Es ist das wohl wichtigste kulinarische Buch der vergangenen Jahre und es erscheint zu einem Zeitpunkt an dem Vegetarismus längs gesellschaftsfähig geworden ist und langsam zur Gesellschaftspflicht zu werden scheint. Am Anfang der Diskussionen um Fleischverzehr, Vegetarismus und veganes Leben stand das Leid der Tiere im MIttelpunkt. Heute muss, wer über Fleischverzehr spricht, neben der Massentierhaltung auch über Pandemien, Vogel- und Schweinegrippe, Fleischskandale, Gentechnik, Medikamentencocktails, Trinkwasserraubbau, Fäkalienfluten und den Klimawandel sprechen.
Die Fronten sind traditionell verhärtet, halsstarrig argumentieren Fleischindustrie-Lobbyisten, Bauern, Tierrechtler und Verbraucher aneinander vorbei, die Diskussionen sind meist geprägt von einer hochemotionalen Radikalität, die stets in die Ergebnislosigkeit mündet, zahnlos am Rand: die Politiker. Dass sich jetzt ein Literat, ein preisgekrönter Romancier, dem Thema angenommen hat, der sich schon im Vorfeld der Sachlichkeit verschrieben hatte, ist ein großes Glück. In zahlreichen Interviews beschwichtigte der Bestsellerautor Jonathan Safran Foer schon vor Buchveröffentlichung: keineswegs wolle er sein Buch als Dogma verstanden haben, auch sei ihm jeder missionarische Eifer fremd. Mehr noch: er habe sich bemüht für das Thema eine Sprache zu finden, die niemanden verletzten, beleidigen oder wütend machen sollte.
Jetzt ist Eating Animals in deutscher Übersetzung im Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienen und es zeigt sich, dass es die Zustände selbst sind, die verletzen und wütend machen. Die Radikalität und die Überzeugungsmacht von Tiere essen speist sich tatsächlich nur zum Teil aus der reichen Sprache des Autors, der jede Polemik vermeidet – es sind die Fakten selbst die für sich sprechen, unangenehm radikal und überzeugungsstark. Foer beherrscht selbstverständlich die Kunst mit literarischen Mitteln sehr effektiv Stimmungen und drastische Bilder zu erzeugen, in der deutschen Übersetzung von Isabel Bogdan, Ingo Herzke und Brigitte Jakobeit wird jedenfalls die gesamte Klaviatur des Grauens bespielt, sprachlich wortreich, mal knapp lakonisch, mal poetisch, selten ironisch. Immer aber sind es die Fakten, die einem den Atem rauben und den Fleischappetit nachhaltig verderben. Am Ende des Buches ist kein einziger, plausibler Grund übrig, warum man überhaupt noch Fleisch essen sollte.
Foer erklärt es auf über 300 Buchseiten detailliert: Fleisch essen bringt unendliches Leid über die Tiere, es macht uns und unsere Kinder krank. Tiere zu essen bedeutet Massenmord, leergefischte Meere, Hungersnöte, Wassermangel und Pandemien. Fleischverzehr schädigt das Klima schon heute nachhaltiger als der gesamt Weltverkehr und ist einer der Hauptfaktoren für Erderwärmung und Klimawandel. Alleine die Fäkalien der Tiere sind ein gigantische Umwelt- und Gesundheitsproblem: 40.000 Kilo Scheiße produzieren alleine die Nutztiere in den Vereinigten Staaten – pro Sekunde!
Es ist der reale Horror von dem das Buch erzählt und das ist seitenweise kaum auszuhalten. Das Kapitel „Unser neuer Sadismus“ beispielsweise, konnte ich nicht in einem Rutsch durchlesen, da brauchte ich eine Pause. Ich bin nicht zart besaitet und ich gehöre nicht zu den Menschen die emotionale Bindungen zu Tieren eingehen. Ich bin gelernter Koch, ich habe Tiere getötet und Tiere zerlegt, ich habe noch Anfang dieses Jahres an an einer Schweineschlachtung teilgenommen, ich dachte mich haut nichts um. Ich dachte auch, ich wäre ein informierter Kulinariker und bewusster Genießer. Das war doch sehr naiv, ich kannte leider nur Teile des Puzzles. Ausmaß, Härte und Dimension des Ganzen haben mich ehrlich überrascht.
