Werte Gäste hatten sich für den Samstagabend angekündigt, Kulinarik-begeisterte Freunde, die extra aus Köln und Berlin anreisen würden, im Gepäck große und aussergewöhnliche Weine – was für eine wunderbare Gelegenheit mal wieder ordentlich aufzukochen! Ich überlegte lang und merkte schnell, dass ich in alten Mustern dachte, in den ersten Menü-Entwürfen verband ich reflexartig Europa mit Asien, kombinierte exotische Gewürze mit weit gereisten Spezialitäten – die ganze Welt meine Speisekammer.
Blödsinn, dachte ich bald und mein Blick fiel auf das neue noma Kochbuch auf meinem Schreibtisch, das mich in den vergangenen Tagen begeistert hatte. Ich dachte an Claus Meyer und seine Idee einer neuen nordischen Küche, an seinen prominentesten Küchenchef René Redzepi (noma) und an das Manifest des New Nordic Cuisine Movement. Ich glaube, dass die Hinwendung zu regionalen Produkten, die Berücksichtigung kulinarischer Traditionen und die Weiterentwicklung der heimischen Küche, in ökologisch durchdachter Weise, zukunfstweisend ist, ein kluges Gegenmodell zu den globalisierten Märkten, dass mich im Alltag schon länger begleitet. Wäre es nicht an der Zeit, das auch mal für Gäste auszuprobieren?
Das also sollte es geben: kein me too-noma, das wäre vermessen, wohl aber den Versuch ein regionales Menü mit saisonalen Frische-Produkten aus Hamburg und Umgebung zu kochen. Und das mitten im Winter. Eine Herausforderung. „Pupsig“ nannte die Liebste dann auch meinen ersten Menü-Vorschlag, vier von fünf Gängen enthielten Kohl. Ein paar Überlegungen später stand dann das Menü. Und los:
Entenlebercreme mit Senf-Birnen-Gelee, süßen Zwiebeln und Hefekuchen
Klassischer Auftakt mit cremiger Entenleber, die süßen Zwiebeln habe ich karamelisiert und mit Apfelsaft eingekocht. Für das Senf-Birnengelee habe ich Birnensaft mit frisch geschroteter Senfsaat gekocht, dann eher salzig-pfeffrig abgeschmeckt und nur wenig gesüßt, mit Gelatine gebunden. Angedacht war, aus dem erstarrten Gelee runde Stücke auszustechen, auf denen die Entenlebercreme-Nocken plaziert werden sollten. Ich war aber zu vorsichtig mit der Gelatine, was mich im Endeffekt vor einer gespreizten Effekthascherei bewahrt hat.
Den Hefekuchen wollte ich mit fein gehacktem Backobst anreichern, eine Reminiszenz an den Schleswig Holsteiner Mehlbüdel. Hab ich dann aber in der Aufregung vergessen und so wars einfach ein ziemlich gelungener Hefe-Brioche, nach einem Rezept aus dem Blog von missboulette, die sich hier und hier ausführlich mit der Brioche-Herstellung beschäftigt hat.
Mit Helbing Kümmel gebeizter Saibling mit warm geröstetem Blumenkohl-Pumpernickel, Kressecreme und gesalzenen Gurken auf schwarzem Rettich
Einer meiner zwei Lieblingsgänge des Abends, das Gericht ist in seinen Einzelteilen wirklich schlicht und ergreifend, auf dem Teller entsteht dann in Kombination etwas wirklich Neues: die kurz vor dem Anrichten in Butter geröstete Blumenkohl-Pumpernickel-Mischung war im Wechselspiel mit dem scharfen Schwarzen Rettich, den salzigen Gurkenwürfeln, der kühlen Kressecreme und dem buttrig zart gebeizten Saibling wirklich gelungen. Nur knapp 12 Stunden habe ich den Fisch mit Helbing Kümmel, Salz und Zucker sehr mild gebeizt. Den Einkaufstipp für den Bio-Zucht-Saibling vom nahen Isemarkt hatte ich aus dem Blog von Kleiner Kuriositätenladen (danke!), der Fisch von der Forellenzucht Benecke war so frisch, dass ich nach dem Filetiern kaum die Gräten aus dem festen Fischfleisch ziehen konnte. Auch alle anderen Zutaten habe ich, bis auf das Fleisch, auf dem Isemarkt gekauft. Ein Privileg, sich die Zeit nehmen zu können, über den Markt zu schlendern und beste Produkten, direkt vom Erzeuger zu kaufen, im Alltag schaffe ich das eher selten – das muss ich ändern.
