Ich denke viel über die so genannte Molekularküche nach, frage mich, was sie für Köche und Genießer in der Zukunft bedeuten mag. Mir ist nicht ganz klar, warum ich künftig im Restaurants teures Geld für Zusatzstoffe ausgeben soll, deren Erwerb ich im Supermarkt seit Jahren meide. Andererseits sind, insbesondere die neuen, zukunftsgewandten Kochtechniken und das Wissen um die physikalischen und chemischen Zusammenhänge natürlich sehr interessant, schon mein Lehrmeister Albert Bouley wusste in den Achtziger Jahren:
„Koche ist Physik und Glücksache“.
Die heutigen Möglichkeiten hätte Monsieur sich damals aber wahrscheinlich nicht träumen lassen und die “Glücksache” ist in der Gastronomie, damals wie heute, eine fundierte Kochausbildung. Dass allerdings das Wissen um beispielsweise die Dekonstruktion eines Kartoffelgratins niemals ein Kartoffelgratin ersetzen wird, dachte ich, wäre Allgemeingut und Rettungsinsel in jenem Gastro-Hype über den neulich ein kochender Kollege so klug wie abschließend sagte:
„Die molekulare Küche hat die Herzen der Menschen nicht erreicht.“
Etwas anderes erzählt das folgende Video von Hotelier TV, gedreht auf der diesjährigen „Gastro Premium Night“ auf dem Hamburger Süllberg. Feinschmeck-Händler Ralf Bos erläutert auf Nachfrage und ab Minute 2:26 Highlights aus seiner Molekularabteilung und da wird beispielsweise grüner Spargel serviert:
„Ganz, ganz witzig, da haben wir einen grünen Spargel, der insgesamt vielleicht 0,4 Gramm wiegt, staubtrocken ist, aber unglaublich intensiv nach Spargel schmeckt.“
Im Video wird auch der kulinarische Zugewinn des Spargel-Bimssteins erklärt und das wäre alles noch sehr lustig, folgte dann nicht noch die Generalabrechung mit den Köchinnen und Köchen, die sich weiterhin um einen frischen, grünen Spargel auf den Tellern ihrer Gäste bemühen:
„Wer sich dem verschließt wird sich automatisch in eine andere Liga befördern, heute ist man eben etwas weiter in der Entwicklung und wir gehören zu den Leuten, die diese Entwicklung versuchen zu erklären und eine Sinnhaftigkeit darin zu geben und auf der anderen Seite gibt es natürlich Leute die das ablehnen und sagen, der molekulare Krempel interessiert mich überhaupt nicht. Das sind aber leider die Leute die sich sofort in die zweite Liga befördern, weil die in der ersten Liga die haben es verstanden und werden auch da bleiben.“
Auf die Gefahr hin, nur noch zweite Liga zu sein: ich habe das Gefühl, die so genannte molekulare Küche befindet sich, zumindest in der Praxis, schon wieder auf dem Rückmarsch. Das ist verständlich, weil sie zu einem Zeitpunkt en vogue wurde, als sich ein Großteil der Verbraucher, von multiplen Lebensmittelskandalen gebeutelt, mehr denn je nach Regionalität und dem Wissen um den Ursprung ihrer Lebensmittel sehnte, als nach einem Menügang der die „Texturas“ eines spanischen Wirtschaftsunternehmens enthält.
Ich denke nicht, dass Köche wie beispielsweise der Nose to tail-Pionier Fergus Henderson oder der wunderbare Yotam Ottolenghi, der junge Franzose Laurent Poulet und nicht zuletzt die von mir sehr verehrte Isabelle Muylaert-Auguy mit ihrer Terroir-Küche (um stellvertretend nur ein paar zu nennen) zur zweiten Liga gehören, ich behaupte heute: ihnen gehört die Zukunft.
Vielleicht ist es mit der sogenannten Molekularküche wie mit dem modernen Kino: der 3-D Effekt ist erstaunlich – unvergesslich und berührend wird ein Film aber erst durch die Geschichte die er erzählt.