Der Weg von Maloja hinauf zu Renato Giovanoli ist steil, Wohnhaus und Metzgerei liegen auf 1830 Metern, hoffentlich habt ihr 4-Radantrieb, sonst wird das nichts, sagt er am Telefon. Meterhoch liegt der Schnee zu beiden Seiten des gut geräumten Höhenweges, der sich schließlich öffnet und eine grandiose Sicht auf den Weiler Pila freigibt: drei Häuser, eine Räucherhütte, dahinter erhebt sich ein mächtiges Bergmassiv. Den Weg hinauf, erfahren wir, räumt Renato Giovanoli selbst jeden Tag, mit einem zum Schneepflug umgebauten Traktor. Renato Giovanoli ist 80 Jahre alt.
Sein ganzes Leben hat er hier oben verbracht. Der Vater kam einst von Soglio herauf um als Metzger im Maloja Palace Hotel anzuheuern. Mit 15 lernt der Bub Renato das Handwerk, tritt in die Fußstampfen des Vaters, des Großvaters. Seit 65 Jahren produziert Herr Giovanoli hier oben Trockenfleisch, Bündnerfleisch und Salsizwürste, räuchert und reift Speck und Schinken – nach uralter Handwerkstradition. Wenn Giovanoli aufhört, verschwindet alles, das hatten mir die Fleischer und Metzger in St. Moritz zugeraunt, Hochachtung in der Stimme.
“Ich mach weniger. Dieses Jahr schon noch.”, Renato Giovanoli spricht leise und ruhig, beobachtet aus wachen Augen die Besucher, so ganz geheuer ist im das Interesse der Fremden an seiner Person nicht. Das lange graue Haar passt nicht unter die Bommelmütze, ein grauer Bart rahmt das Gesicht mit den vielen Falten: “Ja, das ist eben die Metzgerei.” sagt er schulterzuckend.
Die Metzgerei ist im neuesten der drei Häuser untergebracht, es ist dreißig Jahre alt und hier haben die Giovanolis auch geschlachtet: “Das mach ich aber nicht mehr!”. Der alte Metzger zeigt uns den Keller, dicht an dicht hängen duftende Salsiz von der niedrigen Decke, mit zartem Edelschimmel bezogen.
Draußen zeigt sich kurz ein kleines Flüßchen zwischen Schnee und Eis, der Ursprung der Inn, hier quert auch der Wanderweg Via Engiadina, der von Vinadi im Unterengadin nach Maloja im Oberengadin führt.
In einer Hütte neben dem verschneiten Hühnerstall steht der schwarze Räucherofen, im Nebenraum wird das gepökelte Fleisch getrocknet und zwischen Holzplanken gepresst.
Renato Giovanoli verkauft an Stammkunden, Besucher. Hotels gehören nicht zu seinen Kunden: “Da wär ja alles gleich weg.” Das Geheimnis seines Bündnerfleischs? “Salz, Knoblauch. So halt. Und ich presse nicht so stark.” Ober er uns auf ein Glas hineinbitten darf, fragte er auf dem Rückweg zum Haus.
Die Wohnstube ist warm und gemütlich, überall türmen sich Bücher und Kunst, in der Ecke ein Klavier, hier ist Kultur zuhause: “meine Frau liest viel!”, sie arbeitet in der Bibliothek in St. Moritz, erklärt Herr Giovanoli, holt Gläser und schenkt Rotwein ein, ein guter Italiener, vom Weingut auf dem einer seiner beiden Söhne arbeitet. Ah, Kinder! Ja vier, aber weder die Jungs noch die beiden Mädchen wollten hier oben übernehmen. Eine Tochter hat “eine halbe Metzgerslehre” gemacht, sie arbeitet heute bei Oakley, sagt er und zieht am Emblem auf seinem sportlich-schicken Pullovers.
Herr Giovanoli kann sich auch schweigend verständigen, das Thema ist abgeschlossen für ihn, da muss man nicht mehr drüber reden, über die Zukunft. Er ist ja noch hier. “Viva!” sagt er, erhebt das Glas. Dann korrigiert er in meinem Notizbüchlein die von mir angenommene Schreibweise der Stadt Soglio: “Nix für ungut!”
Einer der Bücherstapel versammelt alle Bücher in denen etwas über ihn geschrieben sei. Selbst im Schweizer Fernsehen war er mal zu Gast. Kopfschütteln. “Jetzt hat eine junge Frau vor, ihre Doktorarbeit über mich zu schreiben. Ich weiß garnicht, was ich der erzählen soll.” Renato Giovanoli interessiert sich beim Wein lieber für die Lebensgeschichten der Besucher.
Später in der Metzgerei probieren wir würzige Salsiz von der Gemse, dunkles Bindenfleisch vom Hirsch wird in rosa Wachspapier eingeschlagen, die elektronische Wage spuckt den Preis aus. Draußen vor dem Fenster balgen sich fette Katzen im Winterfell um die Pellen der Gams-Salsiz.
Zeit für den Abschied, die Schatten werden länger. “Kommt wieder! sagt Renato Giovanoli und bietet uns allen noch das Du an, winkt knapp und geht zurück ins Haus. Wenn Giovanoli aufhört, verschwindet alles. Noch in St. Moritz haben wir den würzigen Geschmack seiner Salzis im Mund.
Weiterführende Infos:
– Ausstellung: noch bis zum 31.08.2014 gibt es im Engadiner Museeum in St. Moritz eine wunderschön gestaltete und hochinteressante Ausstellung zum Thema Trockenfleisch, Binden- und Bündnerfleisch
– Video: Renato Giovanoli zu Gast bei Aeschbacher in einem Talk im Schweizer Fernsehen: Video (11:44 Minuten) von 2010
– Video: Der Supermetzger Renato Giovanoli (SF Spezial Fernweh in den Alpen), Video (3:55 Minuten) von 2009
– Blog: Der Schweizer Foodblogger Robert Sprenger vom Lamiacucina-Blog hat Renato Giovanoli schon 2007 besucht
Ich danke Rolf J. Schmitz, der Küchendirektor des Laudinella Hotels in St. Moritz hat in Sachen Bünderfleisch lange für mich herumtelefoniert, vorgefühlt und nicht nur den Besuch bei Renato Giovanoli möglich gemacht. Danke Rolf!