Probiert: Vom Glück des Einfachen – ein Besuch im "Chez Yvonne", Strasbourg

Ob ich wüsste warum die Menschen insbesondere den Straßburger Weihnachtsmarkt so gerne hätten, obwohl auch dort der übliche Tand verhökert würde, fragt Freund Bruce. Die Liebste und ich, wir zucken die Schultern. Es ist die Musik, erklärt Bruce, es wird keine Musik gespielt auf dem Straßburger Weihnachtmarkt. Ja. Jetzt hören wir es auch. Tolle Sache!

Wir stehen im dichten Gedränge zu Füßen des Straßburger Münsters, es riecht nach erhitztem Rotwein, ein Geruch von dem mir immer ein bisschen schlecht wird, grundsätzlich empfinde ich die Glühweinproduktion als einen Akt der Barbarei am Winzerhandwerk. Selbst der allerschlechtesten Wein sollte lieber gnädig in die Spüle geschüttet, als mit Zucker und Gewürzen versetzt, doch noch unters Volk geschummelt zu werden. Ausnahme: der Vin chaud blanc der hier ausgeschenkt wird. Ein einfacher Elsässischer Schoppenwein nur leicht mit Honig gesüßt und mit Muskatblüte und Zimt gewürzt, also der geht. Gut sogar!

Und der heiße Trunk verkürzt die Wartezeit auf einen Sitzplatz in der “Winstub” Chez Yvonne, jenem berühmten Traditionslokal ganz in der Nähe, in dem wir vor einer Stunde, zur besten Mittagszeit, einfach mal so um einen Tisch angefragt hatten. Sehr lustig! Der freundliche Ober nahm sich dennoch unserer Bitte an und versprach einen Tisch auf 13:45 Uhr. Et voilá: da sind wir wieder und werden in die gemütliche Weinstube geführt.

Im Inneren des Fachwerkhauses dominiert warmes Holz die Räumlichkeiten, dicke rot karierte Vorhänge in den Fenstern, schwere Renaissance-Teppiche, kupfernes Kochwerk und alte gerahmte Fotografien schmücken die verwitterten Wände, die Paisley-gemusterten Tischdecken in warmen Erdtönen sind überraschend passend. Bei Chez Yvonne wird die traditionsreiche, regionale, Elsässische Winzerküche zelebriert, eine einfache Küche, die auf beste Produkte vertraut und hier in Bestform serviert wird. Auf der Speisekarte wie auch auf der schwarzen Schiefertafel mit den Tagesangeboten finden sich Gänseleber-Spezialitäten, Schnecken, Presskopf, Sauerkraut-Klassiker, Kalbszunge, Spanferkel, Zwiebelkuchen und Munsterkäse, die Gastgeber erklären auf ihrer Internetseite dass sie von der Kartoffel über den Kohl, bis zum Kalb, jeden Erzeuger und alle Produzenten persönlich kennen.

Internationales Stimmengewirr in der voll besetzten Gaststube, es geht erfrischend trubelig zur Sache, der Service ist freundlich bestimmend und schwer beschäftigt, dicke Porzellanteller mit dampfend, duftenden Gerichten werden auf großen Tabletts durch die schmalen Gängen zwischen den eng gestellten Tischen balanciert. Bruce wählt zur Vorspeise einen Klassiker des Hause, Crème brûlée von der Gänseleber (10,60 €): unter krachend süßer, geflämmter Karamellkruste eine würzige Crème, dazu rustikales Bauernbrot. Ich wähle Presskopfsülze vom gepökelten Schweinebäckchen (10,50 €), butterzart die leuchtend roten Fleischwürfel im würzigen Gelee, dazu eine sämig gerührte, aromatische Vinaigretten mit deutlicher Senfnote. Die zwei Eiviertel belächle ich erst ein bisschen, entscheide dann aber, dass die zwingend dazu gehören, ganz im Gegensatz zur Sprossendekoration. Dass dieser entbehrliche Quatsch jetzt auch in Traditionshäusern mit geschichtsträchtiger Küche Verbreitung findet ist zum Heulen.

Gleich wieder fröhlich stimmt der Wein: eine Flasche 2008 Muscat von Vincent Stoeffler aus Barr (23,00 €), ein, würzig-mineralischer Wein mit lebendiger Säure, der es mit dem kräftigen Speisen aufnehmen kann, ohne unnötige Schwere zur Mittagszeit zu verursachen. Ein glänzender Begleiter zum butterzarten Milchkalbskotelett der Liebsten, serviert mit röschen Bratkartoffeln, einer kräftigen dunklen Jus und weichen Maronen, das Fleisch gewürzt mit knusprigem Fleur du sel (22,80 €). Bruce genießt das berühmte Choucroute garnie mit gepökelten Schweinebäckchen, Speck, Leberknödel und „Knack“-Wurst (15,90 €). Ich habe mich für das Pot au feu d´oie (24,50 €) entschieden: im glühen heißen Le Creuset-Geschirr brodelt leise eine duftende Brühe, das Fleisch der Gänsekeule fällt butterweich vom Knochen, ein großes Stück Sellerie, eine Möhre, zart geschmorter Wirsing und ein pochiertes Stück Gänseleber finden sich im Kessel, dazu eine dicke Scheibe Lyoner Wurst. Ein Topf Glück.

Zum Dessert ordern wir Gewürztraminer Granité (6,10 €), je eine unfassbare Riesenkugel, im metallenen Eisgeschirr meiner Jugend serviert. Ein köstlicher Schmelz, von erfreulich bescheidener Süße, den Gewürztraminer nicht verleugnend. Chapeau! So zufrieden, so beglückt, habe ich schon lange keinen Restauranttisch mehr verlassen. Rückbesinnung auf die eigene, traditionelle Küche mit besten Produkten aus regionaler Produktion, gradlinig und schnörkellos auf den Tisch gebracht; bei Chez Yvonne wird schon lange und in Perfektion das gekocht, was derzeit als kommender Küchentrend gehandelt wird.

Chez Yvonne
10 rue du Sanglier
67000 Strasbourg
Tél : 00333 88 32 84 15
Fax : 00333 88 23 00 18

Reservierung dringend empfohlen via:
Chez Yvonne / deutschsprachige Homepage

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