Die Fakten und Zahlen waren schon vor Foers Buch in der Welt und einsehbar, wenn man denn sehen wollte und viel Zeit hatte. Es ist Foers Verdienst, dass er das gesamte Schlamassel jetzt zusammengetragen, lesenswert-nachvollziehbar bearbeitet und aufgeschrieben hat. Und das aus der Perspektive eines ehemaligen Fleischfressers. Foer beschreibt die Zustände in ihrer ganzen Komplexität, beleuchtet auch die Wechselwirkungen und erklärt die Auswirkungen. Sein Buch belegt, dass es langfristig keine Alternative zum Fleischverzicht gibt. Wer abwinkt und denkt die Sachlage beträfe allein Amerika, den erwarten am Ende des Buches zwanzig Seiten über die Faktenlage in Deutschland, die leider insgesamt vergleichbar ist. 98 % aller in Deutschland zum Verzehr gehaltenen Tiere stammen aus Massentierhaltungsbetrieben und Aquakulturen. China und Indien entdecken hingegen gerade erst ihren Fleischhunger. Die in „Tiere essen“ aufgezeigten Probleme sind globale Probleme.
„Wenn jeder einmal die Woche weniger Fleisch isst als bisher, dann ist das eine radikale Veränderung“
(Jonathan Safran Foer)
Foer hat ein kluges und persönliches Buch geschrieben, dass auch deshalb überzeugt, weil es alle Seiten zu Wort kommen lässt, es verbindet den Faktenreichtum mit Geschichten die berühren. Foer erklärt das Große auch im Kleinen, das Ganze im Detail. Er macht es uns nicht leicht. Am Ende des Buches dürfte es jedem denkenden Menschen schwer fallen, seine Ernährungsgewohnheiten nicht zumindest zu hinterfragen und in irgendeiner Form zu ändern. Ein mächtiges Buch. Foers Angebot zur Güte: wenn jeder wenigstens an einem Tag der Woche kein Fleisch essen würde, wäre schon viel erreicht. „Wenn alle Amerikaner nur jeweils eine Fleischmahlzeit pro Woche auslassen würden, würde das der Umwelt die Abgase von 5 Millionen Lastwagen ersparen, und ungefähr 200 Millionen Tiere weniger würden misshandelt und geschlachtet.“, erklärt Foer im ZEIT-Interview.
Das klingt doch machbar, auch für uns. Wie weit das Engagement des Einzelnen nach Lektüre des Buches tatsächlich geht, ist eine persönliche Entscheidung. Für mich habe ich herausgefunden, dass es mit dem Fleischessen ein wenig wie mit dem Rauchen ist: eine schlechte Angewohnheit, mit der man sich und anderen schadet und die man sehr einfach beenden kann. Ich esse aber gerne Fleisch. Es schmeckt mir. Allerdings habe ich auch 25 Jahre lang gerne geraucht, obwohl ich wusste das Rauchen scheiße ist, krank macht und Geld kostet. Schmeckt mir aber, habe ich gesagt und weiter geraucht. Irrsinnig, oder?
Ich versuche schon lang meinen Fleischkonsum generell einzuschränken, achte dabei auf die Herkunft und die Qualität, kaufe Fleisch beim Erzeuger oder beim Metzger meines Vertrauens der den Erzeuger kennt. Da werde ich aber in Zukunft auch nochmal detaillierte nachhaken. Ich werde diese Bemühungen verstärken und, in einem ersten Schritt, Fisch und Fleisch in meiner Küche auf ein Minimum reduzieren Ein Leben gänzlich ohne Fleisch kann ich mir aber noch nicht vorstellen. So, wie mir noch vor drei Jahren ein rauchfreies Leben unmöglich schien.
Jonathan Safran Foer
Tiere essen
Aus dem amerikanischen Englisch von
Isabel Bogdan, Ingo Herzke und Birgit Jakobeit
352 Seiten
Kiepenheuer & Witsch Verlag, 2010
Preis: 19,95 Euro
Ich danke dem Kiepenheure & Witsch Verlag für die Überlassung eines Vorab-Rezensionsexemplares
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Auf der Verlagswebseite gibt es auch eine Leseprobe und weitere Informationen zu Buch und Autor.
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