Beim Blick auf die Rückseite der Karte für das Grand Opening des Gourmet Festivals St. Moritz 2014 wir mir heiß und kalt: es gibt, anders als bei vergleichbaren Festivals in Deutschland, einen Dress Code! Der heißt Cocktail, da klingt lässig und beschwingt, ist es aber nur für die Ladys. Ich bin hier im Engadin, um im Rahmen eines Förderpreises der Kulturbehörde Hamburg, mein nächstes Buch voran zu bringen und der Besuch des Gourmetfestivals ist mein Privatvergnügen zum Ende des Stipendiums. Ich hatte darum zwar für die Schlaraffenland-Lesung bei meinen Gastgebern im Hotel Laudinella einen Anzug eingepackt, dunkel ist der allerdings nicht, es mangelt überdies an der vorgeschriebenen Krawatte und „schwarzen Schnürschuhen“, meine sind eher schwarze Schlüpfschuhe und gut gegen Schnee. Ich geh trotzdem hin.
Entwarnung schon beim Begrüßungs-Champagner, viele Männer tragen keine Krawatten, ich sehe lässig geschulterte Tücher, braune Tagesschuhe, grüne Hosen, Trachten. Insgesamt ist die Festgemeinschaft wesentlich eleganter gekleidet, als bei vergleichbaren Anlässen in Deutschland und auch im Altersschnitt jünger, keine Ahnung warum meine Generation und die folgende(n), zuhause noch so zögerlich sind, mit Gourmetfestivalbesuchen: beim Ticketpreis trifft einen, hier wie dort, immer erst einmal der Schlag, wenn man es dann aber runterrechnet auf durchschnittliche Restaurantbesuche und dann einen Blick auf die Gästeliste wirft, schärft sich das Preis-Leistungsverhältnis deutlich zu Gunsten der Festivals.
Im Atrium des Kempinski Grand Hotel, werden die Gäste dann von der Schweizer Gastro-Legende Reto Mathis vorgestellt. Laudinella-Küchendirektor Rolf J. Schmitz war es gelungen, uns noch Karten zu besorgen, danke Rolf! Denn das ist schlicht ein unglaublich beeindruckendes Line Up:
Yoshihiro Takahashi (Restaurant Hyotei, Kyoto, 3 Sterne)
Takuji Takahashi (Restaurant Kinobu, Kyoto, 3 Sterne)
Tim Raue (Restaurant Tim Raue, Berlin, 2 Sterne)
Mauro Colagreco (Restaurant Mirazur, Menton, France, 2 Sterne)
Andree Köthe (Restaurant Essigbrätlein, Nürnberg, 2 Sterne)
Yoann Conte (Restaurant Yoann Conte, Annency, 2 Sterne)
Christian Scharrer (Restaurant Buddenbrooks, Travemünde, 2 Sterne)
Moshik Roth (Restaurant & samhoud places, Amsterdam, 2 Sterne)
Wolfgang Puck (CUT at 45 Park Lane, London, 2 Sterne)
Palle Enevoldson (Restaurant Varna, Aarhus-Denmark)
Ich könnte ein kleines bißchen Schreien vor Glück. Zusammen mit den jeweiligen Gastgebern der Hotels in denen die Köche während des Festivals kochen, werden an jeder Station zwei Kreationen gereicht. Nicht immer ist dabei sofort ersichtlich, welche Kreation der Gast, welche der Gastgeber gezaubert hat, man präsentiert sich als Team, das finde ich charmant. Los geht’s!
Moshik Roth (Restaurant & samhoud places, Amsterdam, 2 Sterne)
Gastgeber: Bernd Ackermann, Suvretta House
Der Start ist klassisch, ein aromatisch dichter „Cappucchino“ von Mona Lisa-Kartoffeln und schwarzen Trüffeln, kunstvoll schichten sich cremige und schaumige Schichten in der Espressotasse zu einem echten „Wegschlotzer“, das eiskalte Gänseleber-Bonbon „Foie Chérie“ mit Sauerkirsche und dunkler Schokoladenhülle, zergeht selig im Mund.
Tim Raue (Restaurant Tim Raue, Berlin, 2 Sterne)
Gastgeber: Fabrizio Piantanida, Grand Hotel Kronenhof
Die Begrüßung ist herzlich, kurz wundert sich der Meister: „Was machst Du denn hier?“, dann wird auch schon serviert. „Tintenfisch, Artischocke und Prosecco“ nennt sich das filigrane, mehrteilige Kunstwerk, typisch Raue, vermeintlich klar und doch hochkomplex, wie sich hier eines zum anderen fügt und doch keine Geschmacksnuance verloren geht. Ganz groß. Auch der Sichuan Schweinebauch, butterzart, deutlich geschärft, grandios. Das erste Highlight.
