Jetzt im Kino: Entre Les Bras

Nein leider! Mit Bedauern zuckt die Dame vom Fremdenverkehrsbüro in Laguiole die Schultern und legt den Hörer wieder auf, auch ein Mittagstisch sei in den nächsten Tagen nicht zu bekommen, bei Monsieur Bras: „im kommenden Jahr, gibt es vereinzelte Tische, am Mittag“, sagt sie und sie schenkt den Hochzeitsreisenden, die sie um einen Anruf im berühmten Restaurant gebeten hatten, ein nachsichtiges Lächeln. Wir waren einfach losgefahren, mal ohne Plan, mal keinen Termin, einfach treiben lassen. Ich hätte es eigentlich wissen müssen. Um den Tisch bei Michel Bras hätte ich mich bereits direkt nach dem Heiratsantrag kümmern müssen, nicht erst während der Hochzeitsreise, die die Liebste und mich in zwölf Tagen durch ganz Frankreich führte.

Die Restauranttüren zum Drei Sterne-Koch Michel Bras und seinem Sohn Sébastien blieben uns verschlossen, dafür öffnete sich vor unseren Augen eine Landschaft, wie wir sie noch nie gespürt hatten, ein schier endlos sich ausbreitendes, wilde Hochplateau unter wolkenfetzig-sonnigem Himmel, drei Tage reichten nicht, sich satt zu sehen. Wir blieben hängen in Laguiole unternahmen lange Wanderungen (und ich wandere sonst gar nicht!), wir genossen die Spezialitäten der Region, dicke, duftende, butterzarte Steaks vom Aubrac Rinder, mit den geschwungenen Hörner und den tiefen Augenrändern, dazu die Aligot ein Fäden ziehender Käse-Kartoffelbrei. Hier die Zutaten für 4 Personen: 1kg gekochte Kartoffeln, 450 g Laguiole Käse, 250 g Créme Fraîche, 200 g Butter. In Laguiole kaufen wir Käse und eines der berühmten Messer mit der Fliege. Der Ort wirkt wie eine Puppenstube, das Klischee eines französischen Dorfes, Mauer an Mauer kleine, dickwandige Steinhäuser mit altmodischen Geschäftsschildern, winzigen Bars im Schatten von Platanen. Ab und zu klopfte ich an eine Steinmauer, nur um sicher zu gehen, dass ich mich nicht in der Nachbildung eines französischen Dorfes der Walt Disney Company befände. Nein, alles echt. Außer die Messer vielleicht, hier reiht sich ein Messergeschäft ans Nächste und in wirklich jedem Geschäft wird der Tourist beglückwünscht, genau hier hereinspaziert zu sein, denn die Nachbarn verkauften allesamt gefälschte Ware aus China! Und irgendwann ein letzes Mal durch die vulkanische Hochebene Richtung Meer, verlieb ineinander, in das Leben und in diese Gegend, die wir wieder besuchen werden, besuchen werden müssen.

Und es ist das Aubrac, dieser Landstrich im Südwesten Frankreichs, der im Film Entre les Bras – 3 Sterne, 2 Generationen, 1 Küche von Regisseur Paul Lacoste auch eine Hauptrolle spielt, jenem Film der vom Generationswechsel in der berühmten Bras-Küche erzählt. Der große Michel Bras, Jahrgang 1946, übergibt sein Restaurant an den Sohn, Sébastien Bras, Jahrgang 1971, der ihm zu diesem Zeitpunkt auch schon über ein Jahrzehnt in der Küche zur Seite steht. Ein Jahr lang begleitete Regisseur Lacoste, mit Kameramann Yvan Quéhec, Vater und Sohn durch die vier Jahreszeiten und es sind Schlüsselszene im Film: immer wieder, getrennt voneinander, stehen Vater und Sohn in dieser unglaublichen Landschaft, lauschend, denken, wortkarg bis zur Verstummung, in diese unendliche Weite blickend, bei Sonnenaufgang, bei Sonnenuntergang, bei Wind, bei Wetter. Diese Filmbilder erklären das gesamte kulinarische Verständnis von Michel und Sébastian Bras, es ist eine innige Heimatliebe, eine Liebe zur Natur, es ist das Terroir, eben auch und gerade die jetzt viel beschworenen Regionalität, die die Küche der Perfektionisten Bras prägt.

