Das letzte Glas ist das wichtigste. Das letzte Glas ist Schlusspunkt eines langen Abends, das letzte Glas entscheidet über die Erinnerung an eine rauschende Nacht. Es ist angefüllt mit letzten Worten, verklingendem Gelächter und der beginnenden Wehmut einer Post-Party-Depression. „Jetzt noch nicht!“ ruft das letzte Glas und sorgt für Gesprächsstoff, gerne und insbesondere unter Paaren („Noch ein’s! – Sach’ ma’, spinnst Du, ich will jetzt nach Hause!“). Das letzte Glas ist erschlichene Lebenszeit, Verlängerung und Zugabe. Das letzte Glas hilft zu verdauen – schlechte Partys, fettes Essen; und es verzeiht vieles, sogar die üble Nachrede am Tag danach, wenn wieder mal alle behaupten, es sei schlecht gewesen, das letzte Glas.
Dabei wird es auch gerne mal besungen. Die wohl bekannteste Lobpreisung stammt vom Liedermacher Reinhard Mey („… was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Steh´n …“). Das war 1974 und das mit der Zigarette hat sich inzwischen durch die Nichtraucherschutzgesetze erledigt, geblieben ist dem Genießer das letzte Glas. Schon ausgetrunken haben es die Puhdys , das schlägt sich auch in der Reimkunst nieder, „Das letzte Glas ist leer, das letzte Wort so schwer …“ singen die Ostrocker. Die Wildecker Herzbuben finden kein Ende und betteln („… trink ein letztes Glas mit mir …“), während Schlagerbarde Bernhard Brink in einen Küchenunfall verwickelt ist („ Bevor das letzte Glas zerbricht, werd endlich wach, denn siehst Du nicht, dass wir schon vor den Scherben stehn. Wie soll es weiter geh´n?“).
Das letzte Glas kennt zahlreiche Lieder und hat viele Namen. „Fluchtachtel“ nennen es die Österreicher, das letzte Glaserl Wein, ein Achtel Liter, für die lieben Gäste, verbunden mit der indirekten Aufforderung, jetzt doch bitte endlich nach Hause zu gehen. Eigens dafür hat die österreichische Kristallmanufaktur Stölzle ein Fluchtachtel-Weinglas entworfen: Das Glas endet mit dem Stil, lässt sich nicht abstellen und wird dementsprechend zügig geleert. Eine alte Tradition findet sich im Fränkischen, dort wird gegen Ende des Abends der „Schnitt“ bestellt. Ein letztes Mal stellt der Wirt die Steinkrüge unter den Zapfhahn, lässt Bier einlaufen bis der Schaum den Rand der Krüge erreicht, dann wird der Schnitt serviert, ungefähr ein halbes Bier, zum halben Preis, für gute Gäste umsonst. Der wohl ausführlichste Gebrauch des letzten Glases kommt aus dem Ruhrgebiet, dort zelebriert man den „Absacker“. Der Singular täuscht. Ein Absacker besteht traditionell aus einer Vielzahl letzter Gläser. („Gestern hab ich drei Stunden lang en Absacker genommen, un’ kam morgens nich’ ausse’ Tonne …“)
Ob Absacker, Niederdrücker, Scheidebecher, Fluchtachtel oder Schnitt, echte Genießer wissen: Das letzte Glas ist immer auch Versprechung und Vorgeschmack auf kommende Gläser, es gibt noch viel zu entdecken und zu probieren.