Immer wieder liest man in Restaurantkritiken von pampigen Kellnern, schnippischen Bedienungen und unhöflichem Servicepersonal. Der Gast wird wesentlich seltener und nur hinter vorgehaltener Hand kritisiert. Grund zur Klage, das weiß ich aus leidlicher Erfahrung, gäbe es genug, nicht wenige Menschen legen im Restaurant einen bemerkenswert herrischen Ton an den Tag, verwechseln Bedienen mit Dienen und dann geht der Ärger los. Manche Gäste haben auch ganz eigene Vorstellungen davon, was sie für ihr Geld erwarten dürfen. Erwartungen und Weltsichten prallen da oft mit Karacho aufeinander.
Unvergessen ist mir jene Begebenheit aus meinen Kochtagen in Berlin. Damals arbeitete ich im Restaurant Hugenotten, dem Gourmet-Restaurant des Interconti Hotels dass heute „Hugos“ heißt und dessen Küche, hoch über den Dächern Berlins, vom brillanten Thomas Kammeier geführt wird. Wir kochten damals noch im Erdgeschoss, die Mauer war gefallen, der Wettlauf um das beste Berliner Hotelrestaurant begann zu dieser Zeit, der Laden war frisch renoviert und es wurde eine hochmotivierte, junge Kochbrigarde zusammengekauft. Wir waren Feuer und Flamme, ehrgeizig und Willens den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
Mit Erfolg, binnen eines arbeitsreichen Jahres hatten wir einen guten Namen und 16 Punkte im Gault Millau. Mit dem Erfolg kamen auch jene Menschen die sich mit viel Geld ein Halbwissen des guten Geschmacks angefressen und angelesen hatten, unangenehme Zeitgenossen mit der emotionalen Intelligenz einer Zitrone, Dinosaurier der fetten Achtziger.
Unser damaliger Restaurantleiter, ein schöngeistiger Franzose, mit Fachkenntnis und Feingefühl, erlebte und ertrug so manches, stets bewahrte er die Contenance und begleitete auch die unmöglichsten Gäste durch den Abend. Ein kräftiges „Merde!“ entfuhr ihm immer erst, wenn das letzte Licht gelöscht und die Tische abgetragen waren. Ein einziges Mal nahm er sich die Freiheit, die Pflicht der Gastfreundschaft und ihre Grenzen für sich neu zu definieren.
Ein Ehepaar speiste an diesem Abend in unserem Restaurant, er, ein erfolgreicher Medienberater, sie, die Frau eines erfolgreichen Medienberaters. Ihr Sohn, fünf Jahre alt, daddelte schon seit dem Amuse Geule, autistisch auf einem Gamboy herum, pling, pling, pling,bidddelidelidlid….Nach dem zweiten Gang schritt unser Restaurantleiter zur Tat, es musste ein Ende haben mit der Gamboy-Hintergrundmusik und er wendete sich an den Jungen:
„Sag mal, möchtest Du vielleicht mal unsere Küche besuchen?“
Der Junge sah nicht von seinem Gameboy auf, ignorierte den Restaurantleiter, die Antwort kam vom Vater:
„Nein, unser Sohn möchte die Küche nicht sehen, da arbeiten Neger.“
„Ähh.…non, Monsieur.“
„Lügen Sie mich nicht an, in allen Küchen arbeiten Neger!“
Kurz stockte unser Restaurantleiter, wendete sich dann ruhig den Gästen zu und sagte:
„Sie sind eingeladen, ihr Essen bezahle ich privat, bitte sie aber, jetzt zu gehen. Ich lasse ihnen ihre Mäntel bringen. Einen schönen Abend wünsche ich.“
Ein damals viel diskutierter Affront, nicht Wenige waren der Meinung, dass der Restaurantleiter über die Privatmeinung des ungehobelten Gastes hätte hinwegsehen müssen.
Oftmals aber geht schlechter Benimm auch viel subtiler. Und oft tun sich Restaurant, Gastgeber oder Service schwer mit der Reaktion auf offensichtlich provokantes oder auch nur unangebrachtes Verhalten. Je höher das Niveau, desto größer der Wille vieles Hinzunehmen.
Am Wochenende diskutierten wir, zu meiner Überraschung, folgenden Vorfall unter Freunden: Freund A. erzählte von einem Ehepaar dass einen Tisch im 1 Michelin-Stern Restaurant (18 Punkte im Gault Millau) eines 5 Sterne Hotels reserviert hatte. Der Abend begann und die ausgelobte Vorspeisenauswahl des Sternekochs entsprach nicht den Vorstellungen der Gäste. Die Herrschaften bestellten Sushi. Freund A. berichtete weiter, dass die Restaurantleitung daraufhin Sushi hatte rankarren lassen und zwar vom Sushi-Lieferservice.
An dieser Stelle führte die Erzählung direkt in eine lebhafte Diskussion. Mich empörte die Arroganz der Gäste, hatte sich der berühmte Sternekoch doch sicher was gedacht bei seinen Vorspeisen, eine Linie, ein kulinarisches Konzept für das er, seine Küchenbrigade und das Restaurant, stehen und das seine Handschrift trägt. Ich empfand die Sushi-Bestellung als Unmöglichkeit im doppelten Sinne.
Freund A. empörte etwas ganz anderes. Er prangerte an, dass das Sushi in einem Restaurant dieser Klasse doch nicht vom Lieferservice kommen dürfe. Während ich fand, das sei doch eine hübsche Bestrafung für so ignorantes Verhalten, war A. der Meinung, die Sushiplatte hätte zumindest beim besten Sushi-Meister der Stadt bestellt werden müssen. (Dass die Spontan-Herstellung von Sushi in der Küche jeden zeitlichen Rahmen gesprengt hätte, zumindest darüber herrschte Einigkeit).
Freund B. fand wir hätten beide ein bisschen Recht. Ich hätte Recht, wäre besagtes Restaurant nicht an ein 5 Sterne Hotel angeschlossen, in einem Hotel dieser Kategorie dürfe der Gast aber erwarten so ziemlich alle Wünsche erfüllt zu bekommen, das schlösse dann in diesem Fall auch das Restaurant ein, darum habe auch Freund A. recht, da müsse dann auch die Sushi-Platte ohne Diskussion per Taxi geordert und nur vom Feinsten sein.
Tja. Und jetzt gebe ich das mal so an Sie weiter, wie sehen Sie das?