Kleine Fluchten: ein Abend in Jens Rittmeyers N°4, Navigare NSB Hotel, Buxtehude

Mal raus kurz, ein Wochenende in der Hansestadt Buxtehude. Die Familie kichert ein bißchen, ob unserer Pläne: Buxtehude, aha, hihi, na dann. Wir kennen Buxtehude noch garnicht, freuen uns aufs Alte Land – und auf die Küche von Jens Rittmeyer, der zuletzt auf Sylt, ab 2011 durchgehend einen Michelin-Stern hielt und jetzt in den beiden Restaurants des Navigare NSB Hotel in Buxtehude verantwortlich zeichnet, das N°4 ist das Fine Dining Restaurant des Hauses. Erstaunlich wie schnell man hier ist, wir waren mit dem Auto an einem Freitagabend 50 Minuten unterwegs, im Hotelzimmer stellen wir fest: mit der S-Bahn (S 3), sind es vom Hamburger Hauptbahnhof gerade mal 30 Minuten zu Rittmeyer!

Das Restaurant im Kellergewölbe ist mit vier Tischen exklusiv gestellt, Jens Rittmeyer begrüßt seine Gäste persönlich und mit einer ganzen Abendbrot-Tafel an Kleinigkeiten vorweg, das schafft direkt eine schöne, entspannt-familiäre Stimmung und wir genießen: eine warme, duftige Möhren-Consomée, knackfrischen Rote Bete Tatar mit Sauerklee, geröstete Sonnenblumenwurzeln mit Creme, saftige Möhren-Frühlingsrollen, Leinsamenkräcker, knusprige Lamm-Mettwurst-Chips – ein Höhepunkt und das könnten wir jetzt auch einfach den ganzen Abend essen: geräucherte Wachteleier auf einer buttrigen Sauce Mousseline. Ein erster Gruß vom Saucen-König Rittmeyer, der neben seinem Händchen für Gemüse-Kreationen, einen ausgezeichneten Ruf als meisterlicher Saucenmacher genießt.

Und so beginnt auch die “Nordische Reise” mit einer komplexen Schaumsauce, die gegrillten butterweichen Lauch, Rübchen, Buchweizen, Forellenkaviar-Perlen und schwarze Walnüsse (aus dem nahen Mittelnkirchen) samtig umschmeichelt. Basis der Sauce ist ein elegantes Rauchfischfumet – da ist aber noch etwas anderes, eine fruchtige Frische – sie kommt von einem Apfel, dessen fruchtsaures Fleisch subtile Ingwer-Noten mitbringt. Er stammt von Kerstin Hintz, die auch die schwarzen Walnüsse herstellt. Ein süffiger erster Gang, superregional. Elf Landwirte und Erzeuger aus Norddeutschland listet die Rückseite der Menükarte, zwei aus Skandinavien.

Die Schnitte vom Färöer Lachs ist natürlich perfekt gegart, mit “salzigen Kräutern” und einem feinen Bärlauchsud mit Salicorn, Wakame Algen und Strandfenchel. Produktküche und Handwerk in Perfektion.

Königskrabbe in zwei Gängen. Vorweg ein Schälchen mit dem Sud aus den Carcassen. Der ganze Mund sofort voller Geschmack, Umami-weich das Mundgefühl. Ich hake nach. Arbeitet Rittmeyer mit Kombu-Alge? Tut er nicht. Das Geheimnis ist die Art, wie Jens Rittmeyer Fonds kocht – wirklch ewig lange, kurz vor dem Siedepunkt, eigentlich dampfen die Grundfonds nur ein – angesetzt u.a. mit dem Saft frisch entsafteter Gemüse! Die Königskrabben selbst, liegt dann saftig im grünen Dill-Sud mit feiner Meerrettich-Schärfe, auf Zwiebelcreme, dazu knackige Variationen vom Kohlrabi.

Dann kommt ein Gang, der ist zum Niederknien und Nachbestellen: “Sauce & Brot”, schon der Name macht Appetit. Und ist es nicht das Schönste, die Reste einer guten Sauce restlos mit Brot vom Teller zu wischen! Das erlaubt uns Jens Rittmeyer im großen Stil und mit einer Kombination von drei würzigen Saucen: ein Sud aus Kartoffeln und einem Hauch Sellerie, eine unfassbar köstliche, tiefwürzige Bolognese aus Blutwurst und krümmelig gebratenem Hack, einer Schale mit etwas Saft vom Schwein, komplex, reich, es kleben die Lippen.

Und dann passiert etwas ganz Wunderbares. Ich greife zum Brot, das tatsächlich ganz unscheinbar wirkt, wie Schnittbrot, eine Scheibe Brot eben. Ich beiße hinein, die würzige Krume, die knusprige Kruste, was für ein Aroma, was für ein Geschmack! Eilends den Service herbeigerufen, was denn bitte das für ein Brot sei? Ja, erfahre ich, das wäre von einem Bäcker aus Franken, aus Nürnberg – ich muss lachen und korrigiere: “Dachsbach. Der Bäcker kommt aus Dachsbach.” Schön, oder: man erkennt die Güte eines Brotes von Arnd Erbel auch ohne zu wissen, dass es von ihm ist. Im Zusammenspiel mit den göttlichen Saucen einer der besten “Teller” seit langem, geradezu berührend.