Yoann Conte (Restaurant Yoann Conte, Annency, 2 Sterne)
Gastgeber: Hans Nussbaumer, Kulm Hotel St. Moritz
Yoann Conte beerbte Küchenlegende Marc Veyrat und gehört mittlerweile selbst zu den ganz Großen. Was er zusammen mit Gastgeber Hans Nussbaumer serviert, ist für mich eines der Highlights des Abends: „Kindheitserinnerung“ heißt die abgefahrene Kombination aus Maiscrème, Polentamousse, karamellisierte und gesalzener Butter, getopp von Popcorn. Ist es ein Zwischengang, ist es eine Süßsspeise – der Gaumen will sich nicht entscheiden, der Kopf ruft: „Mehr davon, noch eins, noch eins!“ Diese cremige Süße der Polenta unter der luftigen Maiscréme, in perfekter Symbiose mit der salzigen Butter und dem Karamell. Hammer! Daneben ganz anders, ganz anders genial: ein Teller voll „Waldduft“ eine kräftige Consomée mit Wurzelgemüsen, Pilzerde und Gnocchis „Piemonteser Art“, die fleischig-buttrig zergehen.
Palle Enevoldson (Restaurant Varna, Aarhus-Denmark)
Gastgeber: Kurt Röösli, Hotel Waldhaus Sils
Jetzt erst entdecken wir Palle Enevoldson, den dänischen Spitzenkoch hatte uns die Programmvorschau vorenthalten. Der Würfel von Foie gras-Terrine mit Kirsche mag alte Schule sein, ist aber technisch perfekt, die Foie gras von höchster Qualität, harmonisch dazu das Kirschgelee, die gerösteten Haselnüsse in Nussöl und der Zweig Frisée ist auch keine Garnitur. Es sollte viel mehr mit Bittersalaten als Würze gearbeitet werden. Raffiniert und heutiger ist die Komposition aus Beten, Hirschtrockenfleisch, salzig-fruchtiger „Passionsfruchtmeringue“ zusammengehalten von einem aufgespritzten „Lolli“ aus herb-frischem Kuhmilchfrischkäse. Toll!
Yoshihiro Takahashi (Restaurant Hyotei, Kyoto, 3 Sterne)
Takuji Takahashi (Restaurant Kinobu, Kyoto, 3 Sterne)
Gastgeber: Salvatore Frequente, Carlton Hotel
Ich weiß nicht, wie ich es formulieren soll und am liebsten würde ich mich drum drücken. Da gelingt es, die kulinarische Speerspitze Japans nach Europa zu holen, alleine die Anwesenheit von Yoshihiro Takahashi ist eine Sensation, sein Restaurant Hyotei in Kyoto ist seit 400 Jahren berühmt, der Dreisternekoch leitet die Geschicke des Hauses in 15. Familiengeneration – und dann das: der Steinbutt mit geräucherter Konbu, Essig-Rübchen, Wasabi und Zitronenemulsion ist aufgegessen, als wir ankommen, macht nix, Schicksal, wir freuen uns über Sushi von der Makrele und Lachs-Shushi als „Tamari Ball“. Ungläubige Gesichter nach dem ersten Happen. Der Sushireis ist klebrig, verkocht, beinahe schon cremig und wird mehr im Mund. Da muss ein Unfall passiert sein. Mir tut es unglaublich leid für die beiden Starköche aus Japan, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das selbst verbaselt haben. Oder soll das so? Und ich schnall das nur nicht und schreibe hier Unsinn. OMG. Betreten machen wir, dass wir weiterkommen – und hoffen einmal nach Kyoto reisen zu können, denn das kanns nicht gewesen sein.
Wolfgang Puck (CUT at 45 Park Lane, London, 2 Sterne)
Gastgeber: Mauro Taufer, Badrutt´s Palace Hotel
Unternehmer Wolfgang Puck (der Sternekoch betreibt mittlerweile 21 Gastronomiebetriebe weltweit) hat es nicht zum Opening geschafft, wir kommen trotzdem in den Genuss seiner Produktküche, zwei Klassiker: der Steak Tatar Prime Sirloin auf gegrilltem Brot schmeckt, ist zurückhaltend gewürzt und daher schön „fleischig“ im Geschmack, prima. Der Spicy Thunfischtatar in der Waffel mit Sesam-Miso Tuile ist perfekt gewürzt, Umami pur, ein Genuss. Und ich kann diese Cornet- und Waffel-Schischi-Mode ehrlich gesagt null leiden, diese Cornet ist anders: knusprig und aromatisch, mit viel Sesam und Sojasauce gewürzt. Rad nicht neu erfunden, aber: echtes Soulfood.