Gebratener Grünkohl mit gedämpften Nordsee-Krabbenbällchen, Honig-Pfeffer-Jus und Weißweinsauce
Der zweite meiner beiden Lieblingsteller an diesem Abend. Das ist im Grunde klassische Restaurantküche, die zarten Bällchen aus Fischfarce mit Nordseekrabben sind unmodern geworden, macht eigentlich kaum mehr jemand, das hier war eine Wiederentdeckung. Ich habe die zart-luftigen Bällchen in einem Fischfond pochiert, den ich aus den Gräten und Abschnitten des Saiblings gezogen habe. Der Fischfond diente mir auch als Basis für die sahnige Weinsauce. Die Farce bestand aus Zanderfilet, Nordseekrabben, Weißwein und Sahne, gewürzt mit Koriander und einem Hauch Fenchelsaat, Noilly Prat war ja, der Spielregeln halber, nicht zulässig.
Hauptattraktion war aber der Grünkohl im Zusammenspiel mit den zarten Fischklößchen, ich habe den Kohl nur kurz blanchiert und dann vor dem Anrichten in einer Butter mit Zwiebeln und Katenschinkenwürfeln kurz gebraten – man muss Grünkohl nicht zwingend matschig kochen. In meinem Schneller Teller-Kochbuch gibt es ein ähnliches Rezept für schnellen Grünkohl, der dann noch schön Farbe und Biss hat. Ein paar Löffel Demi Glace für die süß-pfeffrige Honig-Jus habe ich beim Hauptgang abgezwackt, diese süße Komponente im Zusammenspiel mit dem Kohl und dem Fischbällchen erinnerte an asiatisches Dim Sum und war doch ganz eigen.
Sorbet vom 2005er most of apples barrique cider „Apfel & Quitte“
Ich schätze die Ciders von most of apples aus dem Wendland schon sehr lange, gerade die Barrique-Ciders sind filigran und vielschichtig – eigentlich fast zu schade für ein Sorbet, aber nur aus besten Zutate kann bestes Sorbet werden und ich habe meinen Gästen mit dem Gefrorenen noch einen guten Schluck vom puren Stoff im Extraglas serviert. Basis des Sorbets war sortenreiner Apfelsaft aus dem Alten Land, den ich mit Zucker zu einem apfeligen Läuterzucker gekocht habe, dazu Weißwein für die Säure-Balance und als finale Würze den Cider.
Auch wenn es Geschmackssräuber sind, ich habe zwei Blätter Gelatine in der Grundmasse mit aufgelöst und wurde tatsächlich mit einem cremigen Sorbet belohnt, dass ich im Tiefkühler frieren konnte, ohne dass die Masse bretthart wurde- ein Segen, wenn man keine Eismaschine hat und „vorproduzieren“ muss. Mehr über most of apples und die edlen Cider aus dem Wendland gibt es in diesem Artikel zu lesen, den ich vor einiger Zeit für das Sehnsucht Deutschland Magazin geschrieben habe.
