Brüssel: Fritten, Bier und Schokolade (2): Lambic, Gueuze & Kriek

„Das folgende Bier wird ihnen mit Sicherheit nicht schmecken, ich serviere es aber trotzdem, es ist ein wichtiges Bier, es ist belgische Bierkultur, da müssen Sie jetzt durch.“ Überrascht Blicke ich auf, nein das ist kein Scherz, Jean Hummler schiebt mit ernster Miene die nächsten Biergläser auf den Tisch, es ist ihm ernst mit dem Bier, Jean Hummler liebt Bier. Vorsichtig führe ich das Glas an die Nase, die Augenbrauen meiner Mitverkoster gehen bereits in die Höhe, dann nehme ich beherzt einen tiefen Schluck.

Am Vormittag hatte ich während eines kulinarischen Stadtrundganges zum ersten mal wirklich belgisches Bier getrunken, über ein Leffe war ich bislang nicht herausgekommen. In der wunderschönen Traditionswirtschaft A La Becasse nahe der Börse hatten wir belgische Biere verkostet, zunächst ein mit wilden Hefen aus der Luft spontan vergorenes Lambic Bier, das nur in den Wintermonaten hergestellt wird, Brauzeit ist von November bis März. Eine „trockene“ Angelegenheit, Kohlensäure-arm, herrlich säuerlich und sehr erfrischend.

A La Becasse

Es folgte ein Gueuze Bier, Basis hierfür ist ein Lambic-Verschnitt, der anschließend wie Champagner in der Flasche reift und feinperlig frisch ins Glas kommt. Beim Kauf ist auf die EU geschützte Bezeichnung „Oude Gueuze“ zu achten, Zeichen für traditionelle Handarbeit – Gueuze aus industrieller Herstellung ist gesüßt und es wird Kohlensäure im Tank zugesetzt. Auch beim Oude Gueuze dominieren jene zwei Grundgeschmäcker, die immer wieder in belgischem Bier zu finden sind: starke Säure- und Bitternoten. Für Freunde schwerer, süßer und malziger Biere aus dem Süden Deutschlands, oder Fans der herben norddeutschen Biere stellt belgisches Bier eine Herausforderung dar – und bestenfalls eine ganz neue Welt.

Dazu darf auch das Kriek Bier zählen, ein Sauerkirsch-Bier, dass wir in unterschiedlichen Qualitäten genießen durften – einmal als herb-säuerliches Lambic-basiertes Bier mit frischen Kirschnoten, ein anderes Mal als etwas süßere Angelegenheit, die schon an Berliner Weiße mit Schuss erinnerte. 200 g frische Kirschen pro Liter Lambic wandern dafür gemeinsam für 3-18 Monate ins Fass. Die Auswahl an Frucht-Lambic ist riesig und war, über die Kirsche hinaus, nicht so mein Fall.

Moeder Lambic

Das Lambic Sauerbier das uns Jean Hummler jetzt serviert ist so sauer, es zieht einem dem Mund zusammen, das Bier erinnert an durchgegorenen, trockenen Apfelmost, an staubtrockene hessische Schoppepetzer. Jetzt lacht Jean Hummler doch, wird aber gleich wieder ernst und zaubert den Deckel einer Coca Cola-Flasche aus der Hosentasche: „ Wer von Ihnen hat in den letzten vier Wochen das hier getrunken?“ So ziemlich alle Personen am Verkostungstisch heben schuldbewusst den Arm. „Coca Cola hat die hundertfache Säuredichte dieses Bieres.“

Was der Zucker bei der Cola so gnädig wie scheinheilig überdeckt, ist im Bierglas vor uns eine gewöhnungsbedürftige Angelegenheit und genau darum geht’s: „Sie können sich daran gewöhnen! Sie hatten eine ersten Schluck, sie sind überrascht. Nehmen Sie nochmal eine Schluck. Und in zwei Minuten noch einen weiteren Schluck.“ Und wirklich, es funktioniert: das Bier wird mit der Zeit breiter und komplexer, aus eindimensionaler Säure wird ein köstlich frisches Bier. „im Sommer verkaufen wir das Literweise.“, erklärt Jean Hummler und lässt den Arm über die große Außenterrasse des Moeder Lambic schweifen.

Jean Hummler ist einer der Chefs des Moeder Lambic und ein wahrer Bier-Enthusiast, das prägt auch das Angebot dieser großartigen Bierbar: es gibt hier 46 Biere aus 46 Zapfhähnen und es sind erlesene Biere: „Wir haben in Belgien ca. 140 Brauereien die etwa 500 Biersorten herstellen. Davon sind 10 große Klasse, 10 gut, 20 Durchschnitt – das wars.“ erklärt Jean, der im Moeder Lambic zusätzlich noch naturbelassene Fruchtsäfte, Naturweine und belgischen Käse anbietet.

