Manfred Weber Lamberdière – Die Revolutionen des Ferran Adrià

Ein großartiges Buch. Selbst wer kein Freund der experimentellen Küche Adriàs ist, kommt hier voll auf seine Kosten, denn schon nach wenigen Seiten wird klar: Manfred Weber-Lamberdière hat auch die jüngste Geschichte der europäischen Haut Cuisine protokolliert, von den 50er Jahren bis heute. Kenntnisreich und launig erzählt der Autor vom Genie Auguste Escoffier und seinen bedrohlich üppigen Menüs, über die Anfänge der Nouvelle Cuisine, bis hin zum heutigen Starkoch als Wirtschaftsunternehmer.

Unzählige Anekdoten zu Küchen-Revoluzzern wie Alain Senderens, Marc Veyrat, Alain Ducasse und Paul Bocuse machen viel Spaß und schaffen überraschende Einsichten. Wie Fernand Point sich wegen seiner butterlastigen Küche vor den Nazis zu verantworten hatte, warum Michel Guérad aus Liebe und Fettleibigkeit zum Diätgourmet-Gott wurde, wie Alain Chapel den Salat in die 3 Sterne Küche brachte und Paul Bocuse seine schwarze Trüffelsuppe erfand (und als Brotzeit empfahl), das ist unterhaltsam und lesenswert. Auch wenn Deutschland 1970 endlich aus dem kulinarischen Dämmerschlaf erwacht ist Weber-Lamberdière dabei, zeichnet Aufstiege, Fall und Wiedergeburt Eckart Witzigmanns nach und schlägt den Bogen bis zu den Fernsehköchen von heute, die gestern noch Kochgötter und Lehrlinge Witzigmanns waren.

Manfred Weber Lamberdière hat sehr viel Zeit mit Ferran Adrià verbracht, entsprechend privat und „nah dran“ ist das Buch in den Teilen die die Geschichte Adriàs und des Restaurants EL Bulli erzählen, stets ohne falsche Heldenverehrung, mit großer Selbstverständlichkeit. Adriá selbst hat ein Nachwort zum Buch beigesteuert, eine lesenswerter Einverständniserklärung des Meisters.

Ferran Adriàs Werdegang ist eng verknüpft mit der Emanzipationsgeschichte der europäischen Küche, das Buch macht klar wie logisch Adriàs Entwicklung einer neuen Küche in ihrer Radikalität und Kompromisslosigkeit letztendlich doch ist. Uwe Opocensky, ein deutscher Chefkoch der 2006 bei Adriá hospitierte, fast es so zusammen: „Erst in 20 oder 30 Jahren wird allgemein anerkannt sein, was Ferran Unglaubliches geleistet hat.“ Genau so, wie Escoffier, Point, Veyrat, Vergés, Bocuse, Guérad, Giradet, die Brüder Haeberlin und Troigros, Ducasse, Chapel, Bras, Robouchon und Witzigmann einst Türen zu kulinarischen Hochgenüssen aufstießen, die vom Publikum zunächst mit Kopfschütteln bedacht und erst sehr viel später staunend und mit großer Freude durchschritten wurden.

Manfred Weber Lamberdière – Die Revolutionen des Ferran Adrià
Wie ein Katalane das Kochen zur Kunst machte
2007 Berlin Verlag GmbH
Bloomsbury Berlin
ISBN 978-3-8270-0742-1