1990 hab ich es mal so richtig vermasselt, in der Küche des Sternerestaurants Le Gourmet / Schwarzwälder von Otto Koch, in München. Zwischen dem Ende meiner Kochlehre und dem Beginn des Zivildienstes hatte mich mein Lehrmeister Albert Bouley für ein paar Wochen zum berühmten Kollegen an die Isar vermittelt. Es war meine erste Station als Koch, überhaupt mein erstes Mal Leben in einer fremden Stadt, im Gepäck einige von Mutter frisch gestärkte Kochjacken, ein Löwenherz und eine sehr gute Ausbildung. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich erinnere mich noch heute an den ruhigen Küchenablauf, den freundlichen, hochkonzentrierten Meister am Küchenpass, den respektvollen Umgang miteinander. Das alles kannte ich auch aus meinem Lehrbetrieb, und die Küchensituation im Le Gourmet ließ mich irrtümlich glauben, es ginge immer so zu in deutschen Sterneküchen. Ich wusste damals nicht, dass das Le Gourmet eine meiner letzten Station dieser Art sein sollte. Und ich erinnere mich an meine erste Falsche Prinzregententorte, eine falsche Falsche Prinzregententorte.
Beim Begrüßungsgespräch hatte man mich gefragt, welchen Posten ich den am sichersten beherrschen würde und ich hatte mich auf den Gardemanger Posten für die Vorspeisen gerettet. Bereits zur Mittagszeit wurde ich aber zum Entremetier abberufen, den Jungs vom Beilagen- und Gemüse-Posten oblag auch die Herstellung der Falschen Prinzregententorte, damals wie heute ein „Signature Dish“ von Otto Koch, ein Klassiker, Aushängeschild seiner Kochkunst und Küchen-Philosophie. Fein gewolfte und an der Luft fermentierter Champignons und Morcheln wurden gebraten und in dünnen Schichten mit noch dünneren Crêpes in eine Ringform geschichten, als Tortenstücke mit Madeira-Jus serviert, jedes Tortenstück gekrönt mit einem zur „Sahnehaube“ geschnitzten Champignon.
(Falsche Prinzregententorte, Auschnitt aus “181 Kulinarische Höhenflüge”, Fotograf Hans Gerlach)
In Otto Kochs aktuellem Kochbuch “181 Kulinarische Höhenflüge” (Culinaris Verlag, 2010) findet sich das Gericht natürlich unter den Klassikern, angegeben sind „etwa acht Lagen“. Damals, 1989, war die Anzahl der Lagen auf Sieben festgelegt. Ich buk also am ersten Praktikums-Tag zunächst die Crêpes, währen die gewolfte Pilzmasse am Fenster eindunkelte. Die Crêpes wollten erst nicht so recht gelingen, zu dick, eher Pfannkuchen, ich schwitzte und musste zweimal neuen Crêpes-Teig zusammenrühren.
Am Abend erreichte das erste Stück meiner falschen Prinzregententorte den Pass. Otto Koch kontrollierte das Ergebnis und reklamierte: die Torte sei nicht nur zu hoch geraten, sie besäße dazu auch noch eine Schicht weniger als gewünscht, wohl weil die Crêpes zu dick geraten seien und er würde jetzt doch gerne mal wissen, wer das so produziert hätte. Noch ehe ich antworten konnte meldete sich der Postenchef und übernahm die Verantwortung, mit klarer Stimme: „Ich!“
Otto Koch staunte, sah hinüber zu seinem erfahrenen Chef-Entremetier, entdeckte das Häuflein Elend neben seinem couragierten Mitarbeiter und nickte, die Zusammenhänge erkennend: „Das macht ihr zwei morgen früh noch mal in Ruhe zusammen.“ Damit war die Sache erledigt.
Ich habe dieses Lehrstück in Mitarbeiterführung und Krisenmanagement nie vergessen, dass so nur innerhalb der von Otto Koch eingeschworenen und auf Kurs gebrachten Küchenmannschaft möglich war, die engagiert und angstfrei arbeitete und einen respektvollen Umgang miteinander pflegte, in einem System in dem Fehler natürlich nach Möglichkeit vermieden wurden, als menschliche Schwäche aber vorkommen konnten und durften, denn aus Fehlern lernt man.
Sprichwörtlich aus allen Wolken fiel ich am vergangenen Samstagabend, als ich Otto Kochs 2009 eröffnetes Restaurant „181“ besuchte. Wir saßen nämlich in 181 Meter Höhe über München, als mir die freundliche Restaurantleiterin Grüße von Otto Koch überbrachte: er könne leider heute Abend nicht selbst anwesend sein, grüße aber herzlich, er erinnere sich noch gut an mich. Schreckensstarr dankte ich und wendete mich beschämt wieder dem Panorama zu: dass sich Otto Koch noch nach zwanzig Jahren an seinen ungeschickten Praktikanten erinnerte, war, so hoffte ich inständig, nur eine Höflichkeitsfloskel. Nicht auszudenken, nach zwei Jahrzehnten immer noch als “der Typ, der damals die Falsche Prinzregententorte vergeigt hat” im Kopf des Meisterkochs abgespeichert zu sein…
Otto Kochs neues Restaurant 181 findet sich in der Spitze des Olympiaturms, der Aufzug bringt die Gäste mit 7 Metern pro Sekunde hinauf auf 181 Meter und hinein ins ungewöhnliche Vergnügen: das in Bronze, Gold und Brauntönen gehaltene Restaurant in luftiger Höhe dreht sich. Draußen vor den Panoramascheiben ein Blick ins Lichtemeer der Stadt, das nahtlos übergeht und sich auflöst im sternenklaren Nachthimmel. Kurz glauben wir ein Ruckeln zu spüren, die metallenen Fensterrahmen singt bisweilen ein ächzendes Lied von den Anstrengungen der Rundreise. Wir beobachten die Wanderschaft prägnanter Hochhäuser durch die Nacht, es scheint uns eher gemütlich rund zu gehen. Dann wenden wir den Blick erstmals zu gegenüberliegenden Wand, wo in diesem Moment der vorhangbekränzte Eingang zur Küche in flotter Fahrt an uns vorbei zieht. Sensationell und sehr lustig.
