Es scheint, insbesondere in den männlichen Genen, der Wunsch fest verankert nach einem Niederdrücker, Absacker, einem Verteiler, im Anschluss an kulinarische Völlerei. Reflexartig wird das Servicepersonal am Ende eines Restaurantbesuches nochmals an den Tisch gewunken, jetzt ein Verdauungsschnaps, die hochgeistige Absolution für verspeiste Sünden. Genießer bestellen Grappa oder einen edlen Obstbrand und immer häufiger wird auch Kräuterlikör geordert, dann immer mit dem Hinweis des Bestellers, wie gesund und verdauungsfördernd Letzterer doch sei. Abgesehen von der Tatsache, dass ich bei Tisch nichts über Verdauung hören möchte, ist diese Wirkung zumindest umstritten.
Kräuterlikör ist hochprozentiger Alkohol (15-40 % Vol) mit einer erstaunlichen Menge Zucker (mindestens 100 g pro Liter) und diversen Kräutern, je nach Sorte alles was in der Natur wächst und einen nicht umbringt. Schon im Mittelalter versuchten wackere Pharmazeuten, Heilkräuter durch Alkohol haltbar und durch Süßung genießbar zu machen. Die gesunden Kräuterextrakte im Schnapsstamperl vermögen aber im Magen nicht viel auszurichten, gegen ein Drei-Gänge-Menü mit korrespondierenden Weinen. Vielmehr tut der Likör, was eine Zucker-Alkohol-Mischung immer tut: sie steigt zu Kopf. Dort blockiert sie, schändlicher Weise, genau die Nerven, die eigentlich gerade dafür sorgen sollten, dass die Nahrung verdaut wird.
Ich rate trotzdem, diesen schönen Selbstbetrug zu hegen und zu pflegen, denn Kräuterliköre schmecken. Gerade durch die unterschiedliche und vielfältige Kombination von Kräuter und Gewürzpflanzen, entfalten manche diese Gebräue ein einzigartiges Geschmacksvolumen. Würzige Lakritznoten, feiner Fenchel, Minze, Holunderblüten, Orange, Sternanis, pfeffrige Noten und bittere Töne balgen um Aufmerksamkeit, erfreuen Nase und Gaumen.
Es gibt viel zu entdecken, sogar direkt vor Ihrer Haustür. Im deutschsprachigen Raum tragen die Kräuterliköre mit regionalem Charakter oft wenig Verkaufsfördernde Bezeichnungen wie Bärwurz, Blutwurz, Burgfeuer oder Brockenhexen Flugbenzin. Zu Gunsten der Namensgebenden Braumeister nehme ich einfach mal an, diese freundlichen Menschen wollen mit diesen phantasievollen Titeln darauf hinweisen, dass ihr Produkt am besten in homöopathischen Dosen zu genießen sei.
Eine Einschätzung, die ich, nach wenigen Selbstversuchen, unbedingt teile. Ich erinnere mich mit Grausen an eine Nacht in den frühen 90iger Jahren, ich war noch ein ganz junger Hase und teilte mir mit zwei anderen jungen Hasen eine Flasche Kräuterlikör mit der harmlosen Aufschrift Menta. Der Erfolg war durchschlagend und stellte meine oben angeführten Bedenken, bezüglich der Verdauungsförderung, stark in Frage. Seitdem bedaure ich aufrichtig Teile der heutigen Jugend, die sich, so hört man, grundsätzlich und nächtelang, ausschließlich mit Deutschen Kräuterlikören abschießt. Ich habe großes Mitleid. Was ist das denn bitte für eine Nacht: zwei Stunden Disko, dann vier Stunden Klo und am nächsten Tag drückt schmerzhaft das Geweih oder man erwacht als Kümmerling im selbst gelegten Kleinstflaschenkreis.
Gereifte Geister finden auch außerhalb Deutschlands wunderbare Kräuterliköre, selbst die großindustriell gebrauten Erzeugnisse überzeugen meist. Aus Italien kommt einer meiner Lieblingsliköre, der „Fernet Branca“, der über ein Jahr in Eichenfässern reift (mittlerweile habe ich den Produzenten auch ihr Zweitprodukt „Fernet Menta“ verziehen). Die weit verbreiteten italienischen Kollegen „Averna“ und „Ramazzotti“ sind traditionsreiche, wohlschmeckende Marken. Allesamt teilen sie aber das Schicksal der gepanschten Darreichungsform. Gerne werden sie über Eiswürfelberge geschüttet oder mit labberigen Zitronenschnitzen „aufgefrischt“, dabei verlieren sie Geschmack und Charakter. Bestellen Sie ihren Kräuterlikör ohne alles, den mitleidig-erstaunten Blick des Kellners müssen Sie einfach mal ertragen. Auch vor den verzweifelten Versuchen der Produzenten selbst, ihre Kräuterliköre mühsam in Cocktailrezepte zu pressen, ist zu warnen. Was da mit sanfter Gewalt zusammengerührt wird, ist bestenfalls ein Verkaufsargument für furchtlose, junge Hasen, aber kein Drink.
Für Genießer mit Maß, für Puristen und Neugierige eröffnet ein guter Kräuterlikör Geschmackswelten. Den Gesundheitsaposteln und Verdauungsbesorgten überlassen wir den Kräutertee, gerne auch mit Eis und Zitrone. Wohlsein!