Guide Michelin 2020: Von Köchen und Kopfbällen – was Sterneküche mit Fußball zu tun hat

Sterneküche hat viel mit Können, Kultur und Kochkunst zu tun. Vor allem aber auch erstaunlich viel mit Fußball.

Dieses Jahr ist es wieder mal so spannend wie lange nicht mehr: wer wird seinen Tabellenplatz halten können, wer aufsteigen? Wer sind die spielstarken Neuzugänge? Die entscheidende Begegnung findet nun, anlässlich des Erscheinens der neuen Ausgabe des Guide Michelin, am 3. März in Handelskammer Hamburg statt. Der international renommierte Restaurantführer zeichnete an diesem Abend (und in der neuen Ausgabe) die besten Köchinnen und Köche des Landes aus.

Auch wenn vermehrt Köch*innen sich ganz bewusst entscheiden, künftig ausschließlich für ihre Gäste und nicht mehr für die Kritik zu kochen – der Guide hat nichts an Strahlkraft eingebüßt. Das alljährliche Erscheinen des Restaurantführers entscheidet mancherorts über Wohl und Weh, die neuen Wertungen der Tester werden in der Branche genau verfolgt.

Jedes Jahr vergibt der Michelin auch die Bib-Gourmand-Plaketten und zeichnet damit Betriebe aus, die kulinarischen Genüsse auch für kleinere Budgets ermöglichen. Nirgendwo in Deutschland gibt es davon mehr als in Hamburg: 2019 erfüllen ganze 16 Restaurants die Bedingungen des Guide mit einem attraktiven Preis-Leistungsverhältnis. Königsklasse sind aber die Sterne, mit denen der Guide die Besten auszeichnet – und das seit 1936. Von seinen Anfängen als Reiseführer des Autoreifen-Herstellers im Jahre 1900 zeugt bis heute die Definition der Sterne:

1 Stern – eine Küche voller Finesse, einen Stopp wert

2 Sterne – Eine Spitzenküche, einen Umweg wert

3 Sterne – eine einzigartige Küche, eine Reise wert

Vergeben werden diese Sterne nicht an Köche als Person, es ist immer die Kombination aus Chefkoch und Restaurant. So musste Drei-Sternekoch Kevin Fehling „seine“ Sterne beim Umzug von Travemünde nach Hamburg, im eigenen Restaurant The Table neu erkochen. Soweit die Spielregeln, doch was bedeutet das in der Praxis? Was unterscheidet den 1-Sterner vom 2-Sterner und was den 2-Sterner vom 3-Sterner? Mitunter tun sich da selbst für Gastrokritiker erhebliche (und diskutable) Grauzonen auf.

Sterneküche hat viel mit Können, Kultur und Kochkunst zu tun. Vor allem aber auch erstaunlich viel mit Fußball.

Stellen Sie sich ein Fußballspiel der Oberliga ihrer Heimat vor, sie kennen das Stadion, hier fühlen Sie sich wohl, hier gehen Sie gerne hin, weil sie guten, ehrlichen, und ja, auch ehrgeizigen, Fußball lieben – ohne Tamtam, es ist die reine Freude am Spiel. 1 Sterne Restaurants funktionieren ganz ähnlich, sind gerne auch regional geprägt und verwurzelt. In Hamburg findet sich da aktuell, neben Klassikern wie dem Landhaus Scherrer oder dem Piment, auch starker Nachwuchs wie das Petit Amour und vielversprechende Neuzugänge wie das bianc oder das 100/200 kitchen von Thomas Imbusch. Ich besuchte im vergangenen Jahr das N°4 in Buxtehude und stellte fest, dass 1-Sternekoch Jens Rittmeyer schon auf dem Sprung in die nächste Liga sein könnte! Einer, der da schon mitspielt, ist Christoph Rüffer, seit 2002 Küchenchef des renommierten Restaurant Haerlin im Hotel Vier Jahreszeiten. Seit 2012 hält er den zweiten Stern.

Das ist Bundesliga. Den Unterschied machen, neben Talent und Spielfreude, vor allem auch größere Mannschaften und andere Möglichkeiten. Die Küche ist hochaufwendig, die Erwartung der Fans ebenfalls. Kein Wunder, das alle drei 2-Sterner in Hamburg (die andere beiden sind Jakobs Restaurant und das Süllberg Seven Seas), zu Hotels gehören – es ist schwer, in dieser Kategorie ohne Unterstützung oder Mischkalkulation wirtschaftlich zu arbeiten, zumal der Preis für den tatsächlichen Aufwand nur schwer an Gäste weiterzugeben ist. Und auch hier gibt es Parallelen zum Fußball, denn auch in der Bundesliga ist überwiegend nur noch jedes zweite Spiel ausverkauft.

Zwischen Bib Gourmand-Restaurants, lässigen 1-Sternern und der internationalen Leuchtkraft eines Drei Sterne-Restaurants haben es die 2-Sterner, insbesondere unter der Woche, oft schwer. Dabei tut sich preislich zwischen dem 2- und dem 3-Sterne nicht mehr viel. Tatsächlich ist Sterneküche oft genug im Wortsinn preiswert: ihren Preis wert. Gerade wenn man den Restaurantbesuch als etwas Besonderes versteht, wie den Besuch eines Robbie Williams-Konzerts… oder eines Länderspiels der Fußballweltmeisterschaft!

Das ist Hochleistungssport, das ist der vielzitierte Fußball von einem anderen Stern – und der Besuch eines Drei Sterne Restaurants funktioniert bestenfalls ebenso – man schaut, staunt und freut sich. Kreativität und Innovation sind auch hier unabdingbar, die Ansprüche an die Mannschaft sind extrem, denn tatsächlich geht es hier vermehrt auch um Technik(en), um Präzision, einen trainierten Leistungsabruf, Perfektion. Das sorgt für internationales Renommee, dafür reisen Menschen aus der ganzen Welt extra an. So erklären sich auch Reservierungsvorläufe von bis zu einem Jahr, etwa bei Kevin Fehlings The Table in Hamburg, einem von aktuelle zehn 3 Sterne Restaurants in Deutschland. Dort erfuhr ich im vergangenen Jahr, wie gänsehäutig berührend Präzision sein kann, gerade wenn da doch eine große Romantik durchscheint. Gänsehaut bescherten mir aber auch Christoph Rüffers Jakobsmuschel und Jens Rittmeyers „Saucen mit Brot“. Und neulich aß ich an einer Fischbude in Antwerpen die besten Sardinen meines Lebens.

Und darum geht es eigentlich. Bewertungen schaffen Übersicht, schaffen aber auch Schubladen.

Dieser rare Moment, wenn Kochen zur Kunst wird, Sie unmittelbar berührt, wie ein Musikstück, ein Gemälde oder Literatur – diesen Moment findet man an den erstaunlichsten Orte. Letztendlich entscheiden Sie selbst darüber, wo Sie danach suchen wollen.

Weiterlesen: wer tiefer ins Thema eintauchen will, dem sei der so ausführliche wie tiefschürfende Blogpost: Populäre Irrtümer (und Fakten) über Sternerestaurants von Julien Walther auf Trois Etoiles empfohlen.

Offenlegung: dieser Text erschien erstmals, in abgeänderter Form, im vergangenen Jahr, in der gedruckten Ausgabe des SZENE Magazin Hamburg.

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