Geschmorte Schweinebacke mit hausgemachter Kümmel-Schweinsbratwurst, Sellerie-Bohnenpüree und ofengebackener Bete
Mein bislang favorisierter Metzger, hatte sich damals ein bißchen angestellt, als ich zum letzten Mal das Fleisch und den Darm zum selber Wursten bei ihm bestellte: ob mir denn seine Bratwürste nicht reichen würden? Und er müsse mir jetzt leider ein ganzes Päckchen Darm, 100 Meter, verkaufen usw. – weil ich keine Lust mehr auf diesen Sermon hatte, bestellte ich einfach bei dem anderen guten Metzger in meiner Nähe. Die Beratung war umfassend, Herr Harms telefonierte mehrmals mit mir wegen der Schweinebacken, wickelte mir sorgfältigs genau die Menge Darm auf, die ich brauchen würde, gab gute Tipps, erklärte im Detail und hatte dann auch noch (ausschließlich) Schwäbisch Hällisches Landschwein da. Passte jetzt nicht ganz ins nordische Konzept, dieses Zugeständnis machte ich aber mit Freuden. Die Bäckchen waren wesentlich schwieriger, Herr Harms erklärte mir, dass in Hamburg nicht mehr geschlachtet würde, der Schlachthof sei nur noch Umschlagplatz für das Fleisch aus dem großen Schlachtbetrieben im Umland, Köpfe würden da immer sofort in die Wurstproduktion gehen. Für das nächste mal erbat er sich ein-zwei Wochen Bestell-Vorlauf und ich behalf mir mit Spanferkelbäckchen. Insgesamt werde ich jetzt nur noch bei Harms kaufen, toller Service, tolles Fleisch.
Aus Kalbsknochen hatte ich bereits am Donnerstag eine Jus gekocht, die ich am Freitag zusammen mit den Bäckchen weiter zur Demi Glace einkochte, Kochblogger Johannes Guggenberger hat die Herstellung von Demi Glace hier in seinem Blog sehr schön dargestellt. Die butterzarten Bäckchen habe ich in einem Einmachglas, in der Demi Glace, im Kühlschrank kalt gestellt. Gewurstet habe ich (leider!) auch schon am Freitag, um Tags drauf, am Menütag, nicht in den Stress zu kommen. Die frischen Würste kochte ich dementsprechend Freitag in einem Wurstsud mit Zwiebeln und Lorbeer ab. Samstag beim Braten verloren die Würste dann in der Pfanne sehr an Geschmack und auch Saftigkeit. Gute Erfahrung habe ich damit gemacht, die Würste am gleichen Tag roh in der Pfanne zu braten, das würde ich beim nächsten Mal wieder so machen. Eine Sammlung mit Links zu all meinen Rezepten für Hausmacherbratwürste findet sich hier im Blog.
Viel Freude bereiteten die bunten Beten, drei Sorten habe ich in Bio-Qualität auf dem Markt gefunden und im Ofen auf einem Salzbett bei 180 Grad fast 1,5 Stunden lang gegart. Die ledrig gewordene Schale der Beten waren nach dem Auskühlen nur schwer abzuziehen, die Arbeit lohnt aber: die Beten aus dem Ofen schmecken hocharomatisch, die Essenz von Roter Bete quasi, kein Geschmack wurde weggekocht. Ich habe die Beten vor dem Anrichten in Butter mit Salz und Pfeffer geschwenkt, sonst nichts, ein Traum!
Aus eingeweichten Riesenbohnen und Sellerieknolle habe ich ein einfaches Püree gekocht, hier fehlte mir, was mir schon oben bei den Fischgängen sehr gefehlt hatte: Olivenöl, Zitrone und Knoblauch sind nicht gerade im Norden zuhause, aber tragende Säulen meiner Küche, auf diese drei Produkte könnte ich nur schwer verzichten.
Gemogelt habe ich beim Wein, der ist aus norddeutscher Produktion einfach nur sehr schwer aufzutreiben, alle Gerichte habe ich mit einfachen Küchenweinen aus Deutschland und Italien zubereitet. Das erlebte ich erstmal als Einschränkung, seit vielen Jahren schon ersetze ich in meiner Küche sehr oft Weißwein durch trockenen Sherry und Rotwein durch roten Portwein. Das gibt eine geschmackliche Tiefe, die beim Nordic Menü nicht erreicht wurde – dafür waren die Saucen und Fonds leichter und ließen mehr Raum für filigranere Aromen und Würzungen.