Ein Servicemitarbeiter bestätigt uns: steht man in Mitten der Küche mit insgesamt zwei gegenüberliegenden Ausgängen, hilft es, sich schon vorher Gedanken zu machen, wo sich der Tisch mit den Gästen befindet, für die man jetzt die Teller aufnimmt. Als Amuse geule gibt es „Schweinöhrchen“ mit Nüssen, ein salziges Blätterteiggebäck und ich wundere mich schon gleich ein bisschen über diesen, für ein Michelin-Stern gekröntes Restaurant doch eher bescheidenen Gruß aus der Küche. Diese Verwunderung hielt moch eine ganze Weile an, wir genossen ein ganz und gar unprätentiöses Menü von hoher Produktqualität und tadelloser Zubereitung, Sterne waren allerdings nur draußen zu sehen.
Des Rätsels Lösung: ich hätte mir die Reservierungsbestätigung (oder die Internetseit) mal ordentlich durchlesen sollen. Mit der Reservierungsbestätigung hatte ich sogleich das Menüangebot des Abend bekommen, ein 5 Gang Menü mit Weinbegleitung zum unfassbaren Hammerpreis von 89,50 Euro, schon da hätte ich es eigentlich merken müssen: Samstag und Sonntag hat der Michelin-Stern Pause, das 181 „First“ verwandelt sich in 181 „Business“ mit einem Menü zum Gutfühlpreis, kein à la carte-Geschäft. Wir genossen:
– Ikarimi Beizlachs mit Gurkenspaghetti und Honig-Dillsauce
– In Vanille pochierte Garnele auf Risotto vom schwarzen Kaiserreis mit Tomatenschmelze
dazu je ein 2008er Sauvignon blanc Reserve, Weingut Tscheppe, Südsteiermark
– Gebratenes Zanderfilet mit Wirsinggemüse und grober Senfsauce
– Seezunge im Ganzen gebraten mit Blattspinat und Petersilienkartoffeln
dazu je ein Glas 2010er Chardonnay del salento, Sonderabfüllung „Otto Koch“
– Scheibe vom Wagyu Kobe Beef mit Kartoffel-Bohnengemüse und Sauce Choron
dazu ein 2008er Negroamaro del salento, Sonderabfüllung „Otto Koch“
– Weiße Schokoladen-Champagnermousse mit Cassis und Kokosnusseis
dazu ein Glas Rosé Sekt
Bei diesem Menü stand ganz klar weniger die aufregend, raffinierte Komposition, als mehr das Produkt im Mittelpunkt, sehr reduziert die Gerichte, die Seezunge musste sich beispielsweise sogar gänzlich ohne Sauce behaupten, dafür waren die Produkte, bis hin zu den hocharomatischen, knackfrischen Gurkenspaghetti der Vorspeise in absoluter Bestform. Der bekanntermaßen qualitätsbesessene Meisterkoch machte noch nie Unterschiede zwischen Spitzenküche und einfacher Küche, für Otto Koch zählt einzig die gute Küche. Und so genossen wir seine gute Küche, den Weitblickblick und ganz besonders die formidable ausgesuchten und großzügig ausgeschenkten Weine zum besten Preis. Für den „Sternenschmecker“ müssen wir ein andermal, an einem Abend unter der Woche wiederkommen.
Otto Koch
181 First & Business
Olympiaturm
Spiridon-Louis-Ring 7
80809 München
Die Unterteilung in First und Business, Mittag und Abend, Wochentag und Wochenende (es gibt auch noch ein günstiges Sunset-Menü) ist etwas kompliziert, es empfiehlt sich in jedem Fall das Studium der Internetseite, für Termine am Wochenende wird eine dreiwöchige Vorreservierung empfohlen.
Im Kochbuch zum Restaurant “181 Kulinarische Höhenflüge”, finden sich alltagstaugliche Business-Rezepte neben den neusten First-Kompositionen für die es in diesem Jahr den Michelin Stern gab, wie auch das Kapitel mit Klassikern des Meister. Natürlich mit der Herausforderung Falsche Prinzregententorte! Alle Rezepte wurden von Fotograf und Co-Autor Hans Gerlach in Szene gesetzt, Susanna Bingemer führte das lange Interview mit Otto Koch, das Einblicke in die Denke und Philosophie des Sternekochs gibt. Im Restaurant kann das Buch auch signiert erworben werden.
Otto Koch
181 Kulinarische Höhenflüge
29,80 Euro
Culinaris Verlag München 2010
im Vertrieb des Tre Torri Verlages
ISBN 978-3-941641-09-9