Unter den 46 Bieren des Moeder Lambic finden sich auch drei deutsche Biere: das Bamberger Schlenkerla Rauchbier, Schneider Weisse aus München und ein Düsseldorfer Altbier. Mehrmals im Jahr ist Jean Hummler in Deutschland auf Bierexkursion, insbesondere im Fränkischen unterwegs und er kennt das Brauerei-Sterben, nicht nur aus Belgien: „ich mache mir keine Sorgen um deutsche Autos, ich mache mir Sorgen um deutsches Bier.“ Was in Belgien und Deutschland an Bier-Know how stirbt und verschwindet, ist unwiderbringbar, ist eine Katastrophe. Da hilft auch der Trend zum Microbrewing nicht: „Weg ist weg.“

Jean Hummler zeigt uns seinen Keller, Fass an Fass, die Biere sind perfekt temperiert, im Weinkühlschrank lagern große Flaschen mit Oude Gueuze, das wie Wein viele Jahre altern kann und dabei eine enorme Geschmacks- aber auch Wertsteigerung erfährt.

„Bier ist zu billig.“, sagt Jean Hummler, darum hat es auch in den Augen der nächsten Generation keinen Wert mehr, eine Generation die zudem durch die ausdrucksarme Gleichmacher-Bierschule der Industrie gegangen ist. Im Moeder Lambic kämpfen Jean und sein Team für den Erhalt der Bierkultur. „Wir gehen auf jeden Gast ein, Fragen nach geschmacklichen Vorlieben und Wünschen, wenn wir dürfen überraschen wir unsere Gäste auch gerne.“

Wenn Sie in Brüssel sind, lassen Sie sich von Jean Hummler und seinem Team überraschen- das Moeder Lambic ist ein wunderbarer Ort um belgische Bierkultur auf höchstem Niveau kennen zu lernen.

Links zum Thema:

Brüssel: Fritten, Bier und Schokolade (1. Teil): Cherchez la Frite!

Moeder Lambic

A La Becasse

  1. Mag sein, dass das bei der Verkostung nicht so im Mittelpunkt stand, aber es gibt sehr wohl auch süßere Biere in Belgien. Mir fällt da zum Beispiel Chimay ein.

    Ob der Preis des Endprodukts wirklich schuld am Brauereisterben ist, wage ich mal zu bezweifeln. Wahrscheinlich liegt es eher daran, dass die industrielle Herstellung so billig ist. Jahrhundertelang ist Bier ein vergleichsweise preiswertes Getränk gewesen, während die Konzentration auf dem Brauereimarkt erst nach dem 2. Weltkrieg so richtig in Fahrt gekommen ist. Dass Bier erschwinglich sein muss, ist eben auch ein Faktor in der Bierkultur. Daneben gibt es ja heute genügend Raum für Hopfenexperimente, Flaschengereiftes und andere ambitionierte Brauprodukte.

  2. Danke Nata! Nicht alleine die Preisgestaltung ist schuld am Brauereisterben, das ist richtig, Jean Hummler hat da ja auch noch andere Faktoren ausgemacht. Nachdenken über Geld und Wert finde ich aber grundsätzlich wichtig (und ja, auch dass die industrielle Herstellung stark von wirtschaftlichen Aspekten geprägt ist). Ich finde nicht, dass Bier grundsätzlich erschwinglich sein muss, nur weils immer schon so war. Was nichts kostet ist nichts wert und was sorgfältig und gut gearbeitet ist, sollte seinen Preis haben. Das ist wie mit dem Supermarkthuhn für 2,99 Euro, das schmeckt nicht, das ist gewöhnlich und immer zu haben, die Menschen haben sich daran gewöhnt. Das Landhuhn für 15 Euro ist dagegen jeden Cent wert und eine echt überraschendes Geschmackserlebnis auf dem Teller.

  3. Schön das es Dir in der Stadt die mir zur Heimat geworden ist gefallen hat. Ich mag alle drei Teile des Berichtes. Zum Bierbericht hätte ich eine Ergänzung. Mir ging es am Anfang anders, ich fand mich von der Süße und Schwere der belgischen Biere erschlagen und habe nach den eher bitteren gesucht. Ich finde eine tolle Balance zwischen frisch, hopfig und lakritzig schwer ist Orval, dass gibt es hier eigentlich überall uns gehört neben Karmelit triple zu meinen Lieblingsbieren. Karmelit triple macht sich sensationell zum Kochen. Wenn Du eine Palette de Porc à la Anthony Bourdain damit machst, wirst Du reichlich belohnt, Chimey bleu eignet sich aber auch gut. Absolut empfehlenswert ist die Brauerei „het anker“ aus Mechelen oder auf Französisch Malin. Im Sommer ist das leicht säuerlich frische Manneblusser phantastisch, das Gouden Carolus schmeckt das ganze Jahr. Bei den Frittenbuden lohnt sich unter anderem die am Place de la Chapelle im Marolles. Das ist der älteste Teil Brüssels, sehr charmant, weniger touristisch als die Innenstadt und mit einer etwas gammeligen aber himmlisch guten Frittenbude.

  4. […] Das Gueuze ist ein süss-säuerlich schmeckendes, fermentiertes Bier aus der Region Brüssels. Basis hierfür ist eine Mischung von mehrjährigen, teils angegorenen Lambic-Bieren, die anschliessend in der Flasche reift. Durch Reifung in der Flasche entsteht eine zweite Gärung, die das Bier frisch und feinperlig macht. Beim Kauf ist auf die Bezeichnung „Oude Gueuze“ zu achten, das Zeichen für traditionelle Handarbeit. Gueuze aus industrieller Herstellung wird nämlich gesüsst und mit Kohlensäure im Tank zugesetzt (Quelle: Nutriculinary). […]

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