Michel Bras, der Alte, hellwach und jugendfrisch zeigt ihn der Film, ist ein Visionär, eine Ausnahmeerscheinung unter den französischen Drei-Sterne-Köchen. Diese lang gezogenen essbaren Landschaften, die jetzt die Teller der Moderne bestimmen, Bras hat sie erfunden, vor Jahren schon, weil er Platz brauchte für die Natur der Region, für eine Weite die sich nicht stapeln ließ. 1982 bekommt der Autodidakt Bras den ersten Stern, vier Jahre später den Zweiten, auch der Gault-Millau ist begeistert, 1988 gibt es 19,5 von 20 Punkten und 1999 den dritten Stern vom Michelin.

Gargouillou von Michel Bras

Michel Bras gilt als der „beste Gemüsekoch der Welt“ auch hier war er ein Vorreiter, unbeirrt, nur seinen Vorstellungen und Ideen verpflichtet. Seine Gargouillou ist Meilenstein, Signature-Dish und Ausdruck der Bras´schen Philosophie: ein Meer an Gemüsen, Blüten, Saucen und Kräutern, ein überbordernder Teller wie ein Frühsommergarten, sorgfältig arrangiert, dutzende pure Zutaten ergeben ein meisterliches Ganzes. Mit der Herstellung dieses Tellers beginnt der Film. Michel Bras der detailversessene Genialist, einer der ganz Großen, einer der ganz Stillen, bei der Arbeit.

Von Michel Bras beruflichem Werdegang erzählt der Film, über familiäre Rückblenden und ein paar abgefilmte Zeitungsausrisse hinaus, leider kaum etwas und so entfaltet sich sein ganzer Zauber nur dem, der sich schon ein bisschen mit Michel Bras und seinem Sohn Sébastien befasst hat. Dann aber zeigt sich ein sehr nahes Portrait zweier Männer die eine Küchenphilosophie teilen, in einer Küche die zu groß geworden ist, für zwei Meister.

Zäh gestaltet sich die Stabübergabe (die jenseits des Filmes von 2009 bis 2011 andauerte), neben den beständigen Frotzeleien zwischen Vater und Sohn, sind es vor allem die Szenen in den Küchen in Frankreich und Japan, die zeigen, dass Michel Bras zum Zeitpunkt der Dreharbeiten noch nicht wirklich bereit war, dem Sohn sein Werk zu überlassen („Ist es eine Übergabe? Ich bin ja noch da…“). Minutenlang stehen die beiden über neue Kreationen gebeugt, kopfschüttelnd, Kopf zerbrechend, den Vorschlag des jeweils anderen sofort wieder in Frage stellend.

Der roten Faden der durch den Dokumentarfilm führt, ist eine komplizierte Kreation mit Milchhaut, deren Entstehung wir in Frankreich erleben und deren Weiterentwicklung und Umsetzung wir in Japan bestaunen dürfen, bevor sich am Ende des Filmes ihr überraschender Ursprung zeigt. Japan, auch darüber verliert der Film kein Wort, seit 2002 gibt es „Michel Bras Toya Japon“ im Windsors Hotel auf Hokkaido in Japan. Die Zweigstelle besticht durch eine grandiose Architektur und vor den Fenstern: Landschaft, Landschaft, Landschaft. Zum in die Ferne schauen. Wie die Milchhaut aus Frankreich hier ihre Übersetzung ins Japanische erfährt, gehört zu den Highlights des Films.

Die kulinarischen Biographien von Michel und Sébastien Bras lassen sich anlesen, Regisseur Paul Lacoste erzählt mit Entre les Bras die universelle Geschichte einer Vater und Sohn-Beziehung, eine Geschichte von Familie als Berufung und Vorbestimmung, eine Geschichte von Tradition und Wurzeln, eine Generationengeschichte – am Beispiel Bras. In ruhigen Bildern wird von Vater und Sohn erzählt, lange Einstellungen, die Zeit zum Hinschauen und Nachdenken lassen, ein stiller Film. “Der Film passt zu den beiden”, sagt die Liebste, die eine kluge Frau ist.

Sollten Sie nach diesem Film mit dem Gedanken spielen, das Restaurant Bras zu besuchen, reservieren sie am besten sofort. Wenn dann erst im Jahr drauf ein Tisch frei wird, macht das nichts, ich bin sicher Sébastien Bras wird großartig kochen – und ich werde das Gefühl nicht los, dass Michel Bras ebenfalls in der Küche stehen wird.

Links:

Seite zum Film: www.entrelesbras.de/

Das Restaurant: www.bras.fr

Das Michel Bras-Kochbuch: bei Buchgourmet.com

Mein Dank an Mindjazzs Pictures für die Vorab-Zurverfügungstellung des Films.