Lob des Einfachen – vom Wert der Kultur des Gastgebens, der Gastfreundschaft und einer neuen Geselligkeit

Wie uns einfach gutes Essen in komplexen Zeiten auf tröstliche Weise zusammenbringen kann

Ich habe Verwandtschaft in der Schweiz. Die Schwester meines Vaters heiratete in jungen Jahren einen Züricher Architekten, zog in die Schweiz, gründete eine Familie – und sprach fortan nur noch Schwyzerdütsch. Das ist eine bemerkenswerte Leistung, wenn man in Flensburg geboren und aufgewachsen ist.

Seit ich denken kann, fuhren meine Eltern mit meinen Geschwistern und mir – immer in der Vorweihnachtszeit – zum Fondue- oder Raclette-Essen nach Zürich, zu Tante, Onkel und Cousin. Ich liebte diese Ausfahrten. Erst gab es hauchdünnes Bündnerfleisch, dann ein cremiges Käsefondue – und man musste den Onkel nur vor dem ersten Glas Wein nach seinem Auto fragen, und schon ging es noch mal schnell im Coupé durchs weihnachtlich leuchtende Zürich bei Nacht.

Das hat mich als Kind fasziniert – und ich erinnere vor allem die warmherzige Geselligkeit der Runde bei Tisch. Selbst mein strenger Vater entspannte mal. Das war für mich das Gute leben. Und ich habe eine Lehre mitgenommen aus dieser Zeit, die mich bis heute sowohl in meiner Arbeit als Kochbuchautor begleitet, wie auch als privater Gastgeber: Es braucht nicht viel.

Lob des Einfachen

Es braucht nicht viel für einen geselligen Abend miteinander und am Tisch, mit der Familie, mit Freundinnen und Freunden, mit Lieblingsmenschen. Es braucht eigentlich nur eine Sache: beste Qualität! Bleiben wir in meiner Kindheit und beim Fondue: eine geschmacklich fein kuratierte Mischung“ bester Schweizer Käse (moitié-moitié“ (halbe-halbe) aus Vacherin Fribourgeois und Gruyère AOP), etwas Kirschwasser, gutes Brot – und Zeit zum Essen. Miteinander, mit Genuss und in Ruhe.

Foto: Daniela Haug, aus meinem Weltreise-Kochbuch Blaue Stunde – Rezepte, die den Abend feiern

 

Oder eben ein Raclette! Ein Laib Schweizer Raclettekäse Raclette du Vallais AOP, gekochte Pellkartoffeln, etwas Sauergemüse, klassisch mit heißem Kräutertee oder spritzig trockenem Weißwein serviert. Ein kulinarisches und kommunikatives Vergnügen über Stunden.

Sharing is caring

Der neuen Einfachheit begegne ich immer öfter auch in den besten und guten Restaurants. Weniger ist auch dort längst mehr, die Teller werden schlanker, lassen sich teilen. Sharing is caring! Die Gastronomie reagiert dabei auf die neuen Wünsche der Gäste, die sich vor allem einen unkomplizierten und gastfreundlichen Abend wünschen – lässig, freundlich, herzlich.

Kommt zusammen! Genuss ist Kultur

Genuss ist immer Ausdruck von Kultur – und diese neue, wertschätzende Gastlichkeit ohne Schischi und Show gründet auf dem menschlichen Bedürfnis nach guten und nahen, nach gemeinschaftlichen Momenten in einer zunehmend komplexen Welt.

Gerade heute haben wir alle das Gefühl, dass vieles aus den Fugen geraten ist. Da ist es doch tröstlich zu wissen, dass wir in der Lage sind, Gelegenheiten zu schaffen, bei denen Menschen zusammenkommen, sich austauschen, zuhören, miteinander essen.

In meinem Buch kochen. schreibe ich über diese neue, einfache Gastlichkeit, die jedem Menschen gelingen kann – auch ohne Kochausbildung, kulinarisches Talent und die berühmte Prise Fortune! Es ist ganz einfach:

Es braucht nicht viel!
Sondern viel mehr vom wirklich Guten:
Produkte, die für sich bestehen können.
Kulinarisches Handwerk, das begeistert.
Käse und Kartoffeln.
Wein und Geselligkeit.
Aufmerksamkeit und ein offenes Ohr.
Ein ehrliches Interesse am Gegenüber.

Reife Tomaten mit Salz, bestem Olivenöl, geröstetem Brot und Käse sind ein seliges Essen. Heiße Kartoffeln mit Meersalz und Buttter und gereiften Sardinen aus der Dose sind ein Fest! Oder ein Charcuterie-Board, wie im Bild oben. Das bekommt jede/r hin. Und mit den richtigen Menschen bei Tisch werden diese Runden zum Erlebnis, zur schönen Erinnerung.

Das Gute leben: Echtes genießen, zuhören und ins Gespräch kommen

Schließen möche ich mit einem launigen Einlass unseres Hamburger Kultursenators Carsten Brosda, der in einer Rede anlässlich des 50. Geburtstages des Magazins Der Feinschmecker (im Frühsommer dieses Jahres) daran erinnerte, dass beim Essen ja immer noch der schöne alte Grundsatz gilt: „Mit vollem Munde spricht man nicht.“ – Das schafft zugleich Raum fürs Zuhören.

Und vielleicht ist das eine Lehre für unsere Gesellschaft und in wilden Zeiten: besser essen, um mehr zuzuhören. Das Gute leben. Weniger senden, mehr wahrnehmen. So kommen wir im wahrsten Sinne des Wortes wieder miteinander ins Gespräch.

Lasst uns das Gute leben!