Auch der Hauptgang schwimmt in guter, tiefer Jus, eine Senfkorn-Jus, und es ist Jens Rittmeyer zu danken, dass er nicht sparsam ist mit seinen Schätzen, die trotz ihres wuchtigen Geschmacks in beinahe schon schwäbisch-opulenter Saucenreiche zum Gast kommen – ohne Sauce kein Vergnügen, ist Rittmeyers Motto (und Hashtag!). Die Senfkornjus passt hervorragend zur Entenbrust mit Kastanienpüree, und aromatischer Kerbelwurzel – der Blutampfer ist hier natürlich nicht nur Dekor, sondern bringt, frisch geschnitten, eine herbe Säure ins Spiel – großartig zur warmen vollmundigen, Zwiebel-süßen Jus.

Käse wird serviert, ein heimischer Blauschimmelkäse mit Birnenragout und Walnuss-Brotchip. Manchmal muss man die Welt nicht neu erfinden.

Die Sanddorn-Variationen mit Moosbeeren und Sonnenblumen-Crunch schmecken nach Kindheit, mein Vater rührte uns Kindern immer Joghurt mit Sanddornsaft und Zucker auf, dabei wurde der Zuckergehalt hart verhandelt, eine schöne Erinnerung. Der Star des Tellers ist für mich allerdings das Estragon-Eis, professionell im Schmelz, ungekannt raffiniert im Geschmack!

Ich bin kein Fan der klassischen Friandise, der finale Schaulauf des Pâtissiers mit Kleinstbackkunst, Pralinen, Schoko-Spielerei und Miniatur-Keksen, erscheinen mir persönlich am Ende eines opulenten Menüs nicht sonderlich erstrebenswert, drum geht auch oft alles wieder zurück in die Küche und der Pâtissier ist zu unrecht beleidigt, wäre seine Kunst an anderer Stelle doch die reine Freude, etwa zum Nachmittagskaffee.

Jens Rittmeyer serviert statt dessem nochmals zwei kühle Abschiedsgrüße aus der Küche und die sind genial! Auf einem belebend-säuerlichen Schaum von eingelegten Johannisbeeren des letzten Sommers, trohnt eine Mini-Nocke aus Dill-Eis – eine sagenhaft gute Kombi, muss man eigentlich klauen. Und ein echter Crowdpleaser ist das Braune Butter Eis auf gerösteter Gerste, hach!

Absacker noch, in der knüppelvollen Lighthouse Bar im Gewölbekeller des Hotels, achtzig Prozent der Gäste sind hier Einheimische. Bar-Chefin Solveig Büchel serviert souverän und herzlich Klassiker und eigens entwickelte Cocktails. Wir genossen: Kirsch-Gin Tonic, Negroni mit Blutorange und einen ganz besonderer Cocktail, den Balvados. Auf dem Grund des Hotels existiert altes Brennrecht und man ist zu Recht stolz auf den eigenen “Balvados”, ein Apfelbrand der in Limousinholz-Fässern von den Eigentümern des Hotels, der NSB Reederei, mit der eigenen Flotte einmal um die Welt gefahren werden. Den warm-würzigen, milden Apfelbrand, gibst nur hier!

Anderntags dann Buxtehude, das jetzt nur für meine kichernden Familienmitglieder: im pitoresk norddeutschen Städtchen finden sich viele schöne alte Häuser, an jeder Ecke Skulpturen und auf dem Marktplatz einen Wochenmarkt der deutlich die Nähe zum Alten Land verrät. Es gibt eine wunderbare Kaffee-Rösterei in einem Wohnhaus, bei Kaffee Iwersen, Rösterei am Fleet, erstehen wir denn auch frisch gemahlene Bohnen für Zuhause, u.a. die “Buxtehuder Mischung”. Ein Paradies für Hobbybäcker ist “Eat more Cake” (Link zu Fb), hier gibts einfach alles für die heimische Backstube und dazu die besten Cupcakes Norddeutschlands, auf die Hand und mit einem Pott Kaffee. Im zugehörigen “Café PomPom” (Link zu Fb) machen sie unglaublich gute Waffeln mit allerlei Zutaten zum Ankreuzen und dazu bestellen … und Pommes Frites mit Pulled Pork – probier ich beim nächsten Besuch! Danach ein Spaziergang über die Deiche oder durchs Alte Land, mit Hofverkäufen an jeder Ecke, dann weiter nach Jork ins… ok, ich hör schon auf!

Links:

Navigare NSB Hotel, Buxtehude:
www.hotel-navigare.com

Restaurant N°4:
www.hotel-navigare.com/no-4

Lighthouse Bar:
www.hotel-navigare.com/lighthouse-bar

Weitere Beiträge
Revisited: bleibt alles neu im Heimatjuwel