Andree Köthe (Restaurant Essigbrätlein (keine Hompage gefunden), Nürnberg, 2 Sterne)
Gastgeber: Christian Ott, Hotel Schweizerhof
Ich habs immer noch nicht ins Essigbrätlein nach Nürnberg geschafft, aber alle Kulinariker auf deren Wort ich etwas gebe sind begeistert bis zur Verzückung von Andree Köthes Kräuter-, Gewürz und Gemüseküche, hier ist Fleisch die Beilage. Konsequent und mutig servieren Andree Köthe und Gastgeber Christian Ott zwei vegetarische Teller, die mich bis zur Verzückung begeistern. Die Rote Bete mit Bachkresse und Kümmel-Karamel ist hochwürzig, perfekt das Spiel mit Süße und Säure, dazu das leicht bitterscharfe der Bachkresse mit der senfschärfe des Kümmels, ein Erlebnis. Dann das Zitronensauerkraut, hauchfein gehobelt, knackig zart und gerade eben nicht mehr roh, intensives Zitronenaroma, ein Hauch Karamell – eine erfrischende Überraschung: so kann Sauerkraut schmecken. Das ist für mich kulinarische Intelligenz, das begeistert mich: vermeintliche Schlichtheit, die im Detail begeistert, durch ungewöhnliche Kombinationen, geniale Würzung, perfekter Garung, Balance und Eleganz.
Christian Scharrer (Restaurant Buddenbrooks, Travemünde, 2 Sterne)
Gastgeber: Markus Rose, Hotel Giardino Mountain
Ich freue mich, hier auch Christian Scharre zu treffen und bitte ihn um ein Foto. Eben will ich abdrücken, da springt uns eine freundliche Schweizer Dame ins Bild: sie könne doch auch ein Foto von uns beiden machen! Niemals, niemals käme ich auf die Idee, sowas erspare ich Leuten eigentlich gerne. Na gut. Es dauert minutenlang, immer wieder rutscht der Daumen der Dame auf die Filteranzeige, dann endlich, knips. Danke Christian Scharrer, fürs Durchhalten! Es ist auch noch ein Zeit für einen kurzen Plausch, Christian Scharrer lobt die Organisation, er und seine Jungs fühlen sich wohl und freuen sich auf die Menüabende im Giardino Mountain. Auf die dürften sich auch die Gäste freuen! Das getrüffelte Hühnerei mit Topinambur-Schaum ist jedenfalls elegant gewürzt, cremig gegart. Und der Rote Bete Baiser mit Räuchermatjes und Kaviar ist der perfekte Gabelhappen. Auch so eine Küche, in der vermeintlich Traditionelles, neu interpretiert, zu überraschend heutiger Hochform aufläuft.
Mauro Colagreco (Restaurant Mirazur, Menton, France, 2 Sterne)
Gastgeber: Axel Rüdlin, Kempinski Grand Hotel des Bains
Den ganze Abend schon laufe ich immer wieder an Mauro Colagrecos Station vorbei, der gebürtige Argentinier war der erste nicht aus Frankreich stammende Koch des Jahres in der französischen Ausgabe des GaultMillau – und ist heute hier fürs Dessert zuständig. Der Mann ist eine Schau, fröhlich und charmant flirtet er mit dem Publikum, lacht herzlich, macht Witze und hat ein freundliches Wort für jeden. Ganz klar, der Mann liebt was er tut. Als ich endlich an der Reihe bin, ist nicht nur die „Quitte & Ziege“ aus, sondern auch „Safran Espuma et Mousseline“. Ein Tablett mit Champagner für die Küchenmannschaft wird serviert, Mauro Colagreco entschuldigt sich wortreich, da reicht ein guter Geist aus der Kempinski Küche Dessert-Nachschub herein. Es gibt wieder „Safron Espuma et Muosseline“! Koch und Gäste freuen sich gleichermaßen, Colagreco prostet seinem Team zu, nimmt einen großen Schluck Champagner, Augenzwinkern, weiter geht’s! Die Köstlichkeit ist kompliziert und mehrteilig und ein Gesamtkunstwerk: unten im Teller eine cremige Vanille-Mousseline, fruchtige Orangenstücke und ganze Mandeln. Dazu Fetzen eines nicht zu süßen Schaumkuchens, überhaupt ist hier alles kaum süß, Frucht und Safran spielen die Hauptrollen, weißer Safran-Espuma und eine Nocke kühles Safran-Orangeneis. Alles passt, alles ist perfekt dossiert, selbst die ganzen Mandeln, gerade die ganzen Mandeln machen Spaß im Gesamtspiel. Merci, bien!
Was für ein großartiger Abend! Das Programmheft droht jetzt mit Party und Liveband. Und die legen direkt los. It´s raining men. You are the sunshin of my life. I will survive. Ich schnappe mir meine Jacke und genieße auf dem Heimweg die Stille unterm Sternenzelt, das Knirschen der Schritte im Schnee.