Wir haben uns dann mal Nichte (18) und Neffe (14) ausgeliehen, um den beiden Wien zu zeigen. Das Abenteuer begann Abends direkt am Bahnhof Hamburg Altona – mit einer Fahrt im Night Jet der ÖBB.
Ankommen und Wohnen
Nachtzüge erleben ja gerade eine Renaissance – auch in den sozialen Medien, wo ich zum Beispiel auf Instagram gerne bei betelsfoodfeast mitfahre, die von Berlin aus ganz Europa in Nachtzügen bereist. Die eigene Erfahrung war dann speziell!

Im Vierer-Liegewagen waren wir für uns, fröhliche Campingstimmung und ja, der Lärm, die Bewegungen und das lustige Schein-Kissen ließen uns eher schwer in den Schlaf kommen. Aber: einen Tag in Wien gewonnen und eben auch nicht geflogen – das wäre für unsere Reisegruppe zudem 300 Euro teurer gewesen.
1. Max Brown 7. District Hotel mit Restaurannt Seven North
Eingecheckt haben wir im Max Brown im 7. Bezirk, wir lieben das lebendige, bunte Viertel zwischen Spittelberg und Museumsquartier und haben hier schon die unterschiedlichsten Hotels probiert – das Max Brown 7. District war diesmal ideal mit seinem jungen und familiären Publikum, das Team herzlich, die Zimmer hübsch, die Lage zentral.

Foto vergessen, Symbolfoto!
Das Restaurant Seven North gehört nicht zum Hotel, morgens gibt es hier aber das tolle Hotel-Frühstück (Pastrami, local cheese, frisch gebackene Waffeln) und abends kann man als Hotelgast auch mal nur für einen Apéro an die Bar. Mit der gebuchten Early-Check-in-Option konnten sich die zerzausten Zug-Vögel morgens einmal frisch machen und los ging es!
2. Neuer Lieblingsort mit Geschichte: Espresso Wien
Das Espresso gibt es seit über 20 Jahren, ich entdecke es an diesem Morgen neu: Im angeschlossenen Laden neben der Café-Wein- und Apéro-Bar Espresso Burggasse findet sich das Espresso Büffet. Hier gibt es selbst eingelegtes Gemüse, Bio- und Naturweine und eine Backstube, in der Herr Ährnst alias Julian Lubinger die kolportiert besten Croissants Wiens bäckt – aber nur donnerstags bis samstags, und man muss früh da sein.

Die Croissants sind wirklich gut, es gibt sie u.a. auch mit Eiersalat gefüllt. Zum Niederknien zartblättrig-köstlich dann aber vor allem der saftige Powidl-Plunder, herrhjeh! Und die Mini-Beinschinken-Semmeln mit Kren und Gürkchen sind eh ein Gedicht!

Das Espresso, stellten wir in den kommenden Tagen fest, wandelt sich bis in die Nacht hinein und man kann abends noch gemütlich im weinlaubumrankten Schanigarten sitzen, auf Empfehlung spannende Naturals entdecken (und Limonade aus Hamburg, hihi).
3. U(H)r Wurscht am Naschmarkt

Ich habe mich mittlerweile festgelegt und esse meine Eitrige (Käsekrainer) mit scharfem Kren, Gurkerl und Peperoni auf dem Naschmarkt – und zwar an der wahrscheinlich ältesten Würstelbude der Stadt, der Uhrwurscht. Die herrliche Italo-Pop Playlist dudelt nimmermüde dazu.
4. Wiener Schnitzel - die Legende!
Auch so eine Sache, bei der man sich irgendwann entscheiden muss, wo genau es denn nun das Beste gäbe, ist das Wiener Schnitzel. Es ist eine ernste, dabei sehr persönliche Frage – ähnlich der Fragen nach HSV oder St. Pauli, Blur oder Oasis.