Buttermilchcreme mit Holundersauce und Schmalznüssen
Es gibt einen Gott der Kulinarik und der möchte nicht, dass ich backe. Ich mache einen Ofen an und es geht schief (Das da ganz oben, mit dem Brioche ist ein Wunder!). Das erste was ich für dieses Menü gemacht hatte, waren am Donnerstag schon die Schmalznüsse, ein norddeutsches Mürbegebäck, dass sein charakteristisches Aroma durch Schweineschmalz und Hirschhornsalz erhält. Als ich das Blech aus dem Ofen nahm, hatte ich satt mürber Schmalznüsse eine einzige, fettschwitzende Masse auf dem Blech. Eine eiligst angesetzte Telefonkonferenz mit der Schleswig-Holstein-Oma brachte Klarheit und die Liebste gab für diesen Gang die rettende Bäckerin. Die Schmalznüsse enthalten auch das Mark einer halben Vanilleschote, mein Einwand, dies sei ein Verstoß gegen die nordischen Selbstauflagen, wischte die Liebste pragmatisch beiseiter: „Egal, das schmeckt sonst nicht.“ Nicht nur die Schmalznüsse gelangen, mit umsichtiger Hand schuf die Liebste auch den Rahmen, in dem Küche und Weine am Abend glänzen konnten.
Die Schmalznüsse sind sehr wichtig für diesen Gang, kontrastieren mit ihrer leicht salzigen Mürbe sehr schön mit der süßen Buttermilchcreme und der fein säuerlichen Holundersauce, die ich aus Holunder-Gelee von Freund Oliver und schwarzem Johannisbeersaft gekocht habe. Das Milchschaumtopping war der Idee geschuldet noch eine weitere Konsistenz und eine Warm-Kalt-Divergenz zu schaffen. Ein entbehrlicher Blödsinn.
Die Weine
kamen alle aus deutschen Landen, der gemeinsame Beitrag aller Gäste zum Abend war von Torsten Goffin (Allem Anfang…-Blog / Glasklare Gefühle-Blog) umsichtig zusammengestellt worden, er kannte vorab die Menüfolge und bot zu jedem Gang gleich zwei Weine, die jeweils beide trefflichst mit dem Gericht in Beziehung traten, eine lehrreiche Weinreise. Vielen Dank Euch liebe Freunde, vielen Dank Dir Torsten, dass Du diese großartige Aufstellung zu unserem Vergnügen möglich gemacht hast:
(Großbild und Staunen nach dem Doppelklick!)
In seinem Glasklare Gefühle-Blog erklärt Torsten übrigens en detaile die Weinauswahl, hier die Weine zu den drei ersten Gängen, Fortsetzung folgt!
Fazit:
Die Herausforderung „New Nordic Cuisine“ hat mir auch mitten im Winter Spaß gemacht und wird sicher zum Frühjahr-Sommer hin eine immer einfachere Aufgabe. Es macht Spaß, gerade für Gäste noch konsequenter regional zu denken und ist auch für den Koch/die Köchin eine kreative Herausforderung. Ganz nebenbei erfüllt man auch noch die Prämisse „think global, act local“, unterstütz die heimische Landwirtschaft und reduziert die CO2-Bilanz- und das ist ja auch nicht der schlechteste Nebeneffekt. Dogmatisch sollte man die Sache (wie immer!) nicht sehen. Olivenöl, Knoblauch und Zitrone habe ich schmerzlich vermisst und auch bei den „Kochweinen“ würde ich fürs nächste Menü dieser Art zumindest den Süden Deutschlands, Portugal und Andalusien ein-norden.