auch einen Mercedes. Wir hier bei Pastificio dei Campi, versuchen der Ferrari unter der Pasta zu sein! Ein Formel 1-Ferrari, natürlich.“

Giuseppe Di Martinos ganz unbescheidene Mission, die beste Pasta der Welt zu produzieren, beginnt vor drei Jahren mit dem Wunsch, wissen zu wollen, welcher Weizen in seinen Nudeln steckt und vor allem: woher der Weizen für seine Nudeln kommt. Das geht nicht, erklärten ihm Weizenhändler, Analysten und Banker, so funktioniert der Weizen-Welthandel nicht, ein sortenreiner, regionaler Verkauf ist nicht angedacht im börsenoptimierten Weltwirtschaftssystem Weizen. Giuseppe Di Martino ist kein Mann der ein vorschnelles Nein akzeptiert. Er machte sich auf die Suche nach dem besten Weizen den er finden konnte, ein Gluten-starkes Korn von hoher Mineralität, und er wurde in Apulien fündig. Er bat die dortigen Weizen-Bauern, ihre Ernten ab jetzt exklusiv und nur noch direkt an ihn zu verkaufen. Das geht nicht, erklärten ihm die Bauern, so funktioniert der Weizenanbau nicht, wir könnten dir, wenn überhaupt, nur alle zwei Jahre Weizen verkaufen, weil wir im Jahreswechsel auch Raps oder Gerste auf den Flächen anbauen, um die Ertragsnachteile durch Monokultur zu verhindern. Und was wäre, fragte Giuseppe Di Martino, wenn ich euch beide Jahre bezahle? Mit dieser einfachen Frage gelang es dem Pasta-Mann aus Gragnano, gleich am Anfang seiner Bemühungen um die beste Pasta der Welt, mal eben den Weizenweltmarkt zu revolutionieren. Seitdem wird ausschließlich sortenreiner, italienischer Hartweizen mit Herkunftsbezeichnung für Pasta der Pastificio dei Campi verwendet. Giuseppe Di Martino hat neben den Feldern seiner Vertragsbauern eigene Weizensilos aufstellen lassen, er sorgt auch für Transport und Logistik. Auf jeder Packung Pasta der Manufaktur finden sich die GPS-Daten des Weizenfeldes dessen gemahlene Körner in den Nudeln stecken, dazu Informationen zu Erntezeitpunkt und Verarbeitungstag. Auf der Internetseite der Manufaktur kann per google maps der Standort des Feldes betrachtet werden, daneben finden sich Portraitfotos der Weizenbauern, der Müller die das Korn gemahlen hat und der Mitarbeitern die diese Pasta hergestellt und verpackt haben. „All diese Menschen sind wahre Stellvertreter und wichtige Teilhaber unseres Projektes.“, erklärt Di Martino, er sagt Projekt, nicht Unternehmen. Das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit ist eine einzigartige Pasta: die Nudeln haben aufgrund ihres außergewöhnlichen Protein-Gehalts von bis zu 14% einen unvergleichlichen Biss und einen intensiven Geschmack. Alleine der Geruch, der sich beim Kochen der Pasta in der Küche entfaltet, zeugt von der Richtigkeit der Bemühungen Di Martinos und seines Teams – es duftet süß nach Getreide, nach Hefe, nach frisch gebackenem Brot, warm und verheißungsvoll. Aber ist das nicht teuer, zwei Ernten zahlen und nur eine bekommen, die Pasta muss doch ein Vermögen kosten? Giuseppe Di Martino schüttelt lächelnd den Kopf, seine Pasta kostet im Schnitt nur zwei-dreimal soviel, wie herkömmliche Pasta aus industrieller Herstellung, Bei einem Päckchen Supermarkt-Nudeln zu zwei Euro, sind das gerade mal 4-6 Euro für Di Martinos Pasta. 500 g Weltklasse-Pasta für den Preis zweier Tiefkühlpizzen.

Das mit dem Weizen war nur der Anfang. Als Giuseppe Di Martino 2010 mit der Projekt-Planung begann, bedachte er auch völlig neue Wege der Herstellung, die wiederum neue Produktionstechnologien erforderten. Insbesondere galt es, den Wassergehalt im Pasta-Teig zu reduzieren um die anschließende Trocknungszeit zu minimieren. „Unsere Pasta besteht heute eigentlich nur noch aus Weizen und Liebe. Es ist uns gelungen, den Wasseranteil derart zu reduzieren, dass sich die Pasta gerade noch formen lässt.“ Mit einem Druck von 90-120 bar (90-120 kg/cm2 ) pressen die Maschinen den festen Teig durch die schweren Zieheisen aus Bronze. Gefühlt trocken und mit der typisch rauen Oberfläche einer trafilata al bronzo-Nudel, fällt die frische Pasta in die Hand der Besucher und auf lange Trockenbretter, die direkt in die begehbare Ofenkammern gefahren werden. Hier trocknet die Pasta bei einer Temperatur von nicht mehr als 65 Grad, das schont die Inhaltsstoffe und schützt den Eigengeschmack der Pasta – großindustriell hergestellte Pasta ist wesentlich feuchter und wird im Eilverfahren bei oftmals weit über 80 Grad heißgedörrt. Auch das macht den Unterschied.

Die beste Pasta der Welt, findet Giuseppe Di Martino, verdient auch die beste Verpackung der Welt und er hat, nicht zuletzt, auch über diese lange nachgedacht. Herausgekommen ist ein stabiler Würfel aus Karton, stapelbar, mit Sichtfenster, „so kann der Koch sofort sehen welche Pasta und wie viel davon noch vorrätig ist.“ Ein rotes Band mit Klebesiegel umfasst den Karton beim Verlassen der Manufaktur, neben der üblichen und gesetzlichen vorgeschriebenen Informationen befinden sich Fotos der Angestellten und eben die GPS Daten des Weizenfeldes auf dem Karton, der selbstverständlich von Hand verpackt wird: „Das kann keine Maschine, nur meine Mitarbeiter haben das Auge für ein angebrochenes oder weniger schön geformtes Exemplar im Strom der Pasta und sortieren das dann sofort aus.“
Am Kochtopf wird Giuseppe Di Martino noch mal ungewöhnlich streng, ganz besonders zu den deutschen Besuchern: „Nehmen wir nur mal Spaghetti Bolognese! Eine deutsche Erfindung, kein Italiener käme auf die Idee, sein Ragù mit Spaghetti zu servieren! Sie essen und essen und am Ende liegt was noch auf dem Teller? Das Ragù! Das ist sinnlos! Sie brauchen eine Pasta die nach dem Ragù greift.“ Signores gespielte Empörung geht in ein versöhnliches Grinsen von beachtlicher Breite über: „Wir haben in Italien hunderte von Pasta-Formen entwickelt, wir haben uns bei jeder einzelnen Form etwas gedacht. Jede Pasta verdient ihren perfekten Küchen-Einsatz!“ Giuseppe Di Martino verabschiedet seine Gäste mit der freundlichen Anregung künftig auch selbst, am heimischen Herd, etwas länger über Pasta nachzudenken.

www.pastificiodeicampi.it/de/

Giuseppe Di Martinos Pasta gibts z.B. bei Gourmondo

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