Ich habe das in einem mehrjährigen Selbstversuch (für mich!) herausgefunden: Es geht um Nuancen und mein klarer Favorit ist das Meissl & Schadn – bitte unbedingt das in Butterschmalz (!) gebratene Goldkissen bestellen, dann nickt der Kellner wohlwollend.

Im Meissl & Schadn (bitte unbedingt reservieren!) erwarten euch – neben dem ausgesprochen freundlich-flinken Servicepersonal – noch weitere Klassiker der österreichischen Küche, vom Tafelspitz bis zu Salzburger Nockerln.
Ein Geheimtipp ist darunter das Fleischlaibchen à la Metternich: eine butterzarte Kalbsfrikadelle mit Koriander, Sauce Hollandaise, wachsweichem Ei, jungem Blattspinat und Kartoffel-Mousseline. Zum Reinspringen gut, nicht ganz unaufwendig, wenn man’s nachkochen will – ich rezeptiere das mal demnächst für Euch!
5. Aufstrichbrote: Trześniewski und Zum Schwarzen Kameel
Ich weiß, was Sie jetzt denken: Die arme Jugend, muss dauernd mit dem Onkel essen gehen. Sie haben ja recht! Weil aber am zweiten Tag auch alle den Nachtzug-Jetlag hinter sich gebracht haben, starten wir heute eine Schnitzeljagd durch Wien, die uns insgesamt zwei Tage erhellende Freude bereiten wird. Und so eine Schnitzeljagd macht hungrig! Gut, dass der Spielplan uns an gleich zwei Legenden der Wiener Aufstrichbrot-Kultur vorbeiführt!

Bei Trześniewski, so fühlt es sich für mich immer an, geht es ein bißchen bodenständiger zu – hier, unweit des Stephansdom, ist das historische Original zu Hause: In den 1920er-Jahren entwickelte der gebürtige Krakauer Franciszek Trześniewski das portionierte Belegbrot mit allerlei würzigen, und zum Behuf des einfacheren Verzehres, klein gehackten Beläge. Allerdings finden sich schon im Buch der österreichischen Kochbuchautorin Katharina Prato Süddeutsche Küche von 1858 allerlei Rezepte für herzhafte „Sandwiches“, ausgarnierte Schnitten und Brötchen. Zudem gehören Brote mit gewürzten Auflagen wie Liptauer, Verhackerts, Topfenkas und Grammelschmalz in den Mostschänken und Heurigenlokalen Österreichs immer schon zum kulinarischen Kanon.
Im Zum Schwarzen Kameel ist dann das Drumherum mindestens so wichtig wie die Sandwiches selbst. In der verglasten Vitrine findet sich immer eine große Auswahl belegter Brotrechtecke mit überwiegend regionalen Zutaten und aus handwerklicher Herstellung.

Man kann nicht aufhören nachzubestellen und das ist gewollt: In der Bar herrscht ein trubeliges Sehen und Gesehen werden, hier trifft die Freude an Schwatz und Schmäh auf die Kunst der gepflegten Tagestrinkerei – freundlich begleitet von jenen Aufstrichbroten, die gleich wieder Appetit machen auf das nächste Getränk.
6. TIAN Bistro am Spittelberg - zu Gast bei Paul Ivić
Zweisternekoch Paul Ivić gehört zu den Pionieren des vegetarisch-veganen Fine Dinings im deutschsprachigen Raum. Das Tian selbst erschien mir dann doch eine Nummer zu groß für die Jugend – der Besuch im Tian Bistro war dagegen genau die richtige Idee: Das beständig wechselnde Menü „Sharing Chef’s Garden“ wurde in mehreren Durchgängen – zum Teilen und Probieren entspannt serviert – und war spannend für alle am Tisch!
Das Niveau im Bistro hat seit meinem letzten Besuch noch einmal angezogen – das ist schon deutlich des Meisters Handschrift: filigrane Kompositionen, handwerklich detailliert, durchdacht und vielschichtig.

Im ersten Flight gelbe Beeten mit Kopfsalat-Sud und Erdnuss, like Vietnam in a bowl, superfrisch. Knusprige Buchweizen-„Cracker“ mit gebranntem Kohl, Radicchio und pointierten Currynoten. In der Mitte des Tisches der legendäre Tatar aus Shiitake und Roter Bete, von unvergleichlich cremiger Würze, mit Schnittlauchemulsion und Kapernäpfeln. Dazu duftendes Waldviertler Brot aus der Joseph Bäckerei, mit cremiger Nussbutter und Dill-Öl.
Ein Highlight auch der offene Raviolo im Kupfertopf serviert, mit schwarzen Walnüssen und gebratenem Chicore mit knusprigen Röstzwiebeln serviert. Alleine die Güte und der Biss der hausgemachten Nudeln, grandios!

Die reiche, dunkel glänzend-samtige „Jus“ dazu hat bestimmt keinen Knochen gesehen, und die „fleischige“ Füllung auf Basis von Spitzkraut war von süchtig machender Würze und Tiefe.

Drei Desserts als Finale zum Weglöffeln! Topfenmousse mit Preiselbeeren und Himbeereis, samtig-süßherbes Mousse au Chocolat mit Blaubeereis und cremiger Milchreis mit Kokosnuss und Sauerampfereis. Jugend glücklich, die Oldies schwelgen.
Dass der Chef dann noch selbst vorbeischaute, um die Familie zu begrüßen, war für mich so freudig-überraschend wie vollkommen unerwartet. Danke, Paul, für deine und eure aufmerksame und persönliche Gastfreundschaft, die wir im Tian Bistro genießen durften!
7. Das Kunsthistorische Museum Wien
Am dritten und letzten Tag unserer Wienreise entschied sich die Jugend sehr bestimmt gegen die von uns ins Gespräch gebrachte moderne Kunst – und für den Besuch bei ein paar alten Meistern im Kunsthistorischen Museum!

Darunter, was für eine Überraschung, fand sich auch eine Meisterin! Die Sonderausstellung des Kunsthistorischen Museum Wien zur jahrhundertelang übersehenen flämischen Barockmalerin Michaelina Wautier ist ein Knaller und ein so frühes wie eindrückliches, feministisches Lehrstück!
8. Die Hofzuckerbäckerei Demel
Ich wäre ja erst mal nicht hingegangen, unterstellte massiven Tourismusbefall. Unsere Schnitzeljagd aber führte uns nach dem Museumsbesuch direkt vor die Türe des Stammhauses der legendären K.u.K. Hofzuckerbäckerei Demel von 1786.

Wir also rein und hoch, und die Kaiserschmarrn-Großproduktion in der Schauküche bewundert, dann ganz oben direkt auch einen schönen Tisch bekommen. Ich wunderte mich, freute mich dann aber über diese wunderbaren Wiener Würste, die hier Frankfurter heißen, es gab auf Wunsch eines einzelnen Herren endlich ein Himbeersoda und für die Jugend Cola und Kaiserschmarrn, dann noch Kaffee und Käsekuchen. Unsere Servicekraft war dazu von einer zugewandte Herzichkeit, die ich in einem so großen „Laden“ eingentlich nicht erwartet hätte.
Und als wir rausgehen, stehen Sie da doch, die Schlangen an Touristen aus aller Welt und warten und warten uns es schwant mir: wir hatten Glück und zwar gleich doppelt: irgendwie passend reingerutsch und dann dankenswerterweise auch noch die eigenen Vorurteile an der Garderobe losgeworden.
Ein bißchen Musik, bis zum nächsten Mal

Für alle die jetzt eine kleine Sehnsucht bekommen haben, hier ein bißchen von mir zusammengestellte neue Pop-Musik, aus Wien und Österreich, anders, eigen und eben nicht das üblich! Viel Freude mit:
Austria Alternativen auf Spotify
